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2.) Jazz-Improvisation --- FÜR DIE SCHULE ERKLÄRT


Improvisation gibt es in vielen Musikarten der Erde, bis Mitte des 19. Jahrhunderts auch in der „klassischen“ Musik. Die Jazz-Improvisation, wie die großen Meister sie pflegen, ist aber in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes:

  1. Sie hat erstens ihre eigene Tradition und die reicht zurück bis zur Musik der Sklaven auf den Plantagen der amerikanischen Südstaaten.

  2. Sie ist zweitens keine hübsche Nebensache, sondern der zentrale Bestandteil der Musik.

  3. Sie hat drittens einen sehr eigenständigen Charakter, unter anderem durch ihre Nähe zur Sprache.

  4. Sie hat eine spezielle Bedeutung. Sie ist nicht bloß Verzierung und ein Vorführen von Kunstfertigkeit, sondern enthält tiefere Botschaften. Sie soll eine „Geschichte erzählen“, wie in der afro-amerikanischen Jazz-Tradition gesagt wird. Das lässt sich nicht theoretisch verstehen, sondern braucht Vertrautheit mit den Bedeutungen dieser Musikkultur.

  5. Musiker wie Charlie Parker, John Coltrane und Steve Coleman spielen mit solcher Meisterschaft, dass ihre Improvisationen tatsächlich Komposition sind – brillante, spontane Kompositionen.

Jazz-Musiker improvisieren im Allgemeinen nicht einfach wild darauf los, sondern gestalten ihr Spiel über rhythmischen und harmonischen Grundstrukturen. In früheren Zeiten diente meistens ein Blues oder ein populärer Song als Improvisationsgrundlage. Bei dieser Improvisationsweise wird die Abfolge von Akkorden, die der Blues oder Song hat, immer wieder durchlaufen – so, als würden weitere Strophen des Songs hinzugefügt werden. An die Stelle der Melodie des Songs treten die Improvisationen. Die müssen zu den wechselnden Akkorden passen. Diese Herausforderung wurde später gesteigert, indem viele zusätzliche Akkorde in die Akkordfolgen eingefügt wurden. So spielten die Musiker der „Bebop“-Bewegung der 1940er Jahre, zum Beispiel Charlie Parker, über komplizierten, ständig wechselnden Harmonien. Umgekehrt begann in den 1950er Jahren Miles Davis die Improvisationsgrundlage radikal zu vereinfachen, zu so genannten „modalen“ Strukturen. Der Ausdruck „modal“ bezieht sich auf die Modi oder Kirchentonarten des Mittelalters. Er hat jedoch im Jazz eine wesentlich weitere, schillernde Bedeutung. Ende der 1950er Jahre reduzierten Musiker wie Ornette Coleman die strukturellen Vorgaben noch weiter, machten sie ziemlich beliebig und manche lösten sie schließlich ganz auf. Für diese Richtung wurde die Bezeichnung „Free Jazz“ üblich. John Coltrane vereinfachte Anfang der 1960er Jahre die Vorgaben für seine Band im Sinn des modalen Konzepts, improvisierte selbst aber weiterhin über komplizierten Akkorden. Steve Coleman spielte ab den 1980er Jahren über hochkomplexen rhythmischen Strukturen. Während manche Musiker eine Vereinfachung der Vorgaben als beflügelnd empfinden, steigern andere ihre Meisterschaft oft gerade anhand anspruchsvoller Strukturen.

Jazz-Musiker improvisieren mithilfe einer Art musikalischen Sprache – so wie man Wörter, Redewendungen und grammatikalische Regeln im Hinterkopf hat und in einem Gespräch spontan einsetzt. Man verwendet immer wieder dieselben Wörter und Phrasen, sagt vieles, was man schon einmal auf ähnliche Weise gesagt hat, baut Sätze ähnlich auf. Und dennoch entwickelt sich jedes Gespräch einzigartig, aus der konkreten Situation heraus. Wie die Sprache, so beherrschen Jazz-Musiker ihre Spielweisen traumwandlerisch und gestalten damit spontane musikalische Aussagen. Die kreativen Meister verfügen über eine eigene, persönliche musikalische Sprache mit einem reichen Vokabular und können damit auf der Stelle großartige, komplexe, tiefgehende musikalische Aussagen hervorbringen. Viele andere Musiker setzen ihre Improvisationen hingegen eher aus altbekannten Phrasen zusammen und wandern umher, ohne wirklich bemerkenswerte Aussage.

Um zu begreifen, was Jazz großartig macht, muss man also den kreativen Meistern zuhören, und zwar immer wieder, bis sich ein Gespür für ihr brillantes Spiel entwickelt hat.
          HÖRBEISPIEL: Sonny Rollins Quartet: Wonderful! Wonderful! (1957)

Mehr zur Jazz-Improvisation auf meiner Website. Die Adresse steht in den Video-Infos.

 

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