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Marsch - Befreiung - Verflechtung


Die Ragtime-Musik, die alten Brassbands von New Orleans, die Syncopated Orchestras1), die ersten Jazz-Tanzorchester der 1920er Jahre2) und die Stride-Pianisten3) hatten alle einen Grundrhythmus, der mit dem Marsch verwandt war: Er beruhte auf einem Zweier-Beat („Um-Ta, Um-Ta …“), der Gehbewegungen abbildet. Das lebendige Spiel dieser afro-amerikanischen Musikarten regte jedoch nicht zu einem steifen Marschieren, sondern zu beschwingten Tanzbewegungen an. In der Subkultur der Nachfahren der Sklaven gab es aber auch einen gleichmäßigen Vierer-Beat4). Der spielte in den 1920er Jahren unter anderem in Louis Armstrongs Musik eine wesentliche Rolle und setzte sich in den 1930er Jahren in den Jazz-Bands allgemein durch. Count Basies Rhythmusgruppe spielte ihn auf besonders lockere, elegante und antreibende Weise und die Bläsergruppen seiner Bigband legten häufig mit ihren Riffs5) weitere rhythmische Schichten darüber, die den Tänzern zusätzliche Anregungen für Bewegungen gaben. Die kleineren Bands, die ab den 1940er Jahren nicht mehr primär Tanzmusik bereitstellten, sondern die Improvisationskunst in den Vordergrund rückten, hatten wenig Bedarf an Riffs6) und gaben den gleichmäßigen Beat in reduzierter Weise wieder: Das „Walking-Bass“-Spiel („Dum, Dum, Dum …“) des Kontrabasses im tiefen Tonbereich wurde lediglich mit einer swingenden Figur auf einem Schlagzeugbecken und sparsamen Akzenten auf der Hi-Hat kombiniert. Diese leichte, ziemlich gleichförmige, aber in sich bewegungsreiche, belebende Darstellung des Beats ließ den Improvisatoren viel Freiraum für ein fließendes Spiel und wurde zum traditionellen Grundrhythmus des Jazz.
Mehr zu dieser Entwicklung: Jazz-Beat

Um 1940 begannen Kenny Clarke und dann auch andere Schlagzeuger, neben dem Aufrechterhalten des Beats (Time Keeping) verstärkt7) auf spontane Weise den Rhythmus zu bereichern und mit den Melodie-Instrumenten in Dialog zu treten. Um so an der improvisierten Gestaltung der Musik teilzunehmen und gleichzeitig weiterhin die Funktion des Time Keeping zu erfüllen, mussten Schlagzeuger eine „koordinierte Unabhängigkeit“ der Gliedmaßen entwickeln. Bandleader legten großen Wert auf die Bewahrung des Grundrhythmus, wie der Schlagzeuger Billy Hart erläuterte: Da der Jazz mehr oder weniger als Tanzmusik begann, habe das Time Keeping bedeutet, dass der Schlagzeuger „im Gefängnis, wenn nicht gar ein Sklave war“. Es habe erst eine Entwicklung gebraucht, um aus dem herauszukommen. Sobald Schlagzeuger das versuchten, seien sie unter Druck gesetzt worden in Bezug darauf, wie der Beat aufrecht zu halten war. Er habe kein Iota abweichen dürfen. Kenny Clarke habe erzählt, dass er nach einiger Zeit im Gesicht der Bandleader lesen konnte, wenn er gefeuert war. Schließlich sei es Clarke und anderen gelungen, die „koordinierte Unabhängigkeit“ in einer sehr klaren Weise zu entwickeln, bei der die Time nicht schwankte. Zunächst hätten sie nur das Spiel der Hände erweitert und als dann auch die Füße miteinbezogen wurden, sei die Koordination noch komplizierter geworden.8)

Clarke konnte seine Innovationen vor allem in der Zusammenarbeit mit jungen Musikern wie Dizzy Gillespie entfalten, die Erweiterungen der Improvisationskunst anstrebten und daher an kreativen Beiträgen von Schlagzeugern interessiert waren. Gillespie sagte: Das in musikalischer Hinsicht für ihn Wichtigste der Jahre 1938 und 1939 sei die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Kenny Clarke gewesen, der damals das rhythmische Konzept des Jazz modifiziert, den Rhythmus flüssiger gemacht und die Rolle des Schlagzeugers verändert habe – von einem Takthalter für Tänzer zu einem echten Begleiter, der den Solisten Akzentuierungen bereitstellte und ständig die gesamte Band inspirierte. Clarke habe ihm Unterstützung, Schub und Ausschmückung in genau dem Maß geliefert, das er als Solist brauchte. Die Trompete und das Schlagzeug seien Cousins.9) – Ein anderer Schlagzeuger10), der Mitte der 1940er Jahre Dizzy Gillespies Gruppe angehörte, erzählte: Dizzy habe von den Schlagzeugern verlangt, dass sie das, was er musikalisch machte, unterstreichen. Er habe dadurch das Schlagzeug aus seiner stereotypen Rolle befreit, die es vorher hatte. Der Schlagzeuger sei nun in der Lage gewesen, etwas auszudrücken in Beziehung zu dem, was Dizzy und Charlie Parker auf ihren Instrumenten ausdrückten. Für Schlagzeuger sei das ein Riesenschritt nach vorne gewesen.11)

Parkers bedeutendster musikalischer Dialogpartner war der Schlagzeuger Max Roach. Ein Beispiel für Roachs großartiges, kommunikatives Zusammenspiel mit Parker ist die Live-Version des Stücks Ko-Ko (1948)12), über die Steve Coleman im Jahr 2009 unter anderem Folgendes schrieb: „Man hört diese Art von Kommentar von Schlagzeugern selten, da viel von der heutigen Musik explizit ausgedrückt wird. Die Art, wie Max nur spezifische Teile der Melodie auswählt, um sie als Ansatzpunkte für seinen Kommentar zu nutzen, ist Teil dessen, was den Rhythmus so mysteriös macht. Vieles ist angedeutet, statt direkt ausgedrückt. […] Die Schläge sind hier durchmischt, einige harte, einige sanfte, treppauf und treppab, in einer Art und Weise, die einen knallharten, aber unberechenbaren Groove bildet. Ich hab es immer so empfunden, dass die offenkundige Geschwindigkeit und Virtuosität dieser Musik ihre subtileren Dimensionen für viele Hörer verschleiert, fast so, dass nur die Eingeweihten einer Art Geheim-Orden sie verstehen können. Diese Art von Geschicklichkeit und Dialog setzt sich durch die gesamte Darbietung fort und verläuft in einer Art und Weise, die auf- und abebbt, genau wie in einem Gespräch. […] Ich habe viele Live-Aufnahmen gehört, wo es eindeutig ist, dass Max Parkers Satzstrukturen vorhersieht und die passenden Satzzeichen einsetzt. Das ist nicht ungewöhnlich. Enge Freunde beenden häufig die Sätze des jeweils anderen in einem Gespräch. Bei Musikern wie Parker und Roach ist alles auf einer Reflexebene internalisiert.“13)

All diese musikalische Kommunikation und kreative Improvisation wurde in Übereinstimmung mit der grundlegenden zeitlichen Struktur der Musik entfaltet, sodass ein klarer, kunstvoller Groove entstand.14) Roach wurde für die Musikalität und melodische Qualität seines Spiels gerühmt und er erklärte: „Wenn ich auf dem Schlagzeug Soli spiele, achte ich auf Gestaltung, Struktur und Architektur, vielleicht erzeugt das die Illusion, es sei melodisch.“15) Es ging ihm darum, „mit dem Rhythmus das zu tun, was Johann Sebastian Bach mit der Melodie getan hat“16), und er verwendete im Übrigen auch ungerade Taktarten, lange bevor andere damit erfolgreich wurden,17) sowie komplizierte metrische Überlagerungen18). Auch bewahrte sich Roach bis ins Alter seine Aufgeschlossenheit: Im Jahr 1979 trat er im Duo mit dem Free-Jazz-Pianisten Cecil Taylor auf19) und ein Schlagzeuger20), der selbst im Free-Jazz-Bereich tätig war, sagte dazu: „Vor diesem Konzert dachte ich, Max Roach sei der King der Bebop21)-Schlagzeuger. Jetzt weiß ich, dass er der King der Schlagzeuger ist.“22) Im Jahr 1983 begleitete Roach als 59-Jähriger Hip-Hop-Musiker und Break-Tänzer.23)

Es ist schon schwierig, den Verlauf von Charlie Parkers Improvisationen mitzubekommen, und noch schwieriger, Max Roachs Figuren und Dialogbeiträge wahrzunehmen. Denn differenzierte Perkussion ist schwer entzifferbar und Roachs Schlagzeugspiel läuft noch dazu nicht nur schnell ab, sondern wandelt sich auch ständig.24) Außerdem werden die grundlegenden Strukturen (die rhythmischen und harmonischen Zyklen), die die Improvisatoren berücksichtigen, meistens nicht ausdrücklich dargestellt, sondern als bekannt vorausgesetzt.25) – Das heißt aber keineswegs, dass man die Musik der Charlie-Parker-Band studieren müsste, um an ihr Gefallen zu finden. Man kann sie sogar als eine heitere, anregende, etwas aufgeregte Kulisse im Hintergrund laufen und sich von ihr durchaus angenehm stimulieren lassen. Hört man ihr näher zu, dann lernt man viel von ihrer musikalischen Sprache, ohne darüber nachzudenken – so, wie Kleinkinder eine Sprache erlernen. Darüber hinaus hält sie eine Tiefe und einen Reichtum bereit, die ausreichen, um immer wieder verblüffende Kunst und Schönheit zu entdecken, sodass einem diese Musik zunehmend ans Herz wachsen kann, wenn man sich für sie ein wenig interessiert. Was sie von Anfang an „verdaulich“ macht und einen zuverlässig durch sie hindurch leitet, das ist vor allem ihr (zwar nur im Hintergrund fühlbarer, aber doch deutlicher) Beat, der insbesondere vom konstanten „Dum, Dum, Dum …“ des Walking-Basses dargestellt wird.

Der klare Beat des Basses bildete bis 1965 auch die hilfreiche Leitlinie in John Coltranes Musik26), in der der Schlagzeuger Elvin Jones für rhythmische Komplexität sowie enormen Antrieb sorgte und einen faszinierenden Dialog mit Coltranes Saxofonspiel entfaltete. Die Konzerte des Coltrane-Quartetts bestanden zum Teil regelrecht aus einer Art Duett der beiden, ob nun Bass und Klavier mitspielten oder (was oft vorkam) aussetzten.27) Der Pianist der Band, McCoy Tyner, sagte: „Mittendrin zwischen Elvin und John zu sein, war etwa so, als hätte man zwei Professoren oder zwei bedeutende Wissenschaftler um sich.“28) Elvin Jones überlagerte Rhythmen so komplex, dass sein Spiel mitunter (wie ein Schlagzeuger meinte) „überhaupt kein festes Metrum“ zu haben schien.29) So erzeugte er einen dichten, energiegeladenen, vielschichtigen, ständig variierenden rhythmischen Fluss. Er selbst sprach von einem „Zirkulieren der Rhythmen“.30) Diese fließenden, komplexen Strukturen bereicherten ideal die Improvisationen Coltranes. Der sagte über Jones: „Ich schätze besonders seine Fähigkeit, Rhythmen zu kombinieren und mit ihnen zu jonglieren. […] Er hat immer im Auge, was sonst noch alles geschieht. Er scheint die Fähigkeit zu haben, an drei Orten gleichzeitig zu sein.“31) Elvin Jones Spiel war auch durch seine Wucht, an die kaum ein anderer Schlagzeuger je herankam, der passende Gegenpart zur brennenden Intensität von Coltranes Improvisationen. Doch konnte Jones auch leise spielen und dennoch machtvoll und bestimmt wirken.32) Billy Hart sagte: Die Art, wie die Schläge platziert werden, stehe im Jazz-Schlagzeugspiel über einer rigiden Gleichmäßigkeit. Niemand habe jemals gesagt, Elvin Jones habe perfekte Time, aber alle hätten ihn geliebt. Er (Hart) habe während eines Soundchecks einige Elvin-ismen gespielt und jeder habe dazu so etwas gesagt wie: „Wau, das swingt echt!“ Dieses Schwanken, Schleppen, diese Art von „Undulation“ (An- und Abschwellen) – das sei es doch, was man unter einem mächtigen Groove-Swingen versteht.33)

Coltrane experimentierte im Jahr 1965 mit einer weiteren Verdichtung der Rhythmik durch Hinzuziehung zusätzlicher Perkussionisten und öffnete seine Musik den Einflüssen der damaligen Free-Jazz-Bewegung. Er wollte, dass sie nicht mehr swingt, und daher begann der Bassist seiner Band, Jimmy Garrison, nun, anstelle eines Walking-Bass-Spiels „den Beat mit kurzen Phrasen und Strumming [Schlagen von Akkorden] aufzubrechen“34). Im Herbst 1965 spielte neben Jones regelmäßig auch der junge Schlagzeuger Rashied Ali in Coltranes Band, und zwar in einer neuartigen Weise, die nach Jones Aussage dazu führte, dass er nicht mehr hören konnte, was in der Gruppe „rhythmisch ablief“, und schließlich ausschied.35) Ali, der Coltrane in dessen letzten beiden Lebensjahren (1966 und 1967) begleitete, erzeugte am Schlagzeug ständig wechselnde, extrem unregelmäßige Strukturen, die keinen Beat mehr ausdrückten. Coltrane schätzte dieses „multidirektionale“36) Schlagzeugspiel, da es dem Solisten „maximale Freiheit“ gewähre.37)Bereits zuvor (um 1960) hatte Sunny Murray als Erster ein Schlagzeugspiel ohne Bezug auf einen Beat entwickelt, um den Free-Jazz-Pianisten Cecil Taylor zu begleiten, und er wurde daher als „Befreier des Schlagzeugs“ bezeichnet.38) Mit den „freien“ Spielweisen rückte das Erzeugen von „Sound“ und „Energie“ in den Mittelpunkt39) und Strukturen, die Kunst erfordern, um aus ihnen herauszutreten und sie dennoch zu wahren, lösten sich weitgehend auf, sodass sich auch die Tür für Beliebigkeit und Effekt öffnete.40) Außerdem beseitigte das Außerkraftsetzen des Beats jede Art von Groove (Swing)41), womit ein zentrales Element afro-amerikanischer Musikkultur verlorenging42), das das Musikhören selbst bei dichten und relativ schrägen Klängen vergnüglich machen konnte. Die Möglichkeiten der „Befreiung“ waren bald erschöpft und insofern schien die Entwicklung des Jazz-Rhythmus an einem Endpunkt angelangt zu sein. Doch ist die Idee von Freiheit letztlich bloß ein Aspekt der Jazz-Entwicklung, der nur vorübergehend durch die Free-Jazz-Bewegung der 1960er Jahre größere Bedeutung erhielt.

Allerdings ermöglichte auch der traditionelle Walking-Bass-Rhythmus offenbar keine entscheidende Weiterentwicklung mehr. Er wurde zwar kunstvoll ausgestaltet43) und Musiker wie Max Roach und Elvin Jones schufen über ihm großartige, komplexe Improvisationen. Aber letztlich bildete er mit seinem gleichmäßigen Beat doch ein recht einfaches rhythmisches Fundament, das zunehmend weniger zeitgemäß erschien. Etliche Jazz-Musiker experimentierten mit rhythmischen Mustern aus aktueller Tanzmusik, um ihrer Musik Modernität und leichtere Zugänglichkeit zu verleihen. Sie versuchten, diese ansprechenden, jedoch relativ starren Rhythmen mit der im Jazz entwickelten Kunst vielfältiger Variation, Verflüssigung und Kommunikation zu verbinden, doch blieben die Ergebnisse nur begrenzt überzeugend. Zu gegensätzlich sind die Konzepte ständiger Wiederholung in der Tanzmusik und laufender Abwandlung im Jazz. Einfache, repetitive Muster schließen das im Jazz entwickelte kreative, komplexe Spiel mit Rhythmen aus und umgekehrt zerstört eine Auflockerung und Auflösung der Muster durch fließende Jazz-Improvisation das attraktive Tanzmusik-Feeling. Ein Vollfüllen einfacher Rhythmen mit einer Unmenge virtuoser Aktivität oder ein Pendeln zwischen Auflösung und Rückkehr zu Einfachheit stellen lediglich Kompromisse dar. So fanden die Fusionen von Spielweisen des Jazz mit Anleihen aus populärer Musik zwar bei einem größeren Hörerkreis Anklang, ergaben aber keine Basis für eine herausragende, organische improvisierte Musik, die den Meisterwerken der Jazz-Tradition ebenbürtig sein könnte.44)

Einen anderen Ansatzpunkt für eine Weiterentwicklung der Jazz-Rhythmik stellte das Modell west-afrikanischer Trommelrhythmen mit seiner Verflechtung relativ einfacher rhythmischer Elemente zu komplizierten Strukturen dar, die eine intensive Tanzmusikwirkung sowie eine spannende Mehrschichtigkeit ergeben.45) Jazz-Musiker kamen mit diesen Rhythmen zunächst in Form afro-kubanischer Musik in Berührung und waren von ihnen fasziniert, doch schien das aus West-Afrika stammende Konzept mit der swingenden Basis des Jazz nicht recht zu verschmelzen. Daher blieb trotz vielfältiger afro-kubanischer und afrikanischer Einflüsse in der Regel weiterhin der Walking-Bass-Rhythmus das Fundament des Jazz. Die als Improvisationsgrundlage verwendeten Kompositionen enthielten meistens zwar eine harmonische Vorgabe, jedoch keine rhythmische und es war weitgehend dem Schlagzeuger überlassen, im Rahmen des Üblichen eine passende Begleitung bereitzustellen. Bandleader griffen im Allgemeinen nur dadurch in die Gestaltung der rhythmischen Basis ihrer Musik ein, dass sie sich Begleitmusiker suchten, die eine ihren Erwartungen ungefähr entsprechende Rhythmik lieferten.46) Der Schlagzeuger Doug Hammond begann in den 1970er Jahren dann jedoch, Stücke mit langen melodie-ähnlichen Rhythmus-Figuren, die er Drum Chants nannte, zu komponieren. Diese Chants wurden in seiner Band von ihm und seinen Mitspielern als Ausgangsmaterial für ihre Improvisationen genutzt. Die Improvisatoren mussten diese Strukturvorgaben genau kennen, um aus ihnen gekonnt herauszuspielen, auf sie bezogen zu bleiben und in sie zurückzufinden47) – so wie ein Spiel über Akkordgerüsten den Bezug zu den harmonischen Vorgaben nicht verlieren darf.48)

Hammonds Innovationen griff der junge Alt-Saxofonist Steve Coleman auf, als er in den 1980er Jahren an der Entwicklung eines neuen, zeitgemäßen „Antriebskonzepts“ für eine anspruchsvoll strukturierte Form von Jazz arbeitete. Im Jahr 1990 war Colemans Konzept so weit ausgereift, dass er mithilfe herausragender junger Mitspieler eine brillante, rhythmisch neuartige Musik hervorbringen konnte, die das west-afrikanische Verflechtungsmodell organisch mit dem fließenden Charakter der Jazz-Improvisation sowie mit dem Feeling der Funk-Musik verband.49) Damit bildet Steve Colemans Musik, die er laufend weiterentwickelte, nicht nur einen Höhepunkt kunstvoller, groovender Rhythmik im Jazz, sondern auch einen Meilenstein der sich durch nahezu die gesamte Jazz-Geschichte ziehenden Bestrebungen nach einer Verbindung mit afrikanischen Wurzeln.50)

 

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  1. im Ragtime-Stil spielende Orchester, zum Beispiel das Society Orchestra (1912-1915) und die Hellfighters-Band (1918-1919) von James Reese Europe – Alyn Shipton: Die Syncopated Orchestras seien noch nicht ausreichend von Jazz-Historikern erforscht worden, sodass ihre wesentliche Rolle in der Bereitstellung eines Fundaments für den Jazz, insbesondere für die Jazz-Bigbands der Mitte der 1920er Jahre, noch nicht zur Gänze erkannt werde. (QUELLE: Alyn Shipton, A New History of Jazz, 2007, S. 26)
  2. zum Beispiel das von Fletcher Henderson Mitte der 1920er Jahre
  3. zum Beispiel James P. Johnson, Willie „The Lion“ Smith und Fats Waller
  4. gleichmäßige Betonung aller vier Grundschläge eines Vierviertel-Takts
  5. kurze rhythmisch-melodische Figuren, die einige Zeit lang ständig wiederholt werden; häufig wurde ein Riff der Saxofongruppe mit einem Riff der Blechbläser zu einem Ruf-und-Antwort-Spiel verflochten
  6. Allerdings verwendeten Pianisten Riff-artige Figuren (zum Teil alte Riffs der Bigbands) in der Begleitung von Solisten. (QUELLE: Ingrid Monson, Saying Something, 1996, S. 44-46)
  7. Auch bereits Schlagzeuger wie Jo Jones in der Count-Basie-Bigband spielten nicht ausschließlich die Patterns, die dem Time Keeping dienten, doch kam es damals noch primär auf einen stabilen Tanzrhythmus an, weniger auf improvisatorische Entfaltung.
  8. QUELLE: Ethan Iverson, Interview with Billy Hart, Jänner 2006, Iversons Internetseite Do the Math, Internet-Adresse: http://dothemath.typepad.com/dtm/interview-with-billy-hart.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  9. QUELLE: Dizzy Gillespie/Al Fraser, To Be, or Not … to Bop, 2009/1979, S. 98
  10. Stan Levey
  11. QUELLE: Dizzy Gillespie, To Be Or Not To Bop. Memoiren, deutsche Ausgabe, 1984, S. 195
  12. Charlie Parker’s All Stars, 4. September 1948, im Royal Roost, Album The Complete Live Performances On Savoy
  13. QUELLE: Steve Coleman, The Dozens: Steve Coleman on Charlie Parker, 2009, Internet-Adresse: http://m-base.com/the-dozens-steve-coleman-on-charlie-parker/, eigene Übersetzung: Link
  14. Steve Coleman zu diesem Thema: Link
  15. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, Band 2, 2002, S. 1093
  16. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, Band 2, 2002, S. 1093
  17. QUELLEN: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, Band 2, 2002, S. 1093; Ethan Iverson: Max Roach sei angeblich wütend gewesen, dass der („weiße”) Schlagzeuger Joe Morello im Stück Take Five (1959) der („weißen”) Musiker Paul Desmond und Dave Brubeck das erste Schlagzeug-Solo im 5/4-Takt erhielt, da er (Roach) das nach seiner Aussage bereits zuvor gemacht habe, das Studio es aber nicht herausgegeben habe. Roach habe 1956 eine wilde Bearbeitung des Stücks Love is a Many-Splendored Thing mit einigen Takten in einem Fünfer-Rhythmus aufgenommen. (QUELLE: Ethan Iverson, The Drum Thing, or, A Brief History of Whiplash, or, "I'm Generalizing Here", 2015, Iversons Internetseite Do the Math, Internet-Adresse: http://dothemath.typepad.com/dtm/the-drum-thing.html) – Nasheet Waits zu Roachs Bearbeitung von Love is a Many-Splendored Thing: Es beginne mit einer kurzen, einen Takt langen Einleitung auf der Glocke des Beckens, dann gingen die Musiker in einen Fünfer-Rhythmus und danach kämen die Soli. Das Stück sei durch die damals neuartige Verwendung eines 5/4-Takts ein wichtiges Dokument der Geschichte der Tonaufnahmen und die Präsentation sei so schön. (QUELLE: Ted Panken, The Dozens: Nasheet Waits Selects 12 Classic Max Roach Tracks, Internetseite jazz.com, Internet-Adresse: http://www.jazz.com/dozens/the-dozens-nasheet-waits-selects-classic-max-roach-tracks)
  18. etwa eines 5/4-Metrums mit einem 3/4-Metrum (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 430)
  19. Aufnahmen von diesem Konzert wurden im Album Cecil Taylor and Max Roach: Historic Concerts veröffentlicht.
  20. Jerome Cooper
  21. Musik im Stil junger Musiker der 1940er Jahre wie Charlie Parker und Max Roach.
  22. QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 431
  23. QUELLE: Dokumentarfilm Max Roach von Gérald Arnaud, Ex Nihilo, Frankreich 1997
  24. Steve Coleman: Viele Schlagzeug-Figuren, die Musiker wie Max Roach spielen, würden von vielen Hörern nicht wahrgenommen werden, denn sie werden nur einmal gespielt, laufen sehr schnell ab und dann geht es mit etwas anderem weiter, sodass sich das Spiel ständig verändert. Bei Schlagzeugern wie Philly Joe Jones und Max Roach sei es fast ein Kampf, wenn man herausfinden will, was sich wiederholt, was die Zyklen sind. Ihr Spiel verändere sich laufend so sehr, dass Leute, die mit ihrer Musik nicht vertraut sind, anfangs keine Melodie oder so etwas erkennen. Leute, die von der Klassik herkommen, hören keine Melodie, keinen Chorus, nichts von all dem, nur Musiker, die spielen. So habe er es selbst erlebt, als er zum ersten Mal Charlie Parker hörte. Er habe damals gewöhnlich R&B-Platten aus den 1960er Jahren und so etwas gehört. Als er Charlie Parker mit Cherokee auflegte, habe er keinerlei Form mitbekommen, nichts. Er habe zwar hören können, dass die Musiker manchmal zusammenspielten [offenbar im Thema am Anfang des Stückes], aber dann sei plötzlich Chaos eingetreten. Zuerst spielte das Saxofon, dann die Trompete, dann gab es irgendwelchen Schlagzeug-Mist und dann war es plötzlich aus. Das habe er gehört. – Viele Leute könnten nicht hören, was bei einem Schlagzeug-Solo von Musikern wie Max Roach geschieht. Selbst wenn Musiker zum ersten Mal zu dieser Musik kommen, sei dies das Letzte, was sie mitbekommen. Sie würden sagen: „Wie kannst du während eines Schlagzeug-Solos weiterspielen?“ Er antworte: „Es gibt Figuren, die der Schlagzeuger spielt.“ Sie sagen: „Ich höre das nicht. Ich höre bloß einen Musiker, der auf das Schlagzeug haut.“ Er antworte: „Das ging mir anfangs mit der ganzen Band so.“ Man höre anfangs nicht die verschiedenen Phrasen, die Max Roach spielt, und all das. – Es gebe heute den Vorteil der Aufnahmen, die man verlangsamen und immer wieder anhören kann, bis man ein Max-Roach-Solo mitbekommt. Live habe man diese Möglichkeit jedoch nicht. Mit Hilfe von Aufnahmen könne man etwas isoliert hören und das mache es wahrnehmbar. Er habe oft zu einer Bekannten etwa Folgendes gesagt: „Du musst dich auf den Bass konzentrieren und auf die Haltung achten, mit der das Walking gespielt wird. Geh einfach die gesamte Aufnahme durch und höre darauf und du wirst verschiedene Dinge erkennen.“ Plötzlich ist es, als hätten sich die Wolken aufgelöst, und man sagt: „Oh, das habe ich noch nie zuvor bemerkt.“ Dasselbe müsse man mit dem Schlagzeug machen. Wenn sich dann mit der Zeit die Wahrnehmung verfeinert und man genauer hinhört, dann beginne man, in allem die Details zu erkennen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 18: Synovial Joints, Audio im Abschnitt 1:26:21 bis 1:42:54 Stunden/Minuten/Sekunden [zusammengefasst], veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net/)
  25. Steve Coleman: Max Roach würde beim Spielen eines Solos wie ein west-afrikanischer Meistertrommler die darunter liegende, festgelegte Sache hören. Er bewege sich hin und her. Eine Person, die mit dieser Musik vertraut ist, könne das hören. Eine andere Person höre bloß, dass irgendwer irgendwelche Trommeln schlägt. Eine der Sachen, die ihn (Coleman) erstaunten, als er nach Kuba kam, sei gewesen, dass Musiker ein Solo (zum Beispiel auf einer Conga) spielten und andere Musiker darin die Clave hörten. Sie hätten gewisse Erkennungszeichen, Anzeichen, kulturelle Kennzeichen oder wie immer man sie nennen mag erkannt, denn der Musiker bezog sich in seinem Solo auf eine darunter liegende Sache – in derselben Weise, wie man sich auf Akkordwechsel bezieht. Jemand könne mit einer einzigen Linie von Donna Lee loslegen und er (Coleman) würde das Stück sofort erkennen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 18: Synovial Joints, Audio im Abschnitt 1:42:24 bis 1:44:22 Stunden/Minuten/Sekunden [zusammengefasst], veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net/)
  26. Lewis Porter: Der Bassist Jimmy Garrison, der ab Ende 1961 zu Coltranes Gruppe gehörte, habe selbst in den wildesten Momenten der Gruppe den Grundstein der Time und Melodie bereitgestellt. Seine Linien seien unkomplizierte Muster gewesen, ohne einer Menge Noten. Er habe die Rhythmusgruppe angetrieben, ohne ihre Struktur zu überladen. Die Kraft seines Klangs, der durch die Gruppe drang, sei wesentlich für seine rhythmische Kraft gewesen. Wenn es gefordert war, habe er Walking-Bass-Linien mit enormem Antrieb erzeugen können. In anderen Situationen sei er flexibel genug gewesen, kurze melodische Phrasen zu spielen, die den Beat aufbrachen, oder Akkorde anzuschlagen. Auch seine Walking-Linien habe er oft mit solchen Teilen variiert, doch sei der Beat aufgrund der Klarheit seiner Denkweise stets offensichtlich geblieben. (QUELLE: Lewis Porter, John Coltrane. His Life and Music, 1999/1998, S. 200)
  27. QUELLE: John Litweiler, Das Prinzip Freiheit, 1988, S. 81
  28. QUELLE: Val Wilmer, Coltrane und die jungen Wilden, 2001, S. 36 – Selbst Miles Davis, der Coltranes spätere Musik ablehnte, äußerte sich anerkennend, was das Zusammenspiel von Coltrane mit Elvin Jones anbelangt: „Ich fand nur cool, was Elvin und Trane im Duett spielten.” (QUELLE: Miles Davis, Die Autobiographie, 1993, S. 473)
  29. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, Band 1, 2002, S. 634
  30. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, Band 1, 2002, S. 634
  31. QUELLE: Jack Gold-Molina, Elvin Jones 1927-2004, 2004, Internetseite all about jazz, Internet-Adresse: http://www.allaboutjazz.com/php/article.php?id=14748&pg=2)
  32. Aussage eines Schlagzeugers (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, Band 1, 2002, S. 634)
  33. QUELLE: Ethan Iverson, Interview with Billy Hart, 2008, Iversons Internetseite Do the Math, Internet-Adresse: http://dothemath.typepad.com/dtm/interview-with-billy-hart.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  34. QUELLE: Lewis Porter, John Coltrane. His Life and Music, 1999/1998, S. 264, eigene Übersetzung
  35. QUELLE: Lewis Porter, John Coltrane. His Life and Music, 1999/1998, S. 266
  36. von Coltrane so bezeichnet (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz Lexikon, 2002, Band 1, S. 29)
  37. QUELLE: Martin Kunzler, Jazz Lexikon, 2002, Band 1, S. 29
  38. Sunny Murray entwickelte das Spiel ohne Bindung an einen Beat, um dem Pianisten Cecil Taylor als Begleiter die „bestmögliche Unterstützung zu geben“ (QUELLE: Sunny Murray zitiert im Artikel Liberator of the Drums, Zeitschrift Jazz Zeit, Heft Nr. 57, 2004). Taylor forderte ihn zu Beginn ihrer Zusammenarbeit auf, zu spielen, „wie du noch nie gespielt hast“, „aus dir selbst heraus“, und führte ihn so zu der neuen Spielweise (QUELLE: Val Wilmer, Coltrane und die jungen Wilden, 2001, S. 175). Mit unregelmäßigen, „vorantreibenden, dynamischen Impulsketten“ verlieh er der Musik Taylors einen intensiven Fluss und überwand damit ihre Neigung zu rhythmischer Starrheit (QUELLE: Ekkehard Jost, Free Jazz, 2002, S. 86-88). Dass Taylors Spiel nicht swingte, wurde mit seiner ursprünglichen starken Orientierung an europäischer Konzertmusik in Verbindung gebracht. Selbst im Jazz-Bereich waren zunächst Pianisten mit besonderer Nähe zur europäischen Konzertmusik seine Vorbilder (Dave Brubeck und Lennie Tristano). Taylor distanzierte sich dann von diesen Vorbildern, identifizierte sich verstärkt mit der afro-amerikanischen Jazz-Tradition und entwickelte eine perkussive Spielweise. Er sagte, für ihn sei das Klavier „nichts als eine Trommel mit 88 Tasten”. (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz Lexikon, 2002, Band 2, S. 1327)
  39. Sunny Murray sagte in den 1970er Jahren: Er versuche natürliche Sounds zu finden und versuche, dass es nicht nach Trommeln klingt. Manchmal bemühe er sich, dass es wie ein Automotor klingt oder wie das fortwährende Zerbrechen von Glas. Er bemängelte damals, dass das Schlagzeug Töne nicht länger halten kann, und beschäftigte sich deshalb mit der Idee eines elektrischen Schlagzeugs zur Erzeugung von Klängen, die „der Stimme eines Menschen ähnlich sind, der summt, schreit, lacht und weint.“ (QUELLE: Val Wilmer, Coltrane und die jungen Wilden, 2001, S. 178 und 176) – Milford Graves, der ebenfalls als wichtiger, einflussreicher „Befreier“ des Schlagzeugs gilt (QUELLEN: John Litweiler, Das Prinzip Freiheit, 1988, S. 119; Brien Priestley in: Ian Carr, Digby Fairweather, Brian Priestley, Rough Guide Jazz, dtsch., 2004, S. 261): Die meisten Schlagzeuger würden zu sehr darauf achten, Rhythmen zu spielen, und befassten sich zu wenig mit dem Sound. – Ein weiterer wesentlicher Faktor seines Spiels war die Erzeugung von „Energie“: Er merke manchmal, dass er seinen Körper so sehr in Schwung gebracht hat, dass er nicht mehr weiterzumachen brauche. Es komme ganz auf die Energieerzeugung an. Er erreiche einen Punkt, an dem der Körper so in Schwung ist, dass er den Stoffwechsel bremsen müsse. (QUELLE: Wilmer, S. 183)
  40. Später äußerte sich Sunny Murray selbstkritisch zu seinen damaligen Innovationen: Er fühle sich verantwortlich dafür, dass „einige der wirklich guten Schlagzeuger wie Louis Hayes und Roy Brooks“ nicht die verdiente Aufmerksamkeit erhielten. Er habe mit der Entwicklung der New Music einen Fehler gemacht, sei froh, dass sie nicht erfolgreich wurde, und wünsche ihr Verschwinden. Jeder könne ein „Free”-Drummer sein, selbst ein dressierter Affe. – Andererseits spielte er auch weiterhin in der von ihm entwickelten Weise, sprach von der „Magie der Befreiung“, die sich auf das Publikum überträgt, und bemühte sich um eine kunstvolle Gestaltung seines Spiels. (QUELLE: Artikel Liberator of the Drums, Zeitschrift Jazz Zeit, Heft Nr. 57, 2004) – Diese widersprüchliche Haltung spiegelt wohl die zwiespältige Bewertung und oft massive Ablehnung seiner Innovationen durch Musiker, Kritiker und Publikum. Der Schlagzeuger Jack DeJohnette, der nicht dem Free-Jazz zugerechnet wird, erwähnte anerkennend, Sunny Murray habe „Raum, Farbe und Bewegung“ geschaffen. (QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 2, S. 914)
  41. Das „freie“ Schlagzeugspiel mit seinen Wellen aus Spannung und Entspannung kann zwar durchaus den Eindruck von Tempo, von Beschleunigung und Abbremsung, auch von Überlagerungen unterschiedlicher Tempi vermitteln – zumindest, so lange mit einer gewissen Rasanz gespielt wird. Ekkehard Jost: Wenn in Cecil Taylors Musik ein gewisser Energie-Level unterschritten wurde und damit eine „auch nur andeutungsweise vorhandene gemeinsame rhythmische Basis” aufgelöst wurde, kam es zu einer „totalen Reduktion der Bewegungsenergie und damit zu einer starken subjektiven Indeterminiertheit”, was die Musik „in die Nähe der abendländischen Neuen Musik” brachte. (QUELLE: Ekkehard Jost, Free Jazz, 2002, S. 89f.) – Dieses Tempo-Gefühl wurde als Pendant zum Swing angesehen, mitunter als „Energie“ bezeichnet (QUELLE: Jost, S. 85f.) und von manchen sogar als eine erweiterte Form von Swing verstanden (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Jazzbuch, 1989, S. 252 und 437). Jedoch ruft das „freie“ Spiel kein Rhythmusgefühl hervor, das einen dazu veranlassen würde, wenigstens mit dem Fuß zu wippen – nicht weil der Beat wegen der Komplexität schwer erkennbar wäre, sondern weil es ihn hier nicht gibt. „Free”-Drummer vermitteln (bei aller Perkussions-Kunst einiger von ihnen) somit keinen Groove und das bedingt für den Hörer eine grundsätzlich andere Art des musikalischen Erlebnisses. Wohl deshalb fand Perkussion ohne Beat nur bei einem kleinen Publikum Anklang und selbst in dem als Free-Jazz bezeichneten Bereich wurde sie nur zum Teil eingesetzt.
  42. Steve Coleman: Wenn man aus einer Kultur kommt, die sich nicht mit Groove befasst, dann werde die Chance, grooven zu können, natürlich geringer sein. Dann stehe eben etwas anderes im Vordergrund, etwa eine Art Gefühlskonzept. In afro-amerikanischen Communitys werde viel auf die Art Wert gelegt, wie etwas getan wird. Es komme nicht bloß darauf an, dass etwas getan wird, sondern auch, dass es mit einem gewissen Stil getan wird. Das betreffe das Gehen, Tanzen, Basketballspielen und so weiter, selbst die Redekunst. Die Musik sei bloß Teil davon, komme also aus derselben Sensibilität. Wenn man Dinge nicht in einer bestimmten Weise tat, sei man entmutigt, zurückgewiesen, verhöhnt worden. So seien bestimmte Verhaltensweisen gefördert und andere abgelehnt worden. Die Art, in der ein Musiker wie Cecil Taylor spielt, möge großartig sein, bleibe jedoch in der Community als Ganzem eine Außenseitersache. Dass die Community seinen speziellen Zugang nicht schätzt, mag für Taylor keine große Bedeutung haben. Man habe stets die Wahl, inwieweit man die Werthaltung der Community beachtet. Man könne sie auch völlig ignorieren. Solange man nur für sich selbst spielt, sei das kein Problem. Sobald man jedoch mit anderen spielt, komme es darauf an, wie die Sichtweisen zusammenpassen. Wenn ein Cecil Taylor und ein Kenny Dorham zusammenspielen, dann ergebe sich zwangsläufig ein Konflikt. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 24: Community, Audio im Abschnitt von 1:44:56 bis 1:48:03 Stunden/Minuten/Sekunden, veröffentlicht 2016, Internet-Adresse: http://m-base.net/) – Cecil Taylor nahm 1958 das Album Stereo Drive auf, für das die Musikproduktionsfirma unter anderem John Coltrane und Kenny Dorham als Mitspieler vorgab. Taylor war mit Coltrane einverstanden, wollte jedoch einen anderen Trompeter als Dorham, der Taylors avantgardistische Spielweise ausdrücklich ablehnte. Das Zusammenspiel war dementsprechend spannungsgeladen und unbefriedigend. Das Album wurde später unter Coltranes Namen mit dem Titel Coltrane Time wiederveröffentlicht.
  43. Zum Beispiel erläuterte der Schlagzeuger Billy Hart: Ein Up-Beat sei nicht das „Und“ der „Eins“ oder das „Und“ der „Zwei“. Es sei Teil einer Triole. Es klinge nur wie ein Up-Beat, da es so nahe daran ist. Elvin Jones habe oft die letzten beiden Schläge der Triole gespielt und Billy Higgins einfach den letzten. Tiefgehend werde es, wie das Ride-Becken von Higgins dem Cascara-Rhythmus ähnelt. Higgins habe fast eine gleichmäßige Achtelnote gespielt und seine linke Hand die Triole. Und wenn man zurückgeht, um zu sehen, wie Art Blakey oder Philly Joe es machten, dann erkenne man, dass dieses Element entscheidend ist für das, was wir Swing nennen. Und manche Schlagzeuger, wie Mickey Roker oder wer auch immer, hätten das so natürlich drauf. (QUELLE: Ethan Iverson, Interview with Billy Hart, Jänner 2006, Iversons Internetseite Do the Math; Internet-Adresse: http://dothemath.typepad.com/dtm/interview-with-billy-hart.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link)
  44. mehr dazu im Artikel Funky Jazz-Grooves: Link
  45. Näheres zu west-afrikanischen Trommelrhythmen im Artikel Tanztrommeln: Link
  46. QUELLE: Aussage von Steve Coleman: Link
  47. Steve Coleman in einem Lehrvideo bezogen auf Hammonds Komposition Perspicuity: Beim Improvisieren spiele man von diesen Figuren aus. Das sei leichter gesagt als getan. Was bedeutet, von diesen Figuren aus spielen? Nun, es gebe dafür viele Arten, zum Beispiel Frage-und-Antwort, Paraphrase, Imitation. Keine von ihnen sollte man aber ständig machen. Imitation sollte zum Beispiel sehr sparsam eingesetzt werden, denn es sei ja auch sehr irritierend, wenn jemand ständig die Sätze wiederholt, die man sagt. In der Musik sei das genauso. Es sei also eine Art Konzept der Stimmführung und Balance erforderlich, wie man in die Figuren hinein- und herausführt. Man müsse dafür viel hören und es sei nicht einfach, darüber zu sprechen. Er werde es nun jedoch gemeinsam mit dem Schlagzeuger ein wenig demonstrieren. Er werde in die Figuren hinein- und herausgehen und der Schlagzeuger werde in das, was er (Coleman) macht, hinein- und herausgehen. Die Grundlinie sei aber, dass der jeweilige Chant die Struktur vorgibt. Der Schlagzeuger werde also nicht einfach wild loslegen und in eine Art Billy-Connelly-Sache [schottischer Komiker mit derben Späßen] gehen, sondern mit dem Chant arbeiten. Das sei die Art Struktur, mit der sie arbeiten. Es sei fast so wie beim Spielen von Standards oder anderen Kompositionen. … Nun würde jedes Mitglied seiner Band ein kurzes Solo spielen und hoffentlich jeweils im richtigen Moment wieder zu dieser Figur zurückfinden, die dann den Startpunkt für das nächste Solo bildet. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, Video P001-3-Perspicuity, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  48. mehr zu Doug Hammonds Konzept in den Artikeln Afrikanisierung und Steve Colemans Substrat: Link, Link
  49. mehr dazu im Artikel Steve Colemans Substrat: Link
  50. mehr zur Geschichte dieser Bestrebungen im Artikel Afrikanisierung: Link

 

 

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