Radio / Videos
Verzeichnis aller Artikel

 

Congo-Square-Echo


Als der west-afrikanische Sänger Youssou N’Dour um 20061) nach New Orleans kam, machte ihn der Schlagzeuger Idris Muhammad mit der Tradition der Mardi-Gras-Indianer bekannt. Das sind Afro-Amerikaner, die im Karneval mit prächtigen Fantasie-Kostümen als Indianer2) verkleidet auftreten und von Tamburinen und Trommeln begleitet singen und tanzen. Muhammad brachte N’Dour zu einer Gruppe solcher „Indianer“3) und die führte N’Dour ihre Musik vor, worauf er sagte: „Ich kenne diese Art von Groove aus der Innenstadt von Dakar in meinem Land [Senegal]. Genau der gleiche Groove. Man findet ihn auch in Accra, in Ghana.“ Es sei sicher dieselbe Musik, sie sei offenbar einfach verpflanzt worden.4)

Dass diese Musik von West-Afrika direkt nach New Orleans gebracht wurde und dort bis in die Gegenwart unverändert fortbestand, ist jedoch wenig wahrscheinlich. Bekannt ist, dass die Tradition des Verkleidens und Auftretens als Indianer Mitte der 1880er Jahre begann und für die Hintergründe der Entstehung gibt es einige Anhaltspunkte5). Woher die „Indianer“ ihre Musik bezogen, lässt sich nicht mehr feststellen, und außerdem verändert sich ihre lebendige Tradition laufend ein wenig6). So spielte das Ensemble, das N’Dour gezeigt wurde, neben sechs Tamburinen und einem Schellenreif auch eine Brassband-Bass-Trommel und eine west-afrikanische Djembé-Trommel, was in früheren Zeiten nicht üblich war. Seit jeher wurden ausschließlich Perkussionsinstrumente verwendet und Tamburine scheinen immer schon dabei gewesen zu sein, während die anderen Instrumente variierten.7) In ihren Grundzügen scheint diese Musik aber zumindest in den letzten Jahrzehnten gleich geblieben zu sein, denn Muhammad, der im Jahr 1939 geboren wurde, sagte zu N’Dour über die vorgeführte „Indianer“-Musik: „Damit bin ich aufgewachsen. Das wurde in der Neighborhood gespielt, als ich aufwuchs. In dieser Neighborhood. […] Und wegen dieser Tamburine spiele ich heute Schlagzeug. Da gibt es einen Grundrhythmus, den sie spielen. Aber sie erzeugen mit diesem Rhythmus so viel, dass es wie eine ganze Band klingt.“8) Muhammads Erinnerungen müssten die Zeit der 1950er Jahre betreffen und aus dem Jahr 1956 stammen die ältesten bekannten Aufnahmen von Mardi-Gras-Indianern9). In diesen Aufnahmen sprechen einige „Indianer“ über ihre Tradition und singen drei ihrer Songs vor, allerdings ohne Beteiligung einer Perkussionsgruppe. Der Jazz-Pianist Jelly Roll Morton erzählte im Jahr 1938, dass er als Bursche, also ungefähr um 1900, selbst an einer „Indianer“-Gruppe beteiligt war.10) Er gab auch ein wenig einen der alten „Indianer“-Songs wieder, der die typische Wendung „Two-Way-Pak-E-Way“ enthielt. Die „Indianer“-Songs wurden in vielfältigen, oft spontan gestalteten Variationen aufgeführt11) und das Repertoire veränderte sich im Laufe der Zeit, doch blieb die Art der Songs über lange Zeit hinweg konstant.12)

In den erwähnten ersten Aufnahmen von „Indianern“ aus dem Jahr 1956, bei denen eine Perkussionsgruppe fehlte, wurde zum Gesang ein Rhythmus geklatscht oder auf einem Gegenstand geschlagen. Das Muster dieses Rhythmus ist jenes, das in Kuba Cinquillo genannt wird13) und das den Komplementär-Rhythmus zum Tresillo bildet14). Der Tresillo ist wiederum mit jenem Rhythmus verwandt, der als Tango und Habanera bekannt wurde.15) Alle drei Rhythmen sind ungleichmäßige Grundmuster, wie die längere Figur der afro-kubanischen Clave, und sie ähneln jenen Timelines, die für die Trommeltraditionen an der afrikanischen Guinea-Küste charakteristisch sind.16) Die „Indianer“ verwenden den Cinquillo bis in die Gegenwart17) und auch die anderen beiden rhythmischen Grundmuster bringen seit jeher ein karibisches Feeling in die afro-amerikanische Musik von New Orleans. Der Cinquillo ist typisch für die Musik von Haiti (damals noch Saint Domingue)18) und wurde dort catá genannt.19) Der Name stammt aus West-Afrika.20) Im Zusammenhang mit der haitianischen Revolution (1791-1803) brachten Flüchtlinge21) den Cinquillo nach Kuba.22) Um 1850 wurde er in die kubanische Salonmusik übernommen23) und (neben anderen karibischen und kreolischen Rhythmen) vor allem durch Stücke von Louis Moreau Gottschalk, eines Komponisten und Pianisten aus New Orleans24), in den USA und in Europa verbreitet.25) Salonmusik und spätere, über Radio und Schallplatten verbreitete populäre Musik mit lateinamerikanischen Rhythmen kommen als Ursprünge der „Indianer“-Musik aber gewiss nicht in Frage, denn davon ist sie mit ihrer Verbindung von reiner Perkussion und Gesang sowie mit ihrem selbst von N’Dour als afrikanisch wahrgenommenen Groove weit entfernt. Seeleute könnten den Cinquillo von Kuba in die „Indianer“-Musik gebracht haben26), doch liegt vor allem folgende Herkunft nahe:

Flüchtlinge aus Haiti kamen auch nach New Orleans, und zwar so zahlreich, dass die Einwohnerzahl der Stadt durch sie bis zum Jahr 1810 verdoppelt wurde.27) Sie hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf die Kultur von New Orleans28) und es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass aus Haiti stammende Afro-Amerikaner ihre Musik und ihre Tänze bei den sonntäglichen Treffen auf dem Congo Square aufführten29). Auch brachten sie ihre Voodoo-Traditionen mit, die sich im Untergrund mit den in New Orleans entwickelten vermischten.30) Die im Verhältnis zu „Weißen“ nun überwiegende Zahl (freier und versklavter) Afro-Amerikaner in New Orleans und der Umstand, dass viele von ihnen in Haiti mit den Ideen der Revolution in Berührung gekommen waren31), sorgten unter „Weißen“ für Angst. Bereits die haitianische Revolution selbst, die die einzige erfolgreiche Sklavenerhebung auf dem amerikanischen Kontinent war, wurde in den Vereinigten Staaten und anderen Sklavenhalterstaaten als so bedrohlich wahrgenommen, dass sie trotz ihrer weitreichenden internationalen Auswirkungen32) in der Geschichtsschreibung meistens nur als Fußnote behandelt wird.33) Tatsächlich brach im Jahr 1811, also bald nach der Ankunft der Haitianer, im Umfeld von New Orleans der größte Sklavenaufstand der US-Geschichte aus.34) Auch lebte im nahegelegenen Florida eine große Zahl kampfbereiter Maroons35) (entlaufener Sklaven) in Gemeinschaft mit Seminolen (Indianern). In zwei so genannten Seminolen-Kriegen wurden sie schließlich besiegt36) und die Repression von Afro-Amerikanern wurde allgemein verschärft.

Es dürfte in New Orleans schon früh einen lokalen, eigentümlichen afro-amerikanischen Musikstil gegeben haben und wenn davon etwas erhalten geblieben sein sollte, dann möglicherweise in der Musik der Mardi-Gras-Indianer.37) Denn der Außenseiter- und Untergrund-Charakter ihrer Tradition prädestinierte sie dafür: Selbst noch im Jahr 1956, als die ersten Aufnahmen von ihren Gesängen zustande kamen, wurden Afro-Amerikaner allgemein weitgehend ausgegrenzt, zum Beispiel indem sie in den öffentlichen Verkehrsmitteln von „Nur für Weiße“-Schildern auf die schlechteren Plätze verwiesen wurden und ein Zugang ihrer Kinder zu „weißen“ Schulen undenkbar war.38) Die „Indianer“ gehörten seit jeher einer armen Arbeiterschicht an, waren ungebildet und bekriegten sich bei ihren Auftritten noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gegenseitig in einer mitunter mörderischen Weise39). Auch unter Afro-Amerikanern hatten sie als Unterschicht und gesetzlose Außenseitergruppe einen schlechten Ruf.40) Ihre ausschließlich von Männern gebildeten41)„Gangs“ oder „Stämme“ waren Geheimgesellschaften42), Sozialklubs und Organisationen zur gegenseitigen Hilfeleistung in einem.43) Sie pflegten ihre Tradition mit einer religiös anmutenden Hingabe, indem sie einen großen Teil ihrer Freizeit und ihres wenigen Geldes dem Anfertigen von jährlich neuen44) prachtvollen Kostümen widmeten und bei ihren Auftritten nicht selten ihr Leben aufs Spiel setzten. Bereits lange vor den Auftritten trafen sie sich sonntags zu „Übungen“45) mit rituellem Charakter, bei denen sie bis spät in die Nacht trommelten, sangen und tanzten.46) Vor allem diese Treffen zeigen, dass ihre Tradition nicht nur durch ihre Rhythmen und anderen musikalischen Merkmale47), sondern auch durch die Art ihrer spontan gestalteten, auf Groove basierenden, rituellen Gruppenerlebnisse mit afrikanischen Musiktraditionen verwandt ist. Im Freiraum, den der Karneval bot48), und im Schatten ihrer Viertel, die selbst von der Polizei gemieden wurden49), führten sie dann mit dem Stolz von Indianer-Häuptlingen („Big Chiefs“) und mit einer kleinen, streng hierarchischen Truppe50) ein wildes, aggressives, aber auch stilvolles51) Schauspiel der Selbstbehauptung auf. Sie verkörperten Widerstand und ihre gesamte Haltung lässt sich mit folgender Zeile aus einem ihrer Songs zusammenfassen: „Wir beugen uns nicht.“52) Dieser rebellische Charakter gab Anlass zu Spekulationen, dass sie aus Gruppen von Maroons hervorgegangen sein könnten, die sich im 19. Jahrhundert in den der Polizeikontrolle praktisch entzogenen kreolischen Bezirken von New Orleans niederließen, wo sie ihr afrikanisches Erbe zu bewahren versuchten.53) Auch gab es in den spiritualistischen Kirchen von New Orleans einen Märtyrerkult um Black Hawk54), einen Fox-Sauk-Indianer, der in den 1830er Jahren ein seinem Volk weggenommenes Land zurückzuerobern versuchte und eine Autobiografie voller Spiritualität und Widerstandsgeist diktierte, die im Jahr 1833 veröffentlicht wurde. Dieser Kult wurde in Kirchen stets nachts mit nur spärlichem Licht und zu Trommelmusik gefeiert und ähnelte oft den „Übungen“ der Mardi-Gras-Indianer.55) Es scheint im Untergrund vielfältige Verbindungen zwischen Mardi-Gras-Indianern, spiritualistischen Kirchen, Voodoo, Nachwirkungen der Congo-Square-Ereignisse und der Kooperationen von Afro-Amerikanern mit Seminolen gegeben zu haben.56) In Verbindung mit diesen Verflechtungen und dem heroische Widerstandgeist der Mardi-Gras-Indianer erscheint es als wahrscheinlich, dass ihre Tradition tatsächlich ein weit zurückreichendes Überbleibsel afrikanischer Kultur in den Vereinigten Staaten ist. Zu dieser (romantisch umrankten57)) historischen Bedeutung kam später ein über New Orleans hinausreichender Einfluss der „Indianer“ auf die Entwicklung der afro-amerikanischen Musik hinzu58):

Idris Muhammad sagte: „Ich nahm die Rhythmen des Tamburins [der „Indianer“] und den Beat des Bass-Trommel-Spielers der Second-Line-[Brass-]Band und verband beide zu einem Rhythmus.“ Als er nach New York kam, sei er wegen dieser Rhythmen von Stars der Soul-Musik wie Sam Cook, Jerry Butler, Curtis Mayfield und Roberta Flack geschätzt und dadurch erfolgreich geworden.59) Auch der New Orleanser Schlagzeuger Herman „Roscoe“ Ernest III sagte, dass seine Funk-Rhythmen, die er zur Musik der Neville Brothers und später von Dr. John und anderen beitrug, weitgehend vom Straßenrhythmus und Groove der Mardi-Gras-Indianer stammten. Er habe ihr Spiel lediglich aufpoliert und vor allem Bass-Trommel-Parts hinzugefügt.60) In einem Video61) zeigte er, wie er Rhythmen abwandelte, die der Funk-Schlagzeuger Joseph „Ziggy" Modeliste in dem auf einem „Indianer“-Song beruhenden Stück Hey Pocky Way62) spielte.63) Modeliste war in der Uptown64) von New Orleans aufgewachsen, hatte eine von klein auf „angelegte Verbindung zu den Rhythmen der Straße“65) und war im Jahr 1970 an der ersten Aufnahme einer „Indianer“-Gruppe mit Funk-Begleitung beteiligt, dem als Single-Schallplatte erschienen Song Handa Wanda der Gruppe Bo Dollis and the Wild Magnolias66). Im Jahr 1976 kooperierte der „Big Chief“ George „Jolly“ Landry von den Wild Tchoupitoulas mit der Funk-Gruppe The Meters, der Landrys Neffe Art Neville und Modeliste angehörten. Die übrigen Neville-Brüder (Charles, Cyril und Aaron) beteiligten sich ebenfalls an dieser Kooperation und es entstand das Album The Wild Tchoupitoulas.67) Die ab damals als Neville Brothers auftretenden Brüder behielten (ohne Beteiligung von „Indianern“) etliche ihrer Songs im Repertoire und vermittelten auch einiges vom Geist der „Indianer“-Tradition, besonders durch Cyril Nevilles Beiträge68). – Vor allem durch diese von der „Indianer“-Tradition beeinflussten Musiker entstand eine spezielle New Orleanser Variante der Funk- und Soul-Musik mit südlichem, karibischem Reiz, die einen weitreichenden Einfluss ausübte. Erst im Jahr 1987 kam das erste Album zustande, das eine „Indianer“-Gruppe alleine präsentierte: Lightning and Thunder von den Golden Eagles mit ihrem „Big Chief“ Monk Boudreaux.69)

Die Wild Magnolias-„Indianer“ machten später mit der Rebirth Brass Band Aufnahmen70) und verbanden damit zwei alte Traditionen, die zuvor stets getrennt waren, aber doch gewisse Gemeinsamkeiten hatten: die Tradition der „Indianer“ und die der afro-amerikanischen Brassbands von New Orleans. Beide führen Groove-Musik auf der Straße auf, an der sich (vor allem junge) Leute mit Tanzen und Trommeln auf kleinen Perkussions-Instrumenten beteiligen. Die Schar dieser Beteiligten bildet die so genannte „Second-Line“ und auch das gesamte Ereignis wird als „Second-Line“ bezeichnet, egal ob es sich dabei um Paraden und Begräbniszüge von Brassbands oder „Indianer“-Auftritte handelt.71) Wird von Straßen- oder Second-Line-Rhythmen gesprochen, dann können damit die Rhythmen der Brassbands oder die der „Indianer“ gemeint sein, wobei Brassbands gegenüber den seltener auftretenden und weniger bekannten „Indianern“ präsenter sind. Tatsächlich sind sich beide Arten von Rhythmen in mancher Hinsicht ähnlich.72) Brassbands erfüllen seit jeher soziale Funktionen in den afro-amerikanischen Neighborhoods und werden von den Sozialhilfe- und Vergnügungs-Klubs73) finanziert. Sie passen sich an die Tanzmusik der jeweiligen Zeit an und so gelangten jene „Funk“-Grooves in ihr Spiel, die die Rebirth Brass Band mit den Wild-Magnolias-„Indianern“ harmonieren ließ.74)

Die Brassband-Musik der jüngeren Zeit enthält häufig afro-karibische Rhythmen mit ungleichmäßigen, Clave-artigen Strukturen.75) Der im Jahr 1909 geborene Banjo-Spieler Danny Barker, der für die Wiederbelebung der Brassband-Tradition in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle spielte76), sprach jedoch bereits von einem „afrikanischen Beat“, als er das Spiel des legendären Bass-Trommlers „Black Benny“ Williams in der Zeit vor 192477) beschrieb.78) Rhythmik, die auf afrikanische Musiktraditionen zurückzugeht und zum Teil aus der Karibik zu stammen scheint, ist seit jeher ein Merkmal unterschiedlicher Musikarten von New Orleans. Wie sie dorthin gelangte und sich im Detail entwickelte, liegt jedoch großteils im Verborgenen. Die historischen Zusammenhänge sind umso nebuloser, je geringer das Interesse „weißer“ Autoren an der jeweiligen Musikart war:

Nach Aussage des Forschers John Storm Roberts ist das „am meisten gefeierte und gut dokumentierte Beispiel für den lateinamerikanischen Einfluss auf die Musik der USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts“ das Werk des bereits erwähnten Komponisten und Klaviervirtuosen Louis Moreau Gottschalk (1829-1869).79) Gottschalk wuchs in New Orleans in seiner europäisch-stämmigen, Französisch sprechenden Familie auf, als die Tänze auf dem Congo Square noch stattfanden und eine Touristenattraktion waren80) und als der Habanera-Rhythmus auch in seinen Kreisen beliebt war. Als 18-Jähriger komponierte er das Klavierstück La Bamboula - Danse de Négres, das ihm internationale Anerkennung verschaffte. In diesem Stück spielt die rechte Hand großteils einen Habanera-Rhythmus und die Hauptmelodie der Komposition beruht auf einem Volkslied aus Haiti, das Gottschalk als Kind von seiner „schwarzen“, aus Haiti stammenden Erzieherin kannte.81)„Bamboula“ war eine Bezeichnung für gewisse Tänze sowie für die dazu gehörenden Rhythmen82), die von versklavten Afrikanern aus der Kongo-Angola-Gegend mitgebracht wurden. Diese Tänze waren (neben anderen) sonntags auf dem Congo Square zu sehen und einer der dabei verwendeten Rhythmen war der Habanera-Rhythmus.83) Gottschalk bereiste viele karibische Inseln, hielt sich mehrmals für längere Zeit in Kuba auf und nahm von dortigen Pianisten Anregungen auf, die anscheinend noch in der späteren Ragtime-Musik und möglicherweise sogar im Klavierspiel von Jelly Roll Morton nachwirkten.84)

In den späten 1870er Jahren, also einige Jahre nach Gottschalks Tod, wurde das Lied La Paloma, dem ebenfalls der Habanera-Rhythmus zugrunde liegt, zum „ersten bedeutenden lateinamerikanischen Hit in der populären Musik der USA“.85) Der Komponist dieses Lieds war der an karibischen Rhythmen interessierte Spanier Sebastián de Yradier, auf den auch die Arie Habanera aus der Oper Carmen (1975) des Franzosen Georges Bizet zurückgeht. Vor allem durch diese Arie wurde der Habanera/Tango-Rhythmus in Europa bekannt. Bei der Verwendung dieses Rhythmus in der Konzert- und Schlagermusik stellt der Rhythmus selbst die wesentliche rhythmische Attraktion dar, wohingegen in den afro-karibischen Musikarten solche rhythmische Muster lediglich als elementare Rhythmusformeln (Timelines) dienen. Über ihnen werden dort Polyrhythmen aufgebaut, die dann den eigentlichen Reiz der Musik ausmachen. Die Rhythmusformeln werden meistens auf hoch und durchdringend klingenden Gegenständen wie den Clave-Hartholzstäben gespielt, die kein klangliches Volumen haben und damit im Hintergrund bleiben. Wie reichhaltig und anspruchsvoll die Rhythmen sind, denen die Rhythmusformeln als Basis dienen, macht zum Beispiel ein von Harold Courlander in den 1950er Jahren produziertes Album deutlich, das unter anderem eine Reihe von Trommelmusik-Aufnahmen aus der Karibik enthält86). Wenn die auf dem Congo Square in New Orleans gespielte Tanzmusik diesen Aufnahmen auch nur einigermaßen ähnlich gewesen sein sollte, was anzunehmen ist87), dann vermittelt Gottschalks Bamboula-Komposition somit eine unrealistisches Bild von den „Negertänzen“ (Danse de Négres), die er in jungen Jahren beobachtete. Seine touristischen Impressionen von der exotischen Congo-Square-Welt wurden jedoch in Notenschrift für immer festgehalten und zu einem bleibenden Bestandteil westlicher Kultur, sodass sie sich im historischen Rückblick zwangsläufig in den Vordergrund drängen.

Unklar ist nach John Storm Roberts Forschungsergebnissen hingegen, wie bedeutend der lateinamerikanische Einfluss für die Entwicklung des Jazz war. Zweifellos spielte er generell im New Orleans des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle, doch ist es angesichts der Vermischung vieler musikalischer „Sprachen“ in dieser Stadt schwierig, rückblickend die einzelnen Fäden zu entwirren, besonders auch, weil die Musik der Kreolen88) der karibischen Musik ähnlich war.89) Das Thema der lateinamerikanischen Einflüsse im frühen Jazz ist eng mit den Aussagen90) des Pianisten Jelly Roll Morton und dem von ihm geprägten Begriff der „Spanish Tinge“ (spanischen Färbung) verbunden. Unter „Spanischem“ verstand er auch Lateinamerikanisches und bereits daraus ergeben sich Unklarheiten.91) Morton war hellhäutig, betrachtete sich als Kreole und bezeichnete sich trotz seiner „farbigen“ Herkunft ausschließlich als Nachkomme von Franzosen92). Er wurde als Kind durch Opernbesuche zum Klavierspiel angeregt93) und meinte später, dass Ideen aus Opern, Symphonien und Ouvertüren zum Schönsten im Jazz zählten94). Doch trieb er sich bereits in jungen Jahren im Rotlichtviertel Storyville und im Nachtleben des Uptown-Unterschichtviertels herum und begann seine Karriere als Pianist in Bordellen. Er verband in seiner Musik Einflüsse aus unterschiedlichen Milieus, erlangte auch durch ausgeklügelte Kompositionen Ansehen95) und verstand es, sich und seine Musik in Szene zu setzen. Nach seiner Auffassung sollte Jazz „süß, sanft und mit viel Rhythmus“ gespielt werden96) und ein wenig „spanische Färbung“ enthalten. So spielte er im New Orleans Blues mit der linken Hand auf dem Klavier eine Tresillo-Bass-Linie und setzte ihr mit der rechten Hand improvisierte, Blues-gefärbte Figuren entgegen, sodass der Gegensatz der beiden Parts eine ständige rhythmische Spannung erzeugte. Sein flexibles Spiel hatte somit nicht nur durch die Verwendung eines rhythmischen Musters wie des Tresillos, sondern auch durch die Polyrhythmik, die er über diesem Muster entfaltete, afro-karibischen Charakter.97) Doch brachte Morton nicht nur eine „spanische Färbung“ in den Blues, sondern verlieh auch umgekehrt Stücken mit karibischem Flair Blues-Charakter. Er demonstrierte zum Beispiel, wie er dem Stück La Paloma mit der rechten Hand die „blauen“ Farben und Sykopierungen des Blues hinzufügte.98) – Nur wenige frühe Jazz-Musiker setzten in solchem Maß lateinamerikanische Elemente ein.99) Die kreolischen Musiker, zu denen Morton zählte, hatten jedoch allgemein eine Vorliebe für sie. Der Schlagzeuger Warren „Baby“ Dodds erzählte: „Im Downtown-Bezirk, wo die Kreolen lebten, spielten sie den Blues mit einem spanischen Akzent. Wir, die in der Uptown lebten, spielten nicht einmal die kreolischen Nummern der Downtown-Franzosen, wie Eh, La Bas. Und so, wie wir den spanischen Akzent der Kreolen-Lieder änderten, so spielten wir den Blues anders als sie. Sie lebten im französischen Teil der Stadt und wir in der Uptown, im Garden-Bezirk. Unsere Vorstellung vom Blues war anders als ihre.“ Die Verwendung karibischer Rhythmen habe sich dann vom kreolischen Bezirk aus in ganz New Orleans verbreitet.100)

Dementsprechend erklärte der Jazz-Geschichtsforscher Bruce Boyd Raeburn: Das Verbinden von afro-amerikanischen Stücken mit afro-lateinamerikanischen Rhythmen war vor allem eine Spezialität der in der Downtown von New Orleans wohnenden Kreolen, unter denen auch viele Musiker aus Lateinamerika lebten. Da die Verbindung mit lateinamerikanischen Elementen beim Publikum gut ankam, wurde sie von anderen Jazz-Musikern übernommen und schließlich für junge Musiker unerlässlich. Auch durch den Tresillo und Cinquillo der Mardi-Gras-Indianer waren karibische Rhythmen präsent und Brassbands nahmen ebenfalls lateinamerikanische Einflüsse auf.101) Allerdings erwähnte Raeburn im Zusammenhang mit dem Stück Panama, das von vielen unterschiedlichen Bands gespielt wurde und für das Absorbieren lateinamerikanischer Rhythmen charakteristisch gewesen sei, folgende Aussage von John Storm Roberts: Die Original-Klaviernoten von Panama sehen einen Habanera-Bass vor, den das New Orleanser Society-Ragtime-Orchester von Armand J. Piron auch spielte. Die meisten Jazz-Gruppen ließen den Habanera-Rhythmus hingegen weg.102) – Brassbands ersetzten in der Regel also selbst in Kompositionen, die „Latin Tinge“-Elemente vorsahen, diese durch ihren Second-Line-Beat. Danny Barker, der übrigens aus der kreolischen Barbarin-Familie stammte, beschrieb das Bass-Trommelspiel von Black Benny auch nicht als „spanisch“ oder „kreolisch“, sondern als „afrikanisch“. Benny wuchs wie Louis Armstrong in der Uptown von New Orleans auf und war weniger ein professioneller Musiker als ein muskulöser, vitaler Macho, der unter anderem an der Musik seinen Spaß hatte103) und sich in mehrfacher Hinsicht im Übermaß auslebte104). Er trieb mit seiner Bass-Trommel die ganze Band an, sagte Danny Barker. Auch andere Trommler hätten das gekonnt, aber Benny habe als der Beste gegolten.105) – Bass-Trommler spielen in Bassbands eine zentrale Rolle, denn sie liefern das Fundament für den Groove der gesamten Band.106) Dieser Groove wirkt bereits in den frühesten Brassband-Aufnahmen keineswegs „spanisch“ in der Art von La Paloma oder anderen Liedern mit karibischem Flair, sondern hatte schon damals einen etwas funkigen Charakter. Brassbands neigten nicht wie Society-Orchester, Salonmusik oder Schlager zu einem Spiel mit exotischen Impressionen und „Färbungen“, sondern pflegten ihren eigenen, rauen Straßen-Beat. So wie im Bereich der Bläser die „disziplinierten Techniker und flinken Vom-Blatt-Spieler“107) Platz für die Improvisatoren aus der Unterschicht machen mussten, so war im Bereich der Rhythmusgruppe offenbar das Talent von Leuten wie Black Benny gefragt. Der Second-Line-Beat der Brassbands dürfte wohl aus der afro-amerikanischen Subkultur der Uptown gekommen sein, die ihre Wurzeln vor allem in den Traditionen der Sklaven auf den Plantagen Louisianas (den größten der USA) und Mississippis (den zweitgrößten)108) hatte.109) Inwiefern das Plantagen-Erbe in New Orleans mit dort im Untergrund bestehenden Traditionen verschmolz, liegt im Dunkeln.110)

Die Forscherin Freddi Williams Evans brachte den Second-Line-Beat mit den sonntäglichen Tänzen am Congo Square in Verbindung, die noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfanden: Diese über lange Zeit erfolgten Tanztreffen seien wichtig gewesen für den Fortbestand der zum Teil direkt aus Afrika, zum Teil über die Karibik (insbesondere Haiti und Kuba) gebrachten Rhythmen in New Orleans. Sie würden die Grundlage für die auf amerikanischem Boden entstandenen musikalischen Formen bilden, unter anderem für den charakteristischen New-Orleans-Rhythmus, der als Street-Beat, Bamboula-Beat, Second-Line-Beat und New-Orleans-Beat bekannt sei.111) Der Jazz-Trompeter Wynton Marsali meinte sogar, dass die „Abstammungslinien aller wichtigen modernen amerikanischen Musik“ auf den Congo Square zurückgeführt werden könnten.112) Sowohl Evans als auch Marsalis Aussagen bestätigen die Feststellung des Autors Ned Sublette, in der New-Orleans-Musik bestehe der „Glaubensgrundsatz“, dass es eine Art Kontinuität vom Congo Square zum Jazz gibt, obwohl man nicht genau weiß, aus was diese Kontinuität bestehen sollte. Denn die auf dem Congo Square gespielte Musik habe wahrscheinlich wenig klangliche Ähnlichkeit mit allem gehabt, was man Jazz nennt.113) Allerdings dachte Sublette, dass die sehr eigenständige Musik der Mardi-Gras-Indianer auf den wahrscheinlich schon früh bestandenen lokalen, eigentümlichen Musikstil von New Orleans zurückzuführen sein könnte.114) Tatsächlich scheinen die traditionellen Instrumente der „Indianer“ auch auf dem Congo Square verwendet worden zu sein.115) Die Musik der Mardi-Gras-Indianer könnte demnach eine Art Bindeglied zwischen den afrikanischen und karibischen Einflüssen der Vergangenheit und den Second-Line-Rhythmen darstellen, die den neueren Musikarten aus New Orleans zugrunde liegen. Der aus New Orleans hervorgegangene Jazz-Schlagzeuger Ed Blackwell glaubte, dass die traditionellen afrikanischen Rhythmen, die früher am Congo Square zu hören waren, von den Mardi-Gras-Indianern in die moderne Zeit hinübergetragen wurden.116) Der west-afrikanische Charakter ihrer Musik, den Youssou N’Dour feststellte, spräche dafür. – Jedenfalls scheint der Congo Square als Symbol mit mythischem Reiz zu dienen, das die im Raum von New Orleans vielfältigen, schillernden afrikanischen Retentionen mit ihrer ursprünglichen Herkunft verbindet. Da für eine Klärung ihrer Zusammenhänge die notwendigen historischen Informationen fehlen und das afrikanische Erbe bis in die Gegenwart oft geleugnet oder verachtet wurde, liegt ein Bedarf an einem solchen Symbol nahe.

 

Zurück zu Retention

Verzeichnis aller Artikel

 

——————————————————

Fußnoten können direkt im Artikel angeklickt werden.

  1. Das von Pierre-Yves Borgeaud geleitete Filmprojekt Youssou N’Dour – Rückkehr nach Gorée, in dessen Rahmen N’Dours Reise erfolgte, wurde 2006 fertiggestellt.
  2. Ned Sublette: Ihre hochgradig stilisierten Kostüme beziehen sich nicht auf die amerikanischen Ureinwohner Louisianas, sondern auf die Prärie-Indianer-Kostüme der berühmten Wild-West-Shows der 1880er Jahre. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 294)
  3. Golden Eagles mit „Big Chief“ Monk Boudreaux
  4. QUELLE: Dokumentarfilm Youssou N’Dour – Rückkehr nach Gorée von Pierre-Yves Borgeaud, 2006 – Der senegalesische Musiker Henri-Pierre Koubaka (Université Cheikh Anta Diop de Dakar, Senegal) erklärte: Diese Assiko oder Sikko genannte Musik werde vor allem auf der Insel Gorée, die ungefähr drei Kilometer vor der senegalesischen Hauptstadt Dakar liegt, gespielt und sei eine Mischung aus Traditionen verschiedener west-afrikanischen Ethnien. Neben anderen Trommeln und einem Shaker werden drei viereckige Rahmentrommeln in verschiedenen Größen verwendet, die wahrscheinlich auf die von den Portugiesen mitgebrachte Adufe-Trommel zurückgehen. Die Insel Gorée sei ein wichtiger Umschlaghafen im Sklavenhandel gewesen und die gefangenen Afrikaner aus den verschiedenen Gebieten West-Afrikas hätten dort im gemeinsamen Leid ihre mitgebrachten Musiktraditionen vermischt und dann nach Amerika gebracht. (QUELLE: Internetseite zur internationalen Musikkonferenz Leading Music Education International Conference, die vom 28. Mai bis 1. Juni 2011 stattfand und von der Musikfakultät Don Wright Faculty of Music der University of Western Ontario in London, Ontario, Kanada, veranstaltet wurde. Henri-Pierre Koubakas Beitrag hatte den Titel Community Music and The Culture of Trans-border Peace in West Africa: The Case of the Assiko in Gorée [Sénégal], Internet-Adresse: http://ir.lib.uwo.ca/lme/May31/Program/2/) – Im erwähnten Dokumentarfilm Youssou N’Dour – Rückkehr nach Gorée wird die Entstehung der Assiko-Musik ebenfalls im Zusammenhang mit dem Stützpunkt des Sklavenhandels auf der Insel Gorée erklärt. Nach der deutschen sowie der englischen Wikipedia-Seite über Gorée spielte diese Insel nach Forschungsergebnissen aus den 1990er Jahren allerdings eine geringere Rolle im Sklavenhandel, als zuvor angenommen wurde.
  5. Ned Sublette: Die erste bekannte förmlich organisierte Mardi-Gras-Indianer-Gang sei die Creole Wild West gewesen, die Mitte der 1880er Jahre vom Stuckateur Becate Batiste gegründet wurde. Sie sei offensichtlich von der Wild-West-Show des Bison-Jägers und Geschäftsmannes „Buffalo Bill“ Cody inspiriert worden, die in der Saison 1884/85 in New Orleans spielte und auch eine Werbe-Parade durch die Uptown-Straßen mit voll kostümierten Prärie-Kriegern veranstaltete. Allerdings sei damit lediglich einer Sache Form geben worden, die schon davor in Gang war. Dass sich Afrikaner im Karneval als Indianer verkleiden, sei so alt wie die Sklaverei in dieser Hemisphäre. Von Brasilien über Trinidad und Haiti bis New Orleans tauche die Darstellung Eingeborener in der schwarzen Ikonografie auf. Das Verkleiden sei auch eine Aussage darüber, wie Afrikaner überlebten und wie sich Kulturen vermischten, besonders in Louisiana. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 295) – Reid Mitchell: Der Beginn der Mardi-Gras-Indianer sei unbekannt, jedenfalls scheine es sie in den 1880er Jahren gegeben zu haben. Michael P. Smith habe das Auftauchen der „Indianer“ plausibel mit der Buffalo-Bill-Wild-West-Show in Verbindung gebracht, die 1884/85 den Winter in New Orleans verbrachte. Auch sei Smiths Schlussfolgerung überzeugend, dass die Mardi-Gras-Indianer keine Erweiterung analoger Traditionen in Haiti und Trinidad sind, sondern (mit einigen wechselseitigen Befruchtungen) eine eigene Entwicklung, die auf west-afrikanischen Modellen beruhe. Der Zeitpunkt des Auftauchens der „Indianer“ in den 1980er Jahren sei bezeichnend: Ungefähr 20 Jahre waren seit der Aufhebung der Sklaverei vergangen und viele Hoffnungen seien mittlerweile von der rassistischen „Jim-Crow“-Ordnung zerbrochen worden. Sich als Indianer zu maskieren sei eine Form des „schwarzen“ Protestes gewesen. „Die Leute mussten eine Maske aufsetzen, um eine andere abzulegen.“ (QUELLE: Reid Mitchell, All on a Mardi Gras Day, 1995, in der Kindl-Version: Kapitel Mardi Gras Indians, im Buch: S. 113-130, eigene Übersetzung)
  6. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 297
  7. Nach Aussage des New Orleanser Schlagzeugers Herman Ernest (geboren 1951) verwendeten die „Indianer“ noch in den 1970er Jahren nur ein Tomtom, mehrere Tamburine und andere kleine Perkussionsinstrumente wie Kuhglocken und Shaker. (QUELLE: DVD-Lehr-Video New Orleans Drumming: From RSB to Funk, 1993, Interviewer: Dan Thress) – Im vermutlich ersten Dokumentarfilm über die Mardi-Gras-Indianer aus dem Jahr 1976 ist nicht einmal ein Tomtom zu sehen. (QUELLE: Film The Black Indians of New Orleans, 1976, von James Hinton/Maurice Martinez, Internet-Adresse der Bezugsquelle: http://doorknobfilms.com/the-black-indians-of-new-orleans/, Kommentar dieser Internetseite zum Film: „Diese klassische, preisgekrönte Dokumentation ist die erste definitive Behandlung der Ursprünge und Rituale der schwarzen Mardi Gras Indianer von New Orleans. Er zeigt zwei Stämme: Die Yellow Pocahontas, geleitet von „Big Chief” Allison „Tootie” Montana, und die White Eagles, geleitet von „Big Chief” Gerald „Jake” Milon.“ [eigene Übersetzung]) – Ernest beschrieb allerdings, wie ein gewisser, auf einem Tomtom gespielter Grundrhythmus schon von weitem in den Straßen zu hören war und Jugendliche hin liefen. – Matt Sakakeeny: Seit den frühesten belegten Zusammenkünften seien Tamburine die treibende rhythmische Kraft gewesen und Kuhglocken, Flaschen, Stöcke und andere improvisierte Instrumente fügten Akzente hinzu. (Quellenangabe: Daniel J. Crowley, The Traditional Masks of Carnival, 1956) In den 1960er Jahren seien zum ersten Mal Conga-Trommeln aufgetaucht und bald darauf sei die Bass-Trommel hinzugekommen. Während die Instrumente immer perkussiv gewesen seien, scheine die einzige Konstante die Tamburine zu sein. Andere Instrumente, wie Jawbones [Unterkieferknochen von Tieren] und Kalebassen von gestern und die einst umstrittenen Congas und Bass-Trommeln, seien je nach Verfügbarkeit, gegenwärtiger Vorlieben und ökonomischer Grenzen gekommen und gegangen. (QUELLE: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 14, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf)
  8. QUELLE: Dokumentarfilm Youssou N’Dour – Rückkehr nach Gorée von Pierre-Yves Borgeaud, 2006
  9. die beiden Stücke To-Wa-Bac-A-Way.The Indian Race und Red, White, and Blue Got the Golden Band aus dem Album The Music of New Orleans, aufgenommen von Samuel Charters am 25. Oktober 1956
  10. als Spy-Boy (Späher) – QUELLE: Jelly Roll Morton, Library of Congress interview, mit Alan Lomax, Disc 1681A, 8. Juni 1938, Album The Complete Library of Congress Recordings, CD 6, Stück 7 Ungai Hai, Internet-Adresse einer Transkription des Interviews: http://www.doctorjazz.co.uk/locspeech4.html
  11. Herman Ernest antwortete auf die Frage, ob die Musik der „Indianer“ vorbereitet oder improvisiert ist, dass sie ganz improvisiert sei. (QUELLE: DVD-Lehr-Video New Orleans Drumming: From RSB to Funk, 1993, Interviewer: Dan Thress) – David Elliott Draper: Variation in der Aufführung der Songs werde durch die vom Song-Leiter eingesetzten extensiven Improvisations-Techniken erreicht. Selbst in Songs mit festgesetzten melodischen Mustern zeige sich die Ausrichtung auf Improvisation, denn zumindest die rhythmische Struktur werde dann ausgiebig bearbeitet. (QUELLE: David Elliott Draper, The Mardi Gras Indians: the ethnomusicology of black associations in New Orleans, 1973, Tulane University, New Orleans, S. 360) – George Lipsitz: Das Wortspiel bilde eine wichtige Facette der Auftritte der „Indianer“. Ein früherer Häuptling habe erklärt: „Die Idee des Singens eines Indianer-Songs ist, etwas zu reimen, schnell zu denken, um es zu reimen.“ Wenn sich Stämme auf den Straßen treffen, sei das „Talking“ der Häuptlinge Teil ihres Wettkampfs. Sie reimen Lobpreisungen für sich selbst und Beleidigungen für ihre Feinde, in der Art der populären afro-amerikanischen Volksspiele „Playing the Donzens“. (QUELLE: George Lipsitz, Time Passages, 1990, Kindle-Version, Kapitel 10 Mardi Gras Indians. Carnival and Counter-Narrative in Black New-Orleans, eigene Übersetzung)
  12. Reid Mitchell: Bestimmte Songs seien im Erbe der „Indianer“ zentral. (QUELLE: Reid Mitchell, All on a Mardi Gras Day, 1995, Kindle-Version: Kapitel Mardi Gras Indians, Buch: S. 113-130, im Zusammenhang mit Ausführungen des Buches Up from the Cradle of Jazz) – George Lipsitz: Das Kern-Repertoire der „Indianer” bestehe aus weniger als 20 Songs, von denen es jedoch jeweils viele Varianten gebe. Laufend würden neue Songs populär und verschwänden alte, aber sie würden stets dieselben vertrauten Worte und Melodien verarbeiten. (QUELLE: George Lipsitz, Time Passages, 1990, Kindle-Version, Kapitel 10 Mardi Gras Indians. Carnival and Counter-Narrative in Black New-Orleans) – Matt Sakakeeny: Viele der heute gespielten Songs würden aus einer Zeit vor der Dokumentierung der „Indianer“-Musik, möglicherweise sogar aus dem 19. Jahrhundert, stammen. Jeder „Indianer“ müsse Two-Way-Pocky-Way und Red Indian kennen. Doch verändere sich das Repertoire auch ständig und es sei bei den verschiedenen Stämmen unterschiedlich. „Big Chief“ Bo Dollis von den Wild Magnolias habe gesagt: „Die allermeisten Songs sind ähnlich. […] es ist immer dieselbe Art von Beat“. (QUELLE: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans Jahrgang XVI [16:9-24], S. 14, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf, eigene Übersetzung)
  13. Alexander Stewart: Die Mardi-Gras-Indianer-Gesänge, die Samuel Charters aufnahm, zeigen verblüffende Ähnlichkeiten mit afro-kubanischen Musik-Praktiken. Abgesehen von der grundlegenden Struktur des Wechsels von Solo und Antwort enthalten beide Stücke den allgegenwärtigen „Cinquillo“-Rhythmus. (QUELLE: Alexander Stewart, 'Funky Drummer': New Orleans, James Brown and the Rhythmic Transformation of American Popular Music, Zeitschrift Popular Music, Jahrgang 19, Nummer 3, Oktober 2000, S. 306f., Internet-Adresse: http://www.jstor.org/stable/853638, eigene Übersetzung)
  14. Der Tresillo besteht aus einem Achter-Zyklus, in dem drei Schläge möglichst gleichmäßig verteilt sind, sodass sich folgende Reihe von Schlägen (X) und Pausen (o) ergibt: XooXooXo – Der Komplementär-Rhythmus (das heißt, die Pausen werden geschlagen, die Schläge pausiert) ist der Cinquillo: XoXXoXX (fünf Schläge möglichst gleichmäßig auf acht Pulse verteilt).
  15. QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 133f. – Der Tango/Habanera-Rhythmus hat folgendes Muster: XooXXoXo (X=Schlag, o=Pause). – Bei einem Zyklus von vier Beats wird die Eins gespielt, die Zwei auf das „Und“ nach der Zwei verschoben, die Drei und die Vier gespielt. Lässt man die Drei aus, so erhält man den Tresillo.
  16. Zu Timelines im Artikel Tanztrommel: Link
  17. Ned Sublette: Er habe vor kurzem vier Sets von Kampf-Tänzen bei einer „Übung“ der „Indianer“-Gruppe Wild Magnolias miterleben dürfen. Der karibische Einfluss sei im „Übungs“-Kontext besser zu hören als auf der Straße, denn die Gruppe habe bei der „Übung“ eine stationäre Perkussions-Batterie eingesetzt. Wenn sie in Klubs spielt, klinge ihre Musik mehr wie elektrischer Funk, aber bei der „Übung“ sei lediglich ihr Perkussions-Arsenal eingesetzt worden. Was die „Indianer“ dabei die ganze Zeit, stundenlang, spielten, sei das, was man im Spanischen Cinquillo nennt, etwas, das man in der gesamten Karibik höre: BOM-ba-BOM-ba-BOM. BOM-ba-BOM-ba-BOM … die ganze Nacht. Man höre diesen Rhythmus auch, wenn die „Indianer“ tatsächlich auftreten. (QUELLE: von Garnette Cadogan geführtes Interview mit Ned Sublette, veröffentlicht Mai 2008, Internet-Adresse: http://bombsite.com/issues/0/articles/3149) – David Elliott Draper führte in seiner Dissertation aus dem Jahr 1973 rhythmische Muster an, die er bei der Analyse von „Indianer“-Songs, die er aufgenommen hatte, in den Perkussions-Parts fand. Zu ihnen zählten auch der Cinquillo mit Varianten und der Tresillo. Diese Muster wurden zum Teil abwechselnd verwendet. (QUELLE: David Elliott Draper, The Mardi Gras Indians: the ethnomusicology of black associations in New Orleans, 1973, Tulane University, New Orleans, S. 263f. und 284)
  18. Maya Roy: Der Cinquillo sei die rhythmische Grundfigur in der gesamten Musik aus Saint-Domingue. (QUELLE: Maya Roy, Buena Vista. Die Musik Kubas, 2000, S. 50)
  19. QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 134 – Maya Roy: Catá bezeichne einen ausgehölten Baumstamm, auf dem der Grundrhythmus (Cinquillo) mit Stöcken geschlagen wird. (QUELLE: Maya Roy, Buena Vista. Die Musik Kubas, 2000, S. 210)
  20. QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 134 (mit Quellenangabe)
  21. Im Laufe der blutrünstigen Revolution strömten viele „Weiße“, freie Afro-Amerikaner und die als Eigentum mitgenommenen Sklaven auf umliegende Inseln (vor allem nach Kuba, aber auch nach Martinique, Jamaika und Puerto Rico) und zum Teil in die Südstaaten der USA, wo sie jedoch aufgrund der dortigen Angst vor mitgebrachter Bereitschaft zu Rebellion nicht willkommen waren und teilweise gezwungen wurden, weiter nach Norden (bis nach Boston) zu ziehen. (QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 115f.)
  22. QUELLEN: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 134; Maya Roy, Buena Vista. Die Musik Kubas, 2000, S. 210 – Die Flüchtlinge siedelten sich im östlichen Teil Kubas an (in der Provinz Oriente, mit den Städten Santiago de Cuba und Guantánamo). Sie bildeten dort die Tumba-Francesa-Gesellschaften und spielten und sangen unter anderem den Cocoyé mit dem Cinquillo als Grundmuster. (QUELLEN: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 134; Maya Roy, Buena Vista. Die Musik Kubas, 2000, S. 44-51)
  23. QUELLE: Maya Roy, Buena Vista. Die Musik Kubas, 2000, S. 84f. - Maya Roy: „In Verbindung mit anderen Rhythmusfiguren schuf das Cinquillo einen neuen Stil des Kontertanzes […] Aus dem Figurentanz wurde nach und nach ein Tanz, bei dem ein Paar sich umschlungen hielt, eine Form, die sich im danzón endgültig durchsetzte.“ (S. 85) Der Danzón sei der „erste Tanzrhythmus, der hundertprozentig kubanisch ist“. (S. 212) – Rául Martínez Rodríguez: Der Cinquillo sei die Keimzelle des Danzón gewesen. (QUELLE: Rául Martínez Rodríguez, Geschichten von Herzblut und Liebeskummer, in: Torsten Eßer/Patrick Frölicher [Hrsg.], „Alles in meinem Dasein ist Musik …“, 2004, S. 231) – Ned Sublette: Der Cinquillo habe ab 1852 einen neuen Stil von Contradanzas und Danzas in Havanna provoziert und sei der für den Danzón charakteristische Rhythmus. (QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 146 und 247)
  24. Er wuchs großteils bei seiner Großmutter, die französischer Abstammung war, und einer „schwarzen“ Kinderfrau auf, die beide aus Haiti geflohen waren.
  25. QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 147-154 – Bruce Boyd Raeburn: Gottschalks Kompositionen würden sein eklektisches Interesse an afro-französischen, afro-kubanischen, portorikanischen und brasilianischen Rhythmen widerspiegeln und die riesige Auswahl an kreolisierter Musik aufzeigen, die in New Orleans Mitte des 19. Jahrhundert verfügbar war. Nach dem Bürgerkrieg habe kubanische und mexikanische Musik eine noch stärkere Wirkung auf die musikalische Fantasie der Stadt gehabt. Bei der Weltausstellung in New Orleans 1884/85 habe eine mexikanische Kavalleriekapelle zum Beispiel eine regelrechte Manie für mexikanische Dancas und kubanische Danzons ausgelöst. (QUELLE: Bruce Boyd Raeburn, Beyond the „Spanish Tinge“, in: Luca Cerchiari/Laurent Cugny/Franz Kerschbaumer [Hrsg.], Eurojazzland. Jazz and European Sources, Dynamics, and Contexts, 2012, S. 29)
  26. Michael P. Smith: Vor der kubanischen Revolution, die in den späten 1950er Jahren stattfand, habe ein starker Schiffshandel die Haupthäfen Kubas (Santiago, Matanzas und Havanna) mit New Orleans verbunden. Mitglieder von Rumbero-Gruppen, mit denen er in Matanzas und Santiago gesprochen habe, hätten gesagt, dass sie New Orleans besucht und bei Mardi-Gras-Indianer-Treffen getrommelt hatten. Einige New-Orleans-Indianer seien ebenfalls Seeleute und hätten ihm erzählt, dass sie an ähnlichen kulturellen Bräuchen anderswo auf den Westindischen Inseln und in Südamerika teilnahmen. (QUELLE: Michael P. Smith, Behind the Lines: The Black Mardi Gras Indians and the New Orleans Second Line, Zeitschrift Black Music Research Journal, Jahrgang 14, Nummer 1, Selected Papers from the 1993 National Conference on Black Music Research, Frühjahr 1994, S. 57)
  27. QUELLEN: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 252; Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 123 – Viele von ihnen waren zunächst nach Kuba geflüchtet und von dort im Zusammenhang mit einem französisch-spanischen Krieg im Jahr 1809 vertrieben worden.
  28. Ned Sublette: Man könne mit Sicherheit sagen, dass kein Aspekt der Kultur von New Orleans vom Einfluss der Flüchtlinge aus Saint Domingue unberührt blieb. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 252)
  29. Eine Zeichnung in einem Bericht über die Tänze auf dem Congo Square aus dem Jahr 1819 zeigt, wie ein Trommler auf einer großen, umgelegten Trommel sitzt. Ned Sublette legte dar, dass diese Spielweise eine Besonderheit eines bestimmten haitianischen Tanzes ist. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 277)
  30. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 283
  31. Ned Sublette in Bezug auf Kuba: Die afro-amerikanischen Haitianer hätten ihre kreolisierte, aber immer noch afrikanische Kultur nach Kuba gebracht, die eingehende Kenntnisse in Kriegstechnik und eine revolutionäre Ideologie eingeschlossen habe und damit zentral für die Entwicklung einer Kultur im östlichen Kuba gewesen sei, die wiederholt in Revolution ausbrach. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 200)
  32. Ned Sublette: Sie sei für jedes größere damalige Ereignis in dieser Hemisphäre von zentraler Bedeutung gewesen, insbesondere auch für den Louisiana-Kauf der USA von Frankreich im Jahr 1803. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 203)
  33. Ned Sublette: Die Französische Revolution werde im Geschichtsunterricht als ein für die Entwicklung der modernen Welt fundamentales Ereignis behandelt, die haitianische Revolution hingegen trotz ihrer bedeutenden Auswirkungen nur als Fußnote. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 203)
  34. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 261 – Die freien Afro-Amerikaner seien als gesamte Klasse dem starken Verdacht der „Weißen“ ausgesetzt gewesen, Anführer von Sklaventruppen zu sein, sobald in Louisiana ein Aufstand im Stil von Saint-Domingue versucht wurde.
  35. vom spanischen Wort cimarrón abgeleitet
  36. Ned Sublette: Florida sei zu einem großen Teil unabhängiges Indianerland und ein Himmel für schwarze Maroons gewesen. Es sei für die Sklaven auf den Plantagen in South Carolina und Georgia kein Geheimnis gewesen, dass die unberührten Gebiete von Florida ein Ort waren, wo sie gut leben konnten. Seit mehr als einem Jahrhundert seien sie dorthin entwischt, verbanden sich dort mit den Seminolen und verheirateten sich mit ihnen. Die Afro-Amerikaner seien von den Seminolen nominell versklavt worden, doch in der Praxis sei das Abkommen mehr wie eine Naturalpacht (Sharecropping) gewesen und mit der Zeit scheine die Unterscheidung ein wenig unterhöhlt worden zu sein. – Die Pflanzer in dieser Region seien unglücklich über die große Maroon-Gemeinschaft in ihrer Nähe gewesen, die noch dazu militärisch trainiert war und ein eigenes Fort hatte. Tatsächlich hätten die Maroons mit dem Fort als Stützpunkt Überfälle jenseits der Grenze zu Georgia unternommen und im Jahr 1813 sogar schon einem Angriff von US-Truppen erfolgreich standgehalten. In zwei so genannten Seminolen-Kriegen (einem 1916 begonnenen und in einem siebenjährigen Guerillakampf, der 1935 begann) wurden sie jedoch besiegt, ihr Fort zerstört und tausende indianische wie „schwarze“ Seminolen aus Florida vertrieben. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 269f.)
  37. Ned Sublette: Nach allem, was über die einzigartige, vielschichtige Entstehung von Afro-Louisiana bekannt ist – die senegambische Mehrheit der französischen Jahre, die spanische Periode (1762-1800) mit dem Kongo-Schwergewicht, die afro-amerikanischen Protestanten, die vom oberen in den unteren Süden gebracht wurden, die Diaspora aus Saint Domingue (Haiti) nach der dortigen Revolution (1804) und die von Piraten angeschleppten Afrikaner, die auf der Route nach Cuba abgefangen wurden – liege es nahe, dass es in New Orleans schon früh einen lokalen, eigentümlichen Stil gab, der anders klang als Musikstile von anderswo. Vielleicht klinge deshalb heute nichts wie die sich nach wie vor weiterentwickelnde Musik der Gruppen afro-amerikanischer Männer, die als Mardi-Gras-Indianer bekannt sind. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 287)
  38. In den Straßenbahnen von New Orleans wurden die Tafeln „Nur für Weiße“ im Jahr 1958 offiziell entfernt. Im Herbst 1960 betraten in New Orleans vier kleine afro-amerikanische Mädchen mit Polizeischutz unter massivem Widerstand und vor einer Menge Protestierender eine Schule für „Weiße“. Die volle Integration kam in den öffentlichen Schulen von New Orleans erst 1970. (QUELLEN: Nikki Brown, University of New Orleans, Jim Crow/Segregation [1865-1970], 20. Mai 2011, Internet-Adresse: http://www.knowla.org/entry/735/; Nikki Brown, University of New Orleans, New Orleans School Crisis [1960], 31. November 2011, Internet-Adresse: http://www.knowla.org/entry/723/)
  39. Reid Mitchell: Anfang des 20. Jahrhunderts sei es häufig zu Gewalt zwischen verschiedenen „Indianerstämmen“ gekommen, mitunter auch zu Konfrontation mit „Weißen“. Mitte des 20. Jahrhunderts hätten die „Indianer“ die Gewalt in ihren Wettkämpfen zurückgefahren. Der Wettkampf zwischen den „Stämmen“ sei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem der Lieder, Tänze und des Schauspiels geworden. Solche ästhetische Wettbewerbe seien seit Langem bei karibischen Festivals üblich. Die „Indianer“ würden durchaus in diese Traditionen sowie auch in die lokalen wie internationalen Traditionen von Karnevalsgewalt passen. Sie hätten sich auch im Zusammenhang mit dem Anwachsen und den ethnischen Rivalitäten der „schwarzen“ Bevölkerung entwickelt. Die „schwarze“ Bevölkerung von New Orleans habe im Jahr 1860 ungefähr 25.000 betragen, im Jahr 1880 fast 60.000. Dieser Bevölkerungszuwachs sei weitgehend durch Migration vom Land in die Stadt verursacht worden. Nach der Emanzipation seien die befreiten Leute nach New Orleans geströmt. Innerhalb der „schwarzen“ Gemeinschaft habe im Allgemeinen eine Rivalität zwischen Kreolen und Afro-Amerikanern bestanden. Unter den „Indianern“ hätten die stärksten Rivalitäten zwischen der kreolischen Downtown und der amerikanischen Uptown bestanden. Die jüngste, verständliche Bewunderung der Kostüme, der Musik und der Volkskultur der Mardi-Gras-Indianer verdecke manchmal die Tatsache, dass Leute, die hinausgehen, um gewaltsame Konfrontation zu suchen, ein trauriges Schauspiel seien, egal wie farbenprächtig ihre Tracht ist. Das Maskieren als Indianer erlaube Leuten die Selbstbekundung, die in ihrem alltäglichen Leben nicht viel Möglichkeit dazu haben. Aber die gewaltsame Selbstbehauptung richtete sich gegen andere, die genauso unterdrückt waren. Die „Indianer“-Tradition zähle jetzt zu den hübschesten des Karnevals, auch wenn der Wettstreit zwischen den „Stämmen“ bleibt. Wenn die „Spione“ von rivalisierenden „Stämmen“ einander erspähen und ihre „Häuptlinge“ entscheiden, um die Vorherrschaft zu wetteifern, dann würden sich die beiden „Spione“ auf den gegenüberliegenden Straßenseiten aufbauen und darauf warten, dass sich ihr gesamter „Stamm“ hinter ihnen aufstellt. Dann würde jeder „Indianer“ die Straße überqueren und einer nach dem anderen jedem „Indianer“ des gegnerischen „Stammes“ entgegentreten, prahlend, sein Kostüm vorführend, ein Scheingefecht tanzend und traditionelle Songs singend. Obwohl proklamiert werde, dass Gewalt ein Ding der Vergangenheit ist, läge sie in der Luft. In der Theorie suche kein „Indianer“ Streit. Aber jeder „Indianer“ habe sich auf Streit vorbereitet zu fühlen. (QUELLE: Reid Mitchell, All on a Mardi Gras Day, 1995, Kindle-Version, Kapitel Mardi Gras Indians; Buch S. 113-130) – Robert McKinney: Vor 10 Jahren (also bis ungefähr 1935) kämpften die Stämme tatsächlich, wenn sie sich trafen. Einmal sei schließlich ein Polizist von einem Indianerspeer schwer verletzt und daraufhin ein Gesetz erlassen worden, das den Stämmen das Tragen von Waffen verbat. Heute (1945) seien die Stämme alle freundschaftlich. (QUELLE: Robert McKinney in: Lyle Saxon/Edward Dreyer/Robert Tallant, Gumbo Ya-Ya, 1945, S. 20, Internet-Adresse: http://archive.org/stream/gumboyaya00louirich/gumboyaya00louirich_djvu.txt) – Auch Alkohol und Marihuana scheinen bei den Auftritten der „Indianer“ eine erhebliche Rolle gespielt zu haben. (QUELLEN: Robert McKinney, S. 19 und 21; Tony Scherman, Backbeat. Earl Palmer’s Story, 1999, S. 10) – Ähnliche Gewaltausbrüche bei Festen gab es wohl in vielen Teilen der Erde. Zum Beispiel kam es im alpenländischen Zillertal bei jährlichen Dorffesten früher regelmäßig zu Kämpfen zwischen den Jugendlichen benachbarter Dörfer, bei denen schwere Verletzungen (zum Beispiel abgebissene Ohren, eingedrückte Augen) und manchmal auch Tote zu beklagen waren. Mädchen beteiligten sich, indem sie die Burschen mit Steinen belieferten. (QUELLE: ein schriftlicher Bericht, der in einer Volksmusik-Radiosendung des Österreichischen Rundfunks wiedergegeben wurde) – Letztlich macht die Gewalt, die die „Indianer“-Gruppen früher ausübten, sowie ihr verbliebener prahlerischer, kriegerischer Männlichkeitskult es einem wohl nicht ganz einfach, weder ihre gesamte Tradition abzulehnen noch diese negativen Seiten als Widerstandskampf zu beschönigen. Die Problematik steht wohl nicht zuletzt auch mit der Jahrhunderte andauernden Brutalisierung der menschlichen Verhältnisse durch die Gräuel der Sklaverei und die anschließende rassistische Unterdrückung in Zusammenhang.
  40. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 296
  41. Jelly Roll Morton erzählte, dass Frauen nie an den Umzügen der „Indianer“ beteiligt waren. Ned Sublette: Heute gäbe es „Indianerinnen“, aber es sei nach wie vor eine Männersache. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 303)
  42. Die Gangs verwendeten zum Beispiel auch ein privates Vokabular, wie den erwähnten Ausdruck „Two-Way-Pak-E-Way“. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 296) – Matt Sakakeeny: Die Sprache, die die „Indianer“ in ihren Gesängen verwenden, sei eine hybride Mischung aus kreolischem Französisch, Englisch und Nonsens-Phrasen. (QUELLE: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 18, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf)
  43. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 295
  44. Ned Sublette: Jedes Jahr müssen gänzlich neue Kostüme entworfen und genäht werden. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 294)
  45. practices
  46. Michael P. Smith: Die „Indianer“ gingen ihrer Musiktradition am intensivsten vier bis sechs Monate vor Mardi Gras nach. Im Herbst würden sich die „Indianer“-Gangs am Sonntag in verschiedenen Rückzugsorten ihrer Nachbarschaften versammeln und bis spät in die Nacht trommeln, singen und tanzen. (QUELLE: Michael P. Smith, Behind the Lines: The Black Mardi Gras Indians and the New Orleans Second Line, Zeitschrift Black Music Research Journal, Jahrgang 14, Nummer 1, Selected Papers from the 1993 National Conference on Black Music Research, Frühjahr 1994, S. 60 und 62) – Nach George Lipsitz finden diese „Übungen“ das ganze Jahr über statt. (QUELLE: George Lipsitz, Time Passages, 1990, Kindle-Version, Kapitel 10 Mardi Gras Indians. Carnival and Counter-Narrative in Black New-Orleans) – Ausschnitte eines entsprechenden Treffens sind im Film The Black Indians of New Orleans von James Hinton/Maurice Martinez aus dem Jahr 1976 zu sehen. (QUELLE: Internet-Adresse: http://doorknobfilms.com/the-black-indians-of-new-orleans/)
  47. David Elliott Daper führte jene musikalischen Eigenschaften an, die nach Richard A. Waterman (African influence on the music of the Americas, 1952) als afrikanische Merkmale für die Untersuchung afro-amerikanischer Musik bedeutsam sind: 1. der Metronom-Sinn in der rhythmischen Präsentation, 2. eine Dominanz der Perkussion, 3. Polymetren, 4. Off-Beat-Phrasierung melodischer Akzente, 5. überlappende Ruf-und-Antwort-Muster. Nach Analyse der „Indianer“-Musik gelangte er zum Schluss, dass sie in stilistischer Hinsicht genau jene Merkmale widerspiegle, die Waterman als unverwechselbar afrikanisch betrachtete. (QUELLE: David Elliott Draper, The Mardi Gras Indians: the ethnomusicology of black associations in New Orleans, 1973, Tulane University, New Orleans, S. 229 und 360) – Die Begriffe des „Metronom-Sinns” und des „Polymetrums” mögen mittlerweile fragwürdig sein, wie auch die Auffassung, afrikanische Musik könne durch gewisse Merkmale generell von Musik aus anderen Weltgegenden klar abgegrenzt werden, doch legt die vorrangige Bedeutung von Groove, Perkussion, rhythmischer Komplexität und spontaner, interaktiver Gestaltung in der „Indianer“-Musik zweifelsohne eine Verbindung zu west-afrikanischen Musiktraditionen nahe.
  48. Halifu Osumare: In Nord- und Lateinamerika sei das Zelebrieren von Straßenparaden im Karneval für Sklaven ein befreiender Prozess gewesen, bei dem sie im Rahmen der europäischen Karnevals-Traditionen Aufführungen entwickeln konnten, die ihren eigenen, afrikanischen Modellen entsprechen. (QUELLE: Halifu Osumare, The Africanist Aesthetic in Global Hip-Hop, 2007, S. 13f.)
  49. Thomas Brothers über die „Back of Town“-Gegend im Third Ward von New Orleans, in der Louis Armstrong die ersten Jahre seines Lebens verbrachte und die „das Schlachtfeld” genannt wurde: Armstrong habe die Bezeichnung damit erklärt, dass die Typen dort so viel schossen und kämpften. Ein Eddie Dawson habe gesagt, dass die Polizei abgeneigt war, dorthin zu gehen, weil es zu gefährlich war. Das Schlachtfeld sei auch als jener Platz bekannt gewesen, wo die „Indianer“-Umzüge endeten und die Gang-Rivalitäten in gewalttätige Konfrontation mündeten. (QUELLE: Thomas Brothers, Louis Armstrong’s New Orleans, 2006, S. 98f.) – Ned Sublette: Auf einem Platz, der „Schlachtfeld“ genannt wurde, im rauen südlichen Rampart-Straßen-Korridor der hinteren Stadt, wo Louis Armstrong aufwuchs, seien Streitereien mit richtigen Waffen ausgetragen, Kämpfer verletzt oder sogar getötet worden. Heute fließe hingegen viel von der Energie des Wetteiferns in das Anfertigen der Kostüme und Konflikte zwischen Gangs seien hochgradig ritualisiert. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 297) – Michael P. Smith erwähnte in Bezug auf die Zeit der 1990er Jahre, in denen gewalttätige Auseinandersetzungen längst vermieden wurden, dass die „Indianer“-Umzüge in Gegenden stattfinden, die selten von der Polizei aufgesucht werden, und dort ihre eigenen Codes der Straße gelten. (QUELLE: Michael P. Smith, Behind the Lines: The Black Mardi Gras Indians and the New Orleans Second Line, Zeitschrift Black Music Research Journal, Jahrgang 14, Nummer 1, Selected Papers from the 1993 National Conference on Black Music Research, Frühjahr 1994, S. 45)
  50. bestehend aus „Spy-Boys” (Spionen), „Flag-Boys“ (Fahnenträgern), „Wild-Man“ (Medizinmann), „Chiefs“ (Häuptlingen), „Big-Chief“, eventuell „Council-Chief“, „Queens“ und „Scouts“ (Spähern)
  51. George Lipsitz: Ihre Song-Texte, ihre Kostüme, ihre Sprache und ihre Tänze würden alle dieselben Werte zum Ausdruck bringen: Anmut, Kraft, Eleganz, Präzision, Fröhlichkeit, Gelassenheit und Würde. (QUELLE: George Lipsitz, Time Passages, 1990, Kindle-Version, Kapitel 10 Mardi Gras Indians. Carnival and Counter-Narrative in Black New-Orleans)
  52. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 294; der Song heißt My Indian Red
  53. Michael P. Smith: Obwohl sie zuvor nie als Maroons angesehen worden seien, würden die „Indianer“ in deren Bild passen. Sie seien rebellische Gruppen, die rund um das Jahr eine Gemeinschaft aufrechterhalten, die weitgehend der Bewahrung ihres traditionellen afrikanischen Erbes gewidmet ist. Ihre neue „Wildnis“-Enklave sei die innere Stadt von New Orleans geworden. In Gegenden, die selten von der Polizei aufgesucht werden, würden sie den Codes der Straße entsprechend auf sich selbst Acht geben. Während des 19. Jahrhunderts „flüchteten so viele geflohene Sklaven in die Stadt, dass ihre Anwesenheit begann, die Unterscheidung zwischen Freien und Sklaven in New Orleans zu unterlaufen“ (Quellenangabe: Joseph Logsdon/Caryn Cosse Bell, The Americanization of Black New Orleans, in: Arnold Hirsch/Joseph Logsdon [Hrsg.], Creole New Orleans. Race and Americanization, 1992, S. 210). Viele dieser Maroons hätten sich in praktisch autonomen kreolischen Stadtbezirken von New Orleans verloren, wo die Durchsetzung der Stadtgesetze notorisch lax gewesen sei (Quellenangabe: Joseph Logsdon/Caryn Cosse Bell, Einleitung zu Teil 2, The American challenge, in: Arnold Hirsch/Joseph Logsdon [Hrsg.], Creole New Orleans. Race and Americanization, 1992, S. 207). Das seien nach wie vor die Hauptgegenden, wo die „schwarzen“ Indianer-Gangs zu finden sind. (QUELLE: Michael P. Smith, Behind the Lines: The Black Mardi Gras Indians and the New Orleans Second Line, Zeitschrift Black Music Research Journal, Jahrgang 14, Nummer 1, Selected Papers from the 1993 National Conference on Black Music Research, Frühjahr 1994, S. 45 und 47, eigene Übersetzung)
  54. Schwarzer Falke
  55. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 298f. – Sublettes Aussagen über die Black-Hawk-Bräuche beziehen sich auf die Zeit der 1980er und 1990er Jahre. Aus dieser Zeit stammen jedenfalls die Quellen, auf die er sich stützte.
  56. Ned Sublette: Die vielfältigen Verbindungen im Untergrund – das Erbe des Congo Square, Voodoo, die musikalischen Beerdigungs-Prozessionen, die Mardi-Gras-Indianer, die spiritualistischen Kirchen und andere kulturelle Phänomene – kämen nach wie vor in der gegenwärtigen Musik von New Orleans zusammen. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 299)
  57. Zum Beispiel sagte Idris Muhammad: Die „Indianer“ seien „die wichtigste Kultur des Mardi Gras. Denn diese Typen sind so schön und die Kostüme so prachtvoll. Sie werden nur zweimal im Jahr getragen: zum Mardi-Gras-Tag, am Super Sunday und eventuell in der Saint-Joseph-Nacht. […] Ich glaub, in der Zeit der Sklaverei gab es die Indianer, die hier lebten. Es gab die Semiolen, die in den Sümpfen lebten. Und dann gab es die Sklaven. Ich glaub, die hatten einen freien Tag im Jahr. Und da mischten sich Indianer und Sklaven. Die Sklaven kleideten sich wie Indianer und die Indianer wie die Sklaven. Und diese Tradition ging immer weiter, bei der die Schwarzen von den Indianern diese Kostüme übernahmen.“ (QUELLE: Dokumentarfilm Youssou N’Dour – Rückkehr nach Gorée von Pierre-Yves Borgeaud, 2006) – Auch Richard Brent Turner in Jazz Religion, the Second Line, and Black New Orleans (2009) und George Lipsitz in Time Passages (1990) scheinen in Form ziemlich philosophischer Überlegungen zu einer gewissen Verklärung der „Indianer“ zu neigen.
  58. Michael P. Smith: Obwohl die heutigen Indianer-Gangs am besten für ihre spektakulären Kostüme im Karneval bekannten seien, bestände ihr weitreichendster Beitrag zum modernen New Orleans in ihrer Musik. (QUELLE: Michael P. Smith, Behind the Lines: The Black Mardi Gras Indians and the New Orleans Second Line, Zeitschrift Black Music Research Journal, Jahrgang 14, Nummer 1, Selected Papers from the 1993 National Conference on Black Music Research, Frühjahr 1994, S. 65)
  59. QUELLE: Dokumentarfilm Youssou N’Dour – Rückkehr nach Gorée von Pierre-Yves Borgeaud, 2006
  60. QUELLE: DVD-Lehr-Video New Orleans Drumming: From RSB to Funk, 1993, Interviewer: Dan Thress
  61. QUELLE: DVD-Lehr-Video New Orleans Drumming: From RSB to Funk, 1993, Interviewer: Dan Thress
  62. Album Rejuvenation (1974) der Gruppe The Meters
  63. Ernest spielte dasselbe Stück mit den Neville Brothers in deren Album Fiyo on the Bayou (1981). Er sagte in dem Video, Modeliste habe eine Marching-Art, New-Orleans-Art Sache gespielt, die offenbar mit dem Tamburinspiel der Mardi-Gras-Indianer zusammenhing. Ernest verteilte den Rhythmus vor allem auf mehrere Teile des Schlagzeugs, um (wie er sagte) den Song „upzudaten“.
  64. David Elliott Draper: Es gebe in New Orleans traditionellerweise zwei Distrikte: die Uptown und die Downtown, wobei die Canal Street als Trennungslinie diene. Der Downtown-Bereich, der das French Quarter (französische Viertel) einschließt, spiegle die frühen kulturellen Traditionen der französischen und spanischen Besetzungen von New Orleans wider. Der Uptown-Distrikt, dessen Zentrum als Garden District bekannt ist, habe sich als Zentrum der später gekommenen anglo-amerikanischen Bevölkerung entwickelt. Deshalb wiesen die beiden Distrikte unterschiedliche kulturelle Traditionen auf. Es bestehe seit jeher eine Rivalität zwischen den Afro-Amerikanern der Uptown und jenen der Downtown. Der Kontakt der Franzosen und Spanier zu afrikanischen Sklavinnen erzeugte eine neue Klasse der afro-amerikanischen Bevölkerung, die gens de coleur (Leute de Farbe), unter Afro-Amerikanern als Kreolen bekannt. Sie seien meistens im Stand der Befreiten gewesen. Die Afro-Amerikaner des Uptown-Bereiches blieben wesentlich weniger mit „Weißen“ vermischt. Die Afro-Amerikaner in den beiden Distrikten hätten somit unterschiedliche europäische Kultur-Modelle gehabt und die Entstehung der neuen Klasse der gens de coleur mit ihrem höheren sozialen Status in der Downtown habe zu Rivalität geführt. Das sei für die „Indianer“ sehr bedeutend, da sich jeder Stamm als Repräsentant eines Distriktes und einer bestimmten Neighborhood in ihm verstehe. (QUELLE: David Elliott Draper, The Mardi Gras Indians: the ethnomusicology of black associations in New Orleans, 1973, Tulane University, New Orleans, S. 29-31)
  65. QUELLE: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 17, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf, eigene Übersetzung – Modeliste ist auf einem Foto zu sehen, wie er anlässlich der Beerdigung des „Indianers” George Landry („Big Chief Jolly”) von den Wild Tchoupitoulas im Jahr 1981 auf der Straße in der Second-Line Tamburin spielte und tanzte. (QUELLE: Michael P. Smith, Mardi Gras Indians, 1994, S. 135)
  66. Diese Aufnahme ist im Album Mardi Gras in New Orleans von Mardi Gras Records, MG1001, 1987, enthalten. – Näheres zur Aufnahme: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 17, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf – Am Ende des zweiten Teils des Stückes (ursprünglich Rückseite der Single-Platte) steigt die Funk-Band aus und es sind kurz die „Indianer“ alleine zu hören. Im Jahr 1974 erschien das Album The Wild Magnolias, das Matt Sakaneeny als kommerziell ausgerichtet beschrieb (S. 19). Das nächste, 1975 erschienene Album dieser Gruppe (They Call Us Wild) enthält das Stück Golden Crown, in dem die „Indianer“-Gruppe alleine (ohne Funk-Begleitung) zu hören ist.
  67. Näheres zu diesem Album: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 21, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf
  68. Siehe auch Cyrill Nevilles Aussagen in: Art/Aaron/Charles/Cyrill Neville/David Ritz, The Brothers, 2000, S. xiv, 54, 130, 243-247 (auch Art und Aaron), 264, 280, 281 und 297
  69. Das ist jene „Indianer“-Gruppe, die auch im Dokumentarfilm Youssou N’Dour – Rückkehr nach Gorée von Pierre-Yves Borgeaud, 2006, zu sehen ist. – Zu einem Stück dieses Albums: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 18, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf
  70. Im Jahr 1990 erschien das Album I'm Back … at Carnival Time von Bo Dollis and Wild Magnolias mit der Rebirth Brass Band. Die Stücke werden hier großteils mit erhöhtem Tempo gespielt, sodass sie oft ein wenig hektisch wirken. Ein Kommentar von Matt Sakakeeny zu einem Stück dieses Albums findet sich in: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 18, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf). – Auch in der Praxis traten die Wild Magnolias mitunter mit einer Brassband auf, wie sich aus folgendem Bericht von Ned Sublette über den Mardi Gras 2006, den ersten nach der vom Hurrikan „Katrina” im August 2005 ausgelösten Flutkatasprophe, ergibt: Die „Indianer“ hätten mit Kriegergeist vorgeführt, dass die Gemeinschaft am Leben war, auch wenn ihre Reihen ausgedünnt waren. Ihre Auftritte schienen überall in der Stadt stattgefunden zu haben, selbst in den zerstörten Gegenden. In der Uptown habe zum Beispiel „Big-Chief“ Bo Dollis die Wild Magnolias mit einer Brassband auf die Straße hinaus geführt, etwas, das „Indianer“ normalerweise nicht tun. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 311) – Michael P. Smith: Im ganzen Herbst könnten Mitglieder der „schwarzen“ Indianer-Gangs in großer Zahl bei Second-Lines der traditionellen Sozialvereine gefunden werden, wie sie hinter den Brassbands tanzen, Kuhglocken, Tamburine, Triangel, Hupen, Shaker und andere handgemachte Instrumente spielen. (QUELLE: Michael P. Smith, Behind the Lines: The Black Mardi Gras Indians and the New Orleans Second Line, Zeitschrift Black Music Research Journal, Jahrgang 14, Nummer 1, Selected Papers from the 1993 National Conference on Black Music Research, Frühjahr, 1994, S. 60) – Am Mardi-Gras-Tag 2012 wurde eine Live-Kooperation von „Big Chief“ Bo Dollis mit seinen Wild Magnolias, „Big Chief“ Monk Boudreaux mit seinen Golden Eagles, der Rebirth Brass Band und weiteren Musikern (Champion Jack Dupree, Dr. John, Earl Turbinton, John Mooney, Willie Tee) aufgenommen und unter dem Titel The Mardi Gras Indians Super Sunday Showdown als Album veröffentlicht.
  71. Michael P. Smith: Streng genommen sei die Second-Line die Menge von Leuten, die einer traditionellen afro-amerikanischen Parade in New Orleans folgt. In der Umgangssprache meinen die Leute jedoch, wenn sie von einer Second-Line sprechen, das gesamte Ereignis – im Allgemeinen eine Brassband, eine Parade der „schwarzen“ Indianer oder ein Jazz-Begräbnis, gesponsert von einem der vielen traditionellen schwarzen Sozialklubs und Bürgervereine in der Stadt. (QUELLE: Michael P. Smith, Mardi Gras Indians, 1994, S. 27, zitiert in: Benjamin Doleac, Strictly Second Line. Funk, Jazz, and the New Orleans Beat, Ethnomusicology Review, Jahrgang 18, 2013, Internet-Adresse: http://ethnomusicologyreview.ucla.edu/journal/volume/18/piece/699)
  72. Alexander Stewart (Professor für Jazz-Studien und Ethnomusikwissenschaft an der Universität Vermont): Das „Noten-Gestöber“ der Tamburine und Trommeln der „Indianer“ führe zum vierten Beat (letzten Beat des 4/4-Taktes) hin und setze einen starken Akzent auf dem „Und“ nach dem vierten Beat (1-und-2-und-3-und-4-und-1- …). Dieser Akzent sei ein wichtiges Element der gesamten Second Line-Musik und dieser Perkussions-Stil sei nicht auf die Straßenumzüge beschränkt, sondern zumindest seit dem frühen Jazz ein Kennzeichen der New-Orleans-Musik. Die Second Line habe das Spiel der Schlagzeuger aus New Orleans geprägt, von Warren „Baby” Dodds, der Louis Armstrong bei seinen berühmten Aufnahmen der 1920er Jahre begleitete, über Vernel Fournier, der Ahmad Jamals Aufnahme Poinciana (1958) ihren Charme verlieh, bis zu Herlin Riley, der mit Wynton Marsalis spielte. Der New Orleanser Jazz-Schlagzeuger Herlin Riley habe diesen Groove mit dem „Nehmen einer Bremsschwelle“ verglichen. Die synkopierte Energie baue sich auf, erreiche auf dem vierten Beat einen „Buckel“ und löse sich auf dem folgenden ersten Beat auf. Second-Line-Grooves hätten außerdem längere Zyklen und würden eben jeden zweiten oder vierten Takt einen „Buckel“ nehmen. (QUELLE: Alexander Stewart, 'Funky Drummer': New Orleans, James Brown and the Rhythmic Transformation of American Popular Music, Zeitschrift Popular Music, Jahrgang 19, Nummer 3, Oktober 2000, S. 300 und 302, Internet-Adresse: http://www.jstor.org/stable/853638, eigene Übersetzung) – Ned Sublette: Wenn man zu den Habanera/Tango-, Tresillo- und Cinquillo-Rhythmen den Takt mit 1-2-3-4 zählt, dann ergebe sich „ein Buckel auf dem Und nach der Zwei und ein Klaps auf der Vier“. (QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 134f., eigene Übersetzung) – Die Asymmetrie dieser Rhythmen bewirkt wohl an jenen Stellen, wo die Struktur verkürzt ist, den Eindruck einer vorübergehenden Beschleunigung, beim Tresillo (3-3-2) zum Beispiel an der Zweier-Stelle.
  73. social aid and pleasure clubs
  74. Mick Burns (1942-2007, britischer New-Orleans-Stil-Musiker und Autor): Die Brassband-Musik sei eine Musik, die auf der Straße wächst, gefördert von den Neighborhoods. Der Hauptgrund für die Nachfrage nach Brassbands seien die Second-Line-Paraden und Beerdigungen im Auftrag der Sozialhilfe- und Vergnügungsklubs. Jeder Klub veranstalte an einem Sonntag im Jahr (meistens an seinem Jahrestag) eine Parade, für die er bis zu drei Brassbands engagiere. Da es gut 60 solche Klubs gebe, fänden heute (2006) von September bis Mai an den meisten Sonntagen Paraden statt. Vor 1970 habe es nur mehr wenige Brassbands gegeben, ihre Musiker seien überwiegend Veteranen gewesen und die Bands hatten nur wenig Arbeit. Von jungen Leuten seien sie eher als Relikt aus der Vergangenheit betrachtet worden und im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung seien sie mit der „Uncle Tom“-Rolle in Verbindung gebracht worden. Eine entscheidende Änderung der Entwicklung sei dann vor allem von Danny Barker in Gang gesetzt worden, einem 1909 geborenen Banjo-Spieler, der mit vielen berühmten Jazz-Musikern spielte. Barker gründete im Jahr 1971 die Fairview Baptist Church Brass Band, die hauptsächlich aus Jugendlichen bestand und junge Leute ansprach, vor allem auch um sie von der Straße fernzuhalten. Mitte der 1970er Jahre habe die bereits 1958 gegründete Olympia Brass Band (und dann auch andere Bands) mit Rhythm-and-Blues-Stücken viele Leute erreicht. Diese Bands hätten einen neuen Stil entwickelt, der dann von der Dirty Dozens Brass Band zu voller Reife gebracht worden sei. Ihr erstes Album My Feet Can’t Fail Me Now (1984) werde von Mitgliedern der jüngeren Rebirth Brass Band als ihre Bibel betrachtet. Diese Musik sei ein Vorläufer dessen gewesen, was heute von Musikern „Funk“-, „Street“-, „Urban“- oder „Simple“-Music genannt werde. Sie vermeide komplizierte Akkordwechsel; sei harmonisch freier; Bass-, Snare-Trommel sowie weitere Perkussions-Instrumente wie Kuhglocken und Tamburine verdichten den Beat, um schnellere, moderne Tanzrhythmen hervorzubringen; entscheidend sei eine stark groovende Bass-Linie des Bass-Blasinstruments, auf der die Straßenmusik beruhe. Schließlich habe auch der Hip-Hop Einzug gehalten und die von ihm mitgebrachten Einstellungen würden bei älteren Musikern auf Ablehnung stoßen. Sie wiesen darauf hin, dass sie anständige, einfache, glückliche, saubere, gestählte Leute waren, während nun ein krimineller Terror in der Stadt herrsche. (QUELLE: Mick Burns, Keeping The Beat On The Street, 2006, S. 5-8)
  75. Alexander Stewart: Viele Schlagzeuger, wie etwa Johnny Vidacovich und Bobby Sanabria, würden behaupten, die Clave im Second-Line-Trommeln und in den Funk-Schlagzeugstilen zu hören. (QUELLE: Alexander Stewart, 'Funky Drummer': New Orleans, James Brown and the Rhythmic Transformation of American Popular Music, Zeitschrift Popular Music, Jahrgang 19, Nummer 3, Oktober 2000, S. 306, Internet-Adresse: http://www.jstor.org/stable/853638) – Matthew Thomas Driscoll zitierte in seiner Dissertation den Bass-Trommler einer 1993 gegründeten Brassband „weißer“, ehemaliger Musikstudenten aus Wisconsin, die nationale und internationale Tourneen absolvierte. Nach Aussage dieses Trommlers sind im Second-Line-Beat zwei Clave-Muster im Spiel, die allerdings nicht explizit ausgeführt sein müssten. Es würde eine große Vielfalt an Variationen auftreten, die auf einer Wahrnehmung dieser Clave-Muster beruhen. Ein weiteres wichtiges Element sei ein Akzent auf dem letzten Upbeat der Phrase. Aber es gebe in all dem keine bindende Regel. Driscoll führte außerdem an, dass nach einer Aussage des Schlagzeugers Thomas Moore in dessen Buch Take it to the Street. A Study in New Orleans Street Beats and Second-line Rhythms as Applied to Funk, 2005, S. 7, die Snare-Trommel im Second-Line-Beat eine Mischung aus Marschrhythmus und 2-3-Clave spiele. Aus der Verwendung der Clave ergebe sich die Betonung des vierten Beats, die so genannte „große Vier“. Auch nach Moore gebe es allerdings keine strenge Regel, wie diese Rhythmen zu spielen wären, sondern es komme eher darauf an, die Rhythmen zu fühlen. (QUELLE: Matthew Thomas Driscoll, New Orleans Brass Band Traditions and Popular Music, PhD-Dissertation, University of Iowa, 2012, S. 21-23, Internet-Adresse: http://ir.uiowa.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=3288&context=etd)
  76. Siehe die im Fußnotentext oben wiedergegebenen Ausführungen von Mick Burns.
  77. Black Benny wurde im Jahr 1924 in einem Streit getötet.
  78. QUELLE: Nat Shapiro/Nat Hentoff, Hear Me Talkin' to Ya, 1966, ursprünglich 1955, S. 52
  79. QUELLE: John Storm Roberts, The Latin Tinge, 1999, ursprünglich 1979, Kapitel The Foundations, Kindle-Version
  80. Freddi Williams Evans: Die sonntäglichen Treffen am Congo Square seien zu einer Touristen-Attraktion geworden, gewiss einer der ersten der Stadt. Touristen sollen zu Hunderten, sogar Tausenden gekommen sein. Unter den Zuschauern seien auch Veranstalter gewesen, die sich Material für Zirkusnummern und Minstrel-Shows holten, wie einer von ihnen selbst berichtete. (QUELLE: Freddi Williams Evans, Congo Square, 2011, S. 43 und 51)
  81. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 124f.
  82. Die Bezeichnung „Bamboula“ wurde sowohl für die Tänze als auch für die dazugehörenden Rhythmen und Trommeln verwendet. (QUELLE: Freddi Williams Evans, Congo Square, 2011, S. 102)
  83. QUELLE: Freddi Williams Evans, Congo Square, 2011, S. 102f.
  84. Ned Sublette: Gottschalk, der ein ständig Reisender gewesen sei, habe Französisch, Englisch und Spanisch gesprochen und viele der Antillen-Inseln besucht, einschließlich (für längere Aufenthalte) Kuba. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 125) – Gottschalk sei in Havanna in der Bruderschaft der kubanischen Pianisten und Komponisten voll akzeptiert gewesen und habe im musikalischen Leben von Kuba eine derart prominente Rolle gespielt und so flüssig im kubanischen musikalischen Idiom komponiert und gespielt, dass es passend wäre, von ihm als einen kubanischen Komponisten zu sprechen. Auch habe er eine Schlüsselrolle in der Einführung des kubanischen Stils in den amerikanischen musikalischen Mainstream gespielt. – In Kuba sei Gottschalk unter anderem mit Manuell Samuell (1817-1870)] in Kontakt gestanden, der ein exzellenter Komponist gewesen sei. Saumells Einfluss sei nicht nur in Kuba, sondern auch in den Vereinigten Staaten zu spüren, und zwar durch seinen Einfluss auf Gottschalk. Gottschalks Biograph S. Frederick Starr habe geschrieben, dass Saumell „auf dem Haupt der Genealogie der lyrischen, synkopierten Musik steht, die sich durch Gottschalk in einer Menge kubanischer Meister des späten 19. Jahrhunderts fortsetzt und von dort bis zu Scott Joplin, Jelly Roll Morton, Artie Matthews und andere Schöpfer des amerikanischen Ragtimes.“ – Gottschalks Bestseller-Notenblätter im kubanischen Stil seien in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts immer noch gut bekannt gewesen und der neuen Generation klassisch ausgebildeter „schwarzer“ amerikanischer Komponisten, die den Ragtime schufen, fast mit Sicherheit vertraut gewesen. Starr komme zum Schluss, dass es unbestreitbar sei, dass „viele Akkord-Progressionen, Bass-Linien und sogar Melodie-Teile, die von Saumell und Gottschalk entwickelt wurden, später in Scott Joplins Musik wiederkehren“. (QUELLE: Ned Sublette, Cuba and Its Music, 2004, S. 149, 150, 154, eigene Übersetzung)
  85. QUELLE: John Storm Roberts, The Latin Tinge, 1999, ursprünglich 1979, Kapitel The Foundations, Kindle-Version
  86. Album African and Afro-American Drums (1954), Smithsonian Folkways; zum Beispiel die Stücke (12) Puerto Rico: Bomba Dance; (13) The Bahamas: Jumping Dance; (14) Cuba: Djuka Dance; (16) Haiti: Quitta Seche Dance; (21) Virgin Islands: Bamboula Dance. – Weitere Beispiele im Album Music of Haiti: Jahrgang 1, Folk Music of Haiti (1951), Smithsonian Folkways.
  87. Ned Sublette: Man wisse einige Dinge über die Musik auf dem Congo Square und könne einige fundierte Vermutungen anstellen. Man könne ziemlich sicher sein, dass der Rhythmus, der Habanera oder Tango genannt wird, einer der dort gespielten Rhythmen war. Wahrscheinlich dürfte etwas im Gang gewesen sein, das wie die Bomba in Puerto Rico oder die Tumba Francesa in Oriente (Kuba) klang. Man könne auf die noch zu wenig untersuchte Fundgrube an Informationen verweisen, die man heute im gegenwärtigen haitianischen Vodou-Trommeln finden kann. Allerdings gebe es Belege dafür, dass die Beteiligung in Afrika Geborener im Laufe der Zeit schwand und mehr durch einen kreolisierten Einfluss ersetzt wurde. Populäre Lieder hätten ihren Weg in das Gemisch gefunden und es scheine schon früh einen eigenen lokalen Stil in New Orleans gegeben zu haben. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 287)
  88. Im ehemals französischen Louisiana bezog sich die Bezeichnung „Kreolen“ ursprünglich auf die „weißen“, in Amerika geborenen Einwohner französischer oder spanischer Abstammung, später aber auch auf freie (nicht versklavte) Personen mit zum Teil afrikanischer Abstammung („Gens du Colour“, farbige Leute). Diese im Vergleich zu den afro-amerikanischen Sklaven eher hellhäutigeren „farbigen Kreolen“ hatten einen eigenen Status zwischen „Weißen“ und Sklaven. Sie waren die Nachfahren aus den häufigen Verhältnissen „weißer“ Männer (Plantagenbesitzer, Geschäftsleute und so weiter) zu Sklavinnen. Die aus diesen Verhältnissen stammenden, als Freie aufgewachsenen Nachkommen vermischten sich wiederum in vielfältiger Weise, sodass viele „Farbschattierungen“ entstanden, denen eine absurde gesellschaftliche Bedeutung beigemessen wurde. Der Grad der Helligkeit der Hautfarbe war ebenso entscheidend wie Vermögen und Bildungsstand. Es gab reiche „farbige Kreolen“, die selbst Sklaven besaßen, und eine breite Mittelschicht aus Handwerkern, Kleinunternehmern (viele Zimmerleute und Zigarrenmacher), Dienerinnen und Wäscherinnen. Trotz ihres grundsätzlich freien Status, waren sie nie mit „Weißen“ gleichgestellt und bemühten sich häufig, sich durch eine an „weiße“ Werte angepasste Lebensweise von Sklaven zu distanzieren. Der Rassismus der „weißen“ Bevölkerung spiegelte sich in einer Verachtung und Diskriminierung innerhalb der „farbigen“ Bevölkerung wider, je nach dem Helligkeitsgrad der Hautfarbe, für den es eigene Kategorien gab: Mulatten (für Kinder „weißer“ und „schwarzer“ Eltern), Griffes (Mulatten und „Schwarze“ als Eltern), Quadroons („Weiße“ und Mulatten), Octoroons („Weiße“ und Quadroons). Die Aufhebung der Sklaverei und die anschließende Diskriminierung aller Menschen mit zumindest „einem Tropfen afrikanischen Bluts“ durch die mit den Jim-Crow-Gesetzen und Terror eingerichtete Segregation nahm den „farbigen“ Kreolen ihre Vorrangstellung gegenüber den Afro-Amerikanern, die von Sklaven abstammten. Ihr Selbstverständnis als kreolische und damit höhergestellte (kultiviertere) „farbige“ Bevölkerungsgruppe behielten sie zum Teil lange weiter. In New Orleans wohnten sie bevorzugt in der Downtown. (QUELLE: Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz, 2003, S. 32-35)
  89. QUELLE: John Storm Roberts, The Latin Tinge, 1999, ursprünglich 1979, Kapitel The Foundations, Kindle-Version – Roberts außerdem an dieser Stelle: Mehrere wichtige frühe Musiker, die von Jazz-Autoren einfach als „kreolisch“ bezeichnet wurden, seien in Wahrheit mexikanischer Herkunft gewesen, zum Beispiel Lorenzo Tio sr., der viele bedeutende New-Orleans-Klarinettisten gelehrt habe. Zumindest zwei Dutzend Musiker mit spanischen Familiennamen seien regelmäßig in den Erinnerungen früher Jazz-Musiker aufgetaucht. Gewiss seien davon manche Spanier gewesen, andere aber Latinos. Sie hätten auch nicht nur in „weißen“ oder „kreolischen“ Bands gespielt, sondern manche von ihnen auch in „schwarzen“. So werde von Perlops Nunez gesagt, dass er in den 1880er Jahren [also eigentlich deutlich vor der Entstehung des Jazz] eine der ersten „schwarzen“ Bands geleitet habe, und ein Jimmy „Spriggs“ Palau habe mit Buddy Bolden gespielt.
  90. Der Musikforscher Alan Lomax nahm im Mai und Juli 1938 mehrere Interviews mit Jelly Roll Morton in der Library of Congress in Washington D.C. auf, die als Album Library of Congress Recordings erschienen und die Grundlage für folgendes Buch bildeten: Jelly Roll Morton/Alan Lomax, Mister Jelly Roll. The Fortunes of Jelly Roll Morton, New Orleans Creole and „Inventor of Jazz“, 1950, deutschsprachige Ausgabe: Doctor Jazz. Eine Autobiographie, 1960. Internet-Adresse einer Transkription der gesamten Aufnahmen: http://www.doctorjazz.co.uk/locspeech1.html
  91. John Storm Roberts nannte Jelly Roll Morton als jenen Jazz-Musiker, der hinsichtlich des lateinamerikanischen Einflusses auf den frühen Jazz die meiste Information bereitstellte. Probleme würden sich allerdings auch daraus ergeben, dass Morton sowohl Spanier als auch Latinos als „spanisch“ bezeichnete. (QUELLE: John Storm Roberts, The Latin Tinge, 1999, ursprünglich 1979, Kapitel The Foundations, Kindle-Version)
  92. Mortons mütterliche Linie lässt sich als Linie „farbiger Kreolen“ aus New Orleans und Haiti verstehen, mit der sich Morton offenbar identifizierte. Er sagte sogar, dass seine Vorfahren alle aus Frankreich gekommen seien (QUELLE: Jelly Roll Morton/Alan Lomax, Doctor Jazz. Eine Autobiographie, 1992/1950, S. 16). In Wahrheit bestanden sie aus „freien Farbigen“ und Slaven und erst in der vierten zurückliegenden Generation (also unter seinen Ur-Ur-Großvätern) finden sich drei „weiße“ Männer, die mit „farbigen“ Frauen Kinder zeugten. (QUELLEN: Transkription der Library of Congress Recordings, Abschnitt 1640 A, Internet-Adresse: http://www.doctorjazz.co.uk/locspeech4.html#locaafs4; Peter Hanley, Jelly Roll Morton. An Essay in Genealogy, Internet-Adresse: http://www.doctorjazz.co.uk/genealogy.html) – Mortons Vater war ein nicht-kreolischer, jedoch hellhäutiger „Schwarzer“. Alan Lomax kam nach Gesprächen mit Verwandten zum Schluss, dass Mortons Mutter aus einer Linie „ehrbarer kreolischer Hausangestellter und Zigarrenmacher stammte, während sein Vater ein Bluffer war“. (QUELLE: Jelly Roll Morton/Alan Lomax, Doctor Jazz. Eine Autobiographie, 1992/1950, S. 47)
  93. QUELLE: Transkription der Library of Congress Recordings, Abschnitt 1641 A, Internet-Adresse: http://www.doctorjazz.co.uk/locspeech4.html#locaafs4
  94. QUELLE: Jelly Roll Morton/Alan Lomax, Doctor Jazz. Eine Autobiographie, 1992/1950, S. 71
  95. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 2, S. 896
  96. QUELLE: Jelly Roll Morton, Alan Lomax, Doctor Jazz. Eine Autobiographie, 1992/1950, S. 71
  97. Bruce Boyd Raeburn: Der Autor Charles Hiroshi Garrett sei in seinem Buch Struggling to Define a Nation, 2008, Kapitel Jelly Roll Morton and the Spanish Tinge, der Frage nachgegangen, wie Morton „Spanish Tinge“-Elemente in den Jazz einarbeitete. Morton habe in der Klavier-Interpretation von New Orleans Blues (New Orleans Joys) einer Tresillo-Bass-Linie Blues-gebeugte Figuren im höheren Register entgegengesetzt. Garrett sei zum Schluss gelangt, dass „eine solche rhythmische Flexibilität sowohl auf die dynamischen improvisatorischen Möglichkeiten also auch auf die ständige Spannung, die vom Zusammenprall der unterschiedlichen musikalischen Impulse produziert wird, hindeutet. Wegen des charakteristischen Satzes von rhythmischen Mustern, die durch das Improvisieren über dem Tresillo-Bass hervorgebracht werden, mag es tatsächlich zweckmäßig sein, diesen Aspekt der Latin-Tinge nicht nur mit dem Vorhandensein einer spezifischen rhythmischen Zelle zu charakterisieren, sondern auch mit dem daraus resultierenden polyrhythmischen Charakter.“ (QUELLE: Bruce Boyd Raeburn, Beyond the „Spanish Tinge”, in: Luca Cerchiari/Laurent Cugny/Franz Kerschbaumer [Hrsg.], Eurojazzland. Jazz and European Sources, Dynamics, and Contexts, 2012, S. 27, eigene Übersetzung)
  98. Abschnitt der Interviews mit Morton, in dem es um die „Latin Tinge“ ging: Morton spielte den New Orleans Blues und sagte dann: „Das ist eines meiner frühesten Stücke. Diese Art von Stücken war zweifelsohne einer der ersten Blues, die in der Stadt von New Orleans als Komposition geschaffen wurden, als eine spielbare Komposition. Dieses Stück wurde um 1902 geschrieben. All die schwarzen Bands in der Stadt von New Orleans spielten dieses Stück. Du bemerkst sicher die spanische Färbung in ihm. Das hat sehr viel mit der typischen Jazz-Idee zu tun. Wenn es jemand nicht zustande bringt, diese Färbungen des Spanischen in diese Stücke zu bringen, dann wird er nie in der Lage sein, die richtige Würze für die Jazz-Musik hinzukriegen. Man muss natürlich diese kleinen Färbungen des Spanischen hineinbringen, um wirklich guten Jazz zu spielen. Jazz hat ein Fundament, das sehr markant sein muss, besonders in den Bass-Bereichen, um einen großartigen Background zu geben. Und außerdem das, was heute Riffs genannt wird und als Figuren bekannt war. Aber Figuren gab es immer schon in den Tanz-Bands. Ich werde dir eine Vorstellung geben, was die Idee des Spanischen im Blues ist.“ – Morton spielte noch einmal kurz New Orleans Blues und sagte: „Dieses spezielle Stück … Es wäre unbescheiden von mir, wenn ich sagen würde, dass das gesamte Stück mir gehörte, obwohl mein Name darauf steht.“ – Es ging dann um die Urheberschaft des Stückes. – Morton begann La Paloma zu spielen und sagte: „Wie ich zuvor sagte, wirst du vielleicht die spanische Färbung bemerken können. Aber man braucht einen starken Background. Zum Beispiel verwendeten sie damals La Paloma. Es war eines der großartigen spanischen Stücke. Du weißt, New Orleans wurde von nahezu jeder Rasse auf der Erdoberfläche bewohnt. Und natürlich hatten wir spanische Leute, viele, und viele französische. Ich werde ein wenig von La Paloma vorführen, um zu zeigen, dass die Färbung wirklich darin ist.“ – Morton spielte La Paloma und sagte dann: „Das wäre der übliche Rhythmus, der dir dieselbe Sache gibt … [Morton spielt in Blues-gefärbter, synkopierter Weise] … Ich hoffe, dass das für dich wirklich erkennbar ist. Nur eines davon ist ein Blues. Aber das, was den Unterschied in diesen Sachen macht, kommt von der rechten Hand. Die linke Hand spielt genau dasselbe, doch beim Blues … kriegt man die Synkopierung hinein. Er ergibt eine völlig andere Farbe. Er verändert die Farbe wirklich von Rot zu Blau. Und vielleicht kannst du diese kraftvolle Bass-Hand bemerken? Ich persönlich fand nicht, dass die spanischen Stücke in ihrem Tempo wirklich perfekt waren. Ich hörte eine Menge spanische Stücke und ich versuchte selbst, sie in einem korrekten Tempo zu spielen. Und ich spielte sie möglicherweise nicht in einem sehr korrekten Tempo. Aber ich war insgesamt mit einigen der Melodien nicht zufrieden. Ich beschloss, einige selbst zu schreiben. Ich werde jetzt versuchen, dir eines vorzuspielen. Diese Nummer ist Creepy Feeling.“ – Morton spielte Creepy Feeling. Damit endet der Abschnitt der Interviews, in dem es um die „Latin Tinge“ ging. (QUELLE: Transkription der Library of Congress Recordings, Abschnitt 1681 B, Internet-Adresse: http://www.doctorjazz.co.uk/locspeech4.html#locaafs4, eigene Übersetzung)
  99. Bruce Boyd Raeburn: Charles Hiroshi Garrett habe Morton als einen Komponisten von Meisterwerken porträtiert, der eine „Spanish Tinge“/Blues/Jazz-Symbiose perfektionierte. Garrett habe aber auch festgestellt, dass „wenige frühe Jazz-Musiker im selben Maß wie Morton lateinamerikanische musikalische Impulse integrierten“. (QUELLE: Bruce Boyd Raeburn, Beyond the „Spanish Tinge”, in: Luca Cerchiari/Laurent Cugny/Franz Kerschbaumer [Hrsg.], Eurojazzland. Jazz and European Sources, Dynamics, and Contexts, 2012, S. 27, eigene Übersetzung)
  100. Charles Hiroshi Garrett: Jelly Roll Morton sei nicht der einzige Musiker seiner Generation gewesen, der zum spanischen (lateinamerikanischen) Element im frühen Jazz Stellung nahm. Ein weiterer Jazz-Künstler, der unterstützende Aussagen machte, sei Warren „Baby“ Dodds gewesen, der in New Orleans aufwuchs und später mit Morton, Louis Armstrong und anderen Jazz-Legenden Aufnahmen machte. Im Rückblick auf die frühen Zeiten stellte er einen nach seinem Gefühl eigenen kreolischen Zugang zum Blues fest: „Im Downtown-Bezirk, wo die Kreolen lebten, spielten sie den Blues mit einem spanischen Akzent. Wir, die in der Uptown lebten, spielten nicht einmal die kreolischen Nummern der Downtown-Franzosen, wie Eh, La Bas. Und so wie wir den spanischen Akzent der Kreolen-Lieder änderten, so spielten wir den Blues anders als sie. Sie lebten im französischen Teil der Stadt und wir in der Uptown, im Garden-Bezirk. Unsere Vorstellung vom Blues war anders als ihre. Sie hatten den französischen und spanischen Stil, vermischt miteinander.“ (Quellenangabe: Bill Russell, New Orleans Style, 1994, S. 23). Dodds Stellung als Außenstehender in der Uptown sei hier von besonderer Bedeutung, zumal er später anmerkte, dass sich ein Interesse an spanischen Rhythmen schließlich vom kreolischen Bezirk aus in ganz New Orleans verbreitete. Obwohl Dodds eine größere Gemeinschaft von Musikern zu charakterisieren beabsichtigte, würden seine Eindrücke speziell auch auf Jelly Roll Morton zutreffen, einem kreolischen Downtown-Musiker, der nicht nur spanische Rhythmen in seine Stücke integrierte, sondern auch zahlreiche und vielfältige Beispiele für „Blues mit spanischen Akzenten“ hervorgebracht habe. (QUELLE: Charles Hiroshi Garrett, Struggling to Define a Nation, 2008, Kapitel Jelly Roll Morton and the Spanish Tinge, Kindle Version, eigene Übersetzung) – Bruce Boyd Raeburn: Dodds habe sich, entgegen der üblichen Verallgemeinerung, nur auf Pianisten bezogen. (QUELLE: Bruce Boyd Raeburn, Beyond the „Spanish Tinge”, in: Luca Cerchiari/Laurent Cugny/Franz Kerschbaumer [Hrsg.], Eurojazzland. Jazz and European Sources, Dynamics, and Contexts, 2012, S. 24)
  101. Bruce Boyd Raeburn: Die Stadtteile Tremé, Seventh Ward und besonders das untere French Quarter von New Orleans hätten beträchtliche spanische und lateinamerikanische Populationen gehabt, durchsetzt von Sizilianern, afro-französischen Kreolen und Afro-Amerikanern. Die kreolisierte Vermischung von afro-lateinamerikanischen Rhythmen mit afro-amerikanischen Songformen sei unter so genannten „Downtown-Franzosen“ weit verbreitet gewesen. Der Schlagzeuger Warren „Baby“ Dodds habe zu dieser Vorliebe angemerkt, dass sie eine kreolische Eigenschaft war, die sich von der Art unterschied, wie Afro-Amerikaner in der Uptown den Blues interpretierten. Doch aufgrund des Eklektizismus, der dem Jazz innewohne, sei diese Praxis zwangsläufig über die ethnischen Grenzen hinweg verbreitet worden. Die Jazzmusiker von New Orleans seien einer funktionellen Notwendigkeit gefolgt und hätten danach getrachtet, alle Ideen und Mittel einzusetzen, die ihnen beim Tanzpublikum einen Wettbewerbsvorteil und damit Arbeit verschafften. Im Laufe der Zeit hätten sich lateinamerikanische Rhythmen unter jungen Musikern so verbreitet, dass sie unentbehrlich wurden – nicht nur wegen der Nachfrage des Jazz-Tanzpublikums, sondern auch der Gefolgschaft der afro-amerikanischen und kreolischen Mardi-Gras-Indianer-Gangs, die den Tresillo als Grundrhythmus für ihre Gesänge verwendeten, wenn sie am Mardi Gras und St. Josephs-Tag die Straßen durchstreiften. Mit der Zeit sei dieser rhythmische Ansatz auch zum Markenzeichen der meisten „Second-Line“-Paraden der Brassbands in der Stadt geworden, wenngleich er zunehmend auf ein Repertoire angewandt wurde, das wenig direkte Verbindung zu spanischen oder lateinamerikanischen Quellen hatte. (Fußnote: Verweis auf Jelly Roll Mortons Aussagen in den Library-Congress-Recordings zu den Mardi-Gras-Indianern, auf Samuel Charters Aufnahmen von Mardi-Gras-Indianer im Jahr 1956 und auf Johnny Vidacovics „Besprechung der Clave als Grundrhythmus der Second-Line-Paraden“ im Video New Orleans Drumming. Street Beats. Modern Applications. Bei diesem Video scheint es sich um die auch im DVD-Video New Orleans Drumming: From RSB to Funk, 1993, enthaltenen Aufnahmen zu handeln.) (QUELLE: Bruce Boyd Raeburn, Beyond the „Spanish Tinge”, in: Luca Cerchiari/Laurent Cugny/Franz Kerschbaumer [Hrsg.], Eurojazzland. Jazz and European Sources, Dynamics, and Contexts, 2012, S. 23f.)
  102. Bruce Boyd Raeburn: John Storm Roberts biete in The Latin Tinge eine ausgewogene Darstellung der afro-lateinamerikanischen Tendenzen in nordamerikanischer Musik und diskutiere einen Prozess vielfältiger „Absorption“ in New Orleans, der durch die vielfache Verwendung von W.H. Tyers Stück Panama (1911) illustriert werde: Tyers Original-Klaviernoten verwendeten den Habanera-Bass und das habe auch das Orchester-Arrangement getan, das das New Orleanser Society-Ragtime-Orchester von Armand J. Piron spielte. Panama sei weithin sowohl als Rag als auch als Marsch gespielt worden. Die meisten Jazz-Gruppen hätten den Habanera-Rhythmus weggelassen, aber er könne noch in einer Aufnahme der Olympia Brass Band von New Orleans entdeckt werden. Eine lange Marschtrommel-Passage, die praktisch identisch mit den üblichen Conga-Mustern ist, führe zu mehreren abschließenden Chorussen, in denen die Habanera- und Marschrhythmen fusioniert seien. Das sei eine interessante Demonstration eines Stadiums der Habanera-Absorption auf halber Strecke. (QUELLE: Bruce Boyd Raeburn, Beyond the „Spanish Tinge”, in: Luca Cerchiari/Laurent Cugny/Franz Kerschbaumer [Hrsg.], Eurojazzland. Jazz and European Sources, Dynamics, and Contexts, 2012, S. 25) – Nach der Diskographie in William J. Schafer, Brass Bands and New Orleans Jazz, 1977, S. 103, dürfte es sich beim Panama-Stück der Olympia Brass Band um eine Aufnahme vom 5. Februar 1962 handeln, die nicht mehr verfügbar zu sein scheint.
  103. William J. Schafer: Viele Brassband-Musiker hätten sich selbst nicht als Musiker betrachtet, sondern aus schierer Lust an einem Feiertags-Ausflug gespielt. „Black Benny“ Williams, einer der berühmtesten Bass-Trommler in Bands der 1920er Jahre, sei ein Beispiel dafür. (QUELLE: William J. Schafer, Brass Bands and New Orleans Jazz, 1977, S. 59)
  104. Er soll „ständig hinter Gittern gesessen“ sein, mit seiner Pistole einmal während eines Marsches durch die Canal Street (Grenze zwischen Uptown und Downtown) einen Zuschauer niedergeschossen haben und schließlich von einer Frau erstochen worden sein, nachdem er sie geschlagen hatte. (QUELLE: Digby Fairweather in: Ian Carr/Digby Fairweather/Brian Priestley, Rough Guide Jazz, 2004, S. 64)
  105. QUELLE: Nat Shapiro/Nat Hentoff, Hear Me Talkin' to Ya, 1966/1955, S. 52
  106. William J. Schafer: Das Trommeln in den New-Orleans-Brassbands sei im Grunde ein elementares System von Militärtraditionen gewesen. Das Schlagzeugspiel von Warren „Baby“ Dodds, Zutty Singleton und anderen sei beispielhaft für den auf den Jazz angewandten elementaren Stil. Die Rolle des Bass-Trommlers in den Straßenbands habe sich allerdings von der des Snare-Trommlers unterschieden. Die Bass-Trommler seien Spezialisten gewesen. Ihre Fähigkeit, neue Bass-Trommel-Beats zu erfinden und die ganze Band in einer synkopierten Weise zu swingen, sei mehr als bloß ein Trommel-Stil gewesen. (QUELLE: William J. Schafer, Brass Bands and New Orleans Jazz, 1977, S. 92f.)
  107. QUELLE: William J. Schafer, Brass Bands and New Orleans Jazz, 1977, S. 89f.
  108. QUELLE: Thomas Brothers, Louis Armstrong‘s New Orleans, 2006, S. 137
  109. Zur Migration in die Stadt und ihrer kulturellen Wirkung im Artikel Ursprünge: Link
  110. Thomas Brothers: Es sei schwierig im Einzelnen zu erkennen, wie viel vom frühen Jazz, der letztlich aus Afrika stammende Merkmale in den Vordergrund stellte, in New Orleans bereits vorhanden war und wie viel davon von den Plantagen mitgebracht wurde. Stadt und Land seien nie völlig voneinander isoliert gewesen, sodass eine zu scharfe Grenzziehung zwischen den beiden irreführend wäre. Das zeitliche Zusammentreffen der Zuwanderung von den Plantagen und des Auftauchens des Jazz sei jedoch gewiss nicht zufällig gewesen. Es habe auch eine anhaltende Präsenz umherziehender Arbeiter in New Orleans gegeben, die musikalische Innovationen in ständiger Zirkulation hielten, während sie etwa im Hafen oder im Deichbau arbeiteten. (QUELLE: Thomas Brothers, Louis Armstrong‘s New Orleans, 2006, S. 140)
  111. Freddi Williams Evans: Der New-Orleans-Rhythmus, der als Street-Beat, Bamboula-Beat, Second-Line-Beat und sogar New-Orleans-Beat bekannt ist, sei ein Beispiel für den Einfluss, den die aus Afrika stammenden rhythmischen Muster auf neue Performance-Formen in der gesamten afrikanischen Diaspora ausübten. Dieser Rhythmus und seine Derivative, die heute ein wesentlicher Teil der New-Orleans-Kultur sind, seien mit den versklavten Afrikanern, die direkt aus Afrika oder über die Karibik (vor allem Haiti und Kuba) nach Louisiana gebracht wurden, in die Stadt gekommen. Viele jener, die von Kuba aus in New Orleans eintrafen, seien von Haiti dorthin geflohen. – Die Tresillo- und Cinquillo-Formeln seien bis heute auch ein charakteristisches Merkmal der Musik von New Orleans. Sie würden die Grundlage für den New-Orleans-Beat bereitstellen. – Die Auswirkung der Zusammenkünfte auf dem Congo Square seien für das Fortbestehen des Habanera/Tango-Rhythmus und der mit ihm verbundenen Rhythmusformeln in der Kultur von New Orleans wesentlich gewesen. Die lange Zeit der von der Volksmenge wiederholten Aufführungen und Praktiken, die an Nachfahren weitergereicht wurden, hätten zum Überleben des Street-Beats von New Orleans beigetragen. – Die aus Afrika stammenden rhythmischen Formeln seien jedoch weder auf den Congo Square noch auf weltliche Musik beschränkt gewesen. Sie seien in den Bata-Rhythmen der kubanischen Santeria-Musik ebenso enthalten wie in der Musik des haitischen Voudou. Die Tresillo-Formel bestehe in „schwarzen“ protestantischen Kirchen von South Caroline durch das fort, was Außenstehende als Gullah- oder Low-Country-Klatschen bezeichnen. Die dortigen Kirchenmitglieder würden dafür üblicherweise gar keine Bezeichnung verwenden, es sei einfach ihre Art zu klatschen. In diesem und in anderen Beispielen hätten afro-amerikanische religiöse Einrichtungen, die nach der Emanzipation größtenteils von europäischen Einflüssen getrennt und isoliert blieben, viele afrikanische kulturelle Praktiken wie diese rhythmischen Muster bewahrt. – Samuel Floyd sei zum Schluss gekommen, dass die Cinquillo- und Tressillo-Motive mehr als grundlegende Rhythmen sind: „Sie stellen zentrale Symbole für die musikalische Einheit der afrikanischen Diaspora dar, indem sie die Grenzen der geokulturellen Einheiten überschreiten und diese Einheiten miteinander sowie mit West-Afrika, dem Land, von dem ein großer Teil dieser Musik herkam, verbinden. … Die Rhythmen des Cinquillo-Tresillo-Komplex durchdringen die Karneval- und Festival-Bands, die Second-Liner sowie die perkussiven Beats und das Straßen-Singen der stehenden und wandernden Baser der Musik.“ Evans: Das seien die rhythmischen Muster des Street-Beats von New Orleans, des Bamboula-Beats, Second-Line-Beats und New-Orleans-Beats. Eine Studie dieser Rhythmen zeige die historische Beziehung von New Orleans zu den karibischen Ländern sowie den Einfluss der afrikanischen kulturellen Performances und Praktiken auf die Kultur von New Orleans. (QUELLE: Freddi Williams Evans, Congo Square, 2011, S. 37-42, eigene Übersetzung)
  112. QUELLE: Freddi Williams Evans, Congo Square, 2011, hinterer Buchdeckel, eigene Übersetzung
  113. QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 286
  114. Siehe die oben ausführlicher dargestellte Aussage Ned Sublettes: Nach allem, was über die einzigartige, vielschichtige Entstehung von Afro-Louisiana bekannt ist […] liege es nahe, dass es in New Orleans schon früh einen lokalen, eigentümlichen Stil gab, der anders klang als Musikstile von anderswo. Vielleicht klinge deshalb heute nichts wie die sich nach wie vor weiterentwickelnde Musik der Gruppen afro-amerikanischer Männer, die als Mardi-Gras-Indianer bekannt sind. (QUELLE: Ned Sublette, The World That Made New Orleans, 2008, S. 287)
  115. QUELLE: Matt Sakakeeny, Indian Rulers: Mardi Gras Indians and New Orleans Funk, 2002, Online-Archiv Jazz Archivist der Tulane University, New Orleans, Jahrgang XVI [16:9-24], S. 11, Quellenangabe: George Washington Cable, The Dance in Place Congo & Creole Slave Songs, 1886/1974, Internet-Adresse: http://www2.tulane.edu/liberal-arts/music/upload/Sakakeeny_JazzArchivist.pdf
  116. QUELLE: David J. Schmalenberger, Stylistic Evolution of Jazz Drummer Ed Blackwell: The Cultural Intersection of New Orleans and West Africa, 2000, S. 6f., Internet-Adresse: http://www.pas.org/docs/default-source/thesisdissertations/schmalenbergerdj_2000.pdf?sfvrsn=0

 

 

Kontakt / Offenlegung