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Steve Colemans Substrat


Steve Coleman entwickelte nicht nur eine individuelle musikalische „Sprache“ für sein Saxofon-Spiel, sondern auch ein Konzept für das „Substrat“ seiner Musik, wie er es nannte, – also für die von der Rhythmusgruppe aufbereitete Basis der Musik, die als Grundlage für die melodischen Improvisationen dient und der gesamten Musik ihren rhythmischen Grundcharakter verleiht. Ein wesentlicher Teil seines Konzepts besteht in der Kombination zweier oder mehrerer melodie-artiger rhythmischer Figuren (etwa des Basses und des Schlagzeugs), die unterschiedlich lang sind, sodass sie sich bei ihrer laufenden Wiederholung ständig gegeneinander verschieben. Noch dazu haben die Figuren häufig ungewöhnliche Längen von zum Beispiel 5, 7, 9, 11 oder sogar 3½1) Beats. Entscheidend für den Charakter seiner Musik sind jedoch nicht bloß diese grundlegenden Ideen, sondern vor allem auch die Art und Weise, wie sie genutzt werden und im Gesamtzusammenhang Sinn sowie ein entsprechendes Feeling ergeben. Dafür spielten seine Herkunft, seine Vorbilder und seine musikalische Entwicklung eine wesentliche Rolle. Die werden im Folgenden dargestellt, bevor die Entstehung des Substrat-Konzepts betrachtet wird.

 

Kulturelle Basis

Steve Coleman wurde am 20. September 1956 geboren, seine Eltern waren Afro-Amerikaner und er wuchs im Chicagoer Stadtviertel South Side in einem rein afro-amerikanischen Umfeld auf – abgesehen von eineinhalb Jahren, in denen er als ungefähr 12-Jähriger mit seiner Familie in einem überwiegend von „Weißen“ bewohnten Vorort lebte, dadurch erstmals mit „Weißen“ in Kontakt kam (wenn auch nur vorübergehend) und eine „weiße“ Schule kennenlernte, die wesentlich besser war als die „schwarzen“, die er davor und danach besuchte.2) Seine Eltern lebten seit ihrer Geburt in Chicago, die Großeltern kamen hingegen aus den Südstaaten, und zwar die Familie väterlicherseits aus Alabama und die seiner Mutter aus Florida. Die Familie seines Vaters gehörte einer niedrigeren Gesellschaftsschicht an als die seiner Mutter. Ihre Herkunftsfamilie zählte zu einer „schwarzen“ Mittelklasse, schien schon länger frei gewesen zu sein und war wesentlich bürgerlicher. In ihr gab es viel an Regeln und Strenge und alle gingen in die Kirche. Nachdem sich seine Mutter und sein Vater kennenlernten, nahm er sie zu Auftritten von Musikern wie Charlie Parker, Billie Holiday und Count Basie mit, doch hielt sie diese Musiker für mehr oder weniger verrückt, während er diese Musik, besonders die von Parker, liebte.3) Steve Colemans Mutter hörte gerne Nancy Wilson, Aretha Franklin und so weiter. Auch Schallplatten von Ray Charles, Dinah Washington, Gene Ammons, Sonny Stitt, Dexter Gordon, Lester Young und so weiter wurden von den Erwachsenen zuhause oft gespielt, unter anderem wenn seine Onkeln und andere Verwandte vorbeikamen, man zusammensaß und kartenspielte. Sein älterer Bruder legte Platten von James Brown und andere „härtere“ Sachen auf, während seine beiden älteren Schwestern die Impressions und die Temptations bevorzugten. Er selbst und sein jüngerer Bruder waren vom Zugang zum Plattenspieler praktisch ausgeschlossen, da ihn die älteren Familienmitglieder ständig in Beschlag nahmen. So bekam Steve Coleman viele verschiedene Arten fast ausschließlich afro-amerikanischer Musik unterschiedlicher Altersgruppen zu hören, Rock-Musik hingegen kaum. Manchmal spielten die Schwestern ein wenig Rock, aber auch in diesem Fall eher von afro-amerikanischen Musikern wie Jimi Hendrix, dessen Musik von Afro-Amerikanern jedoch häufig mit LSD-Experimenten in Verbindung gebracht und abgelehnt wurde. Sie galt wie die damalige „elektrische“ Musik von Miles Davis und die der Band Funkadelic als etwas für „progressive“ Leute. „Weiße“ Musiker wie die Beatles kamen in Steve Colemans Universum in der South Side praktisch nicht vor. Dort war afro-amerikanische Musik ein allgegenwärtiger Teil der Community, der „Sound von allem“, wie er sagte.4)

Vor seinem 14. Lebensjahr war Coleman an kleinen Gesangsgruppen im Stil der Band The Jackson Five (aus der später Michael Jackson hervorging) beteiligt und sang in der Kirche.5) Auch das Produzieren von Rhythmen spielte schon früh in seinem Leben eine Rolle: Er hatte zum Beispiel mit Gleichaltrigen Spaß daran, die Schlagzeug-Parts der Songs von Musikern wie James Brown, die sie im Radio hörten, auf dem Blech der parkenden Autos auf der Straße nachzutrommeln, dazu zu singen und manchmal tanzte einer von ihnen auch dazu. Das zog öfters Ärger mit Erwachsenen nach sich, die Beschädigungen der Autos befürchteten.6) Ansonsten hielt er sich jedoch viel zuhause auf7) und ging der Jugendbande, die die Straße beherrschte, aus dem Weg8).

Einen besonderen Eindruck hinterließ bei ihm die gegen Ende der 1960er Jahre von der James-Brown-Band entwickelte Funk-Musik. Er erzählte, er sei zwar noch jung gewesen, aber doch alt genug, um die Veränderung zu bemerken, die diese Musik mit sich brachte. Die damals populäre afro-amerikanische Unterhaltungsmusik (etwa der Firma Motown mit Stars wie Smokey Robinson) habe zwar manchmal Kreuzrhythmen enthalten, aber doch aus mehr oder weniger herkömmlichen Songs bestanden, bei denen sich in rhythmischer Hinsicht alles gewissermaßen in derselben Weise bewegte. James Browns Band habe hingegen um 1965 in Stücken wie I Feel Good (I Got You) begonnen, mehrere individuelle rhythmisch-melodische Parts wie bei einem Puzzle ineinander zu verzahnen. Browns Hit Mother Popcorn (1969) habe mit seiner dynamischen Art der Verzahnung dann bei ihm und seinen Altersgenossen richtig eingeschlagen. Sie hätten damals zwar die musiktechnischen Strukturen noch nicht verstanden, doch habe James Browns Funk-Musik, zu der sie tanzten, für ihn eine natürliche Anziehungskraft gehabt und seine gesamte musikalische Entwicklung grundlegend beeinflusst.9)

 

Ausbildung und Vorbilder

In der High-School, mit der Coleman 1970 als 14-Jähriger begann, mussten Schüler einen Musikunterricht belegen und sie bekamen ein Instrument geliehen, wenn sie sich entschieden, eines spielen zu lernen. Aufgrund eines Fehlers wurde er zum Geige-Spielen eingeteilt, doch wechselte er noch im selben Schuljahr zum Alt-Saxofon (um mit einem Mädchen anzubandeln) und kam in ein Orchester, das einfache Bearbeitungen populärer Konzertmusik wie Figaros Hochzeit von Mozart spielte. Außerhalb der Schule beteiligte er sich an Bands, die Schüler bildeten, um auf Partys, Modeschauen und Tanzveranstaltungen aufzutreten und aktuelle Songs aus dem Radio wiederzugeben, die sie sich nach Gehör beibrachten.10) Bereits damals kam es sehr darauf an, wie man etwas in rhythmischer Hinsicht spielte, und es war viel die Rede davon, ob sich etwas „hip“ anfühlte oder nicht.11)

Im Jahr 1974 schloss er die High-School ab12) und nachdem er durch seinen früheren, eineinhalb Jahre langen Aufenthalt in einem Vorort von Chicago die höhere Qualität „weißer“ Schulen kennengelernt hatte13), wollte er nun ein kleines, fast ausschließlich „weißes“ College mit gutem Musikprogramm besuchen. Seine Eltern ermöglichten ihm das (auch mithilfe einer finanziellen Unterstützung, die er aufgrund seines guten Schulabschlusses erhielt) und er begann in der rund 200 km von Chicago entfernten Stadt Bloomington (Illinois) an der Illinois Wesleyan University ein Studium. Es war kein Musikstudium, doch hatte das College ein Musikprogramm und Coleman meldete sich für das Spielen in der Band an. Der Lehrer erklärte ihm, diese Band sei eine Jazzband und er könne in dieser Band nur mitspielen, wenn er improvisieren kann, was Coleman damals noch nicht konnte. Später fand Coleman heraus, dass er der einzige war, von dem der Lehrer diese Fähigkeit verlangte, anscheinend weil Coleman im Gegensatz zu seinen Kollegen, die alle „weiß“ waren und vom Land kamen, ein „schwarzer“ Student aus Chicago war. Coleman bemühte sich fieberhaft, sich das Improvisieren beizubringen, und suchte dafür in den Schallplatten, die er mitgebracht hatte, nach Vorbildern. Seine Platten von James Brown und Gruppen wie Kool & The Gang, Mandrill und Earth, Wind & Fire enthielten nur wenig Improvisation, doch hatte ihm sein Vater vor der Abreise eine Platte von Charlie Parker in seine Sammlung gesteckt und auf deren Hülle war zu lesen, dass Parker das „Genie der modernen Improvisation“ sei. Coleman fand Parkers Musik zwar nicht mehr so schrecklich wie in jüngeren Jahren, aber immer noch unverständlich. Er begann dennoch, Parkers Soli nachspielen zu lernen, und zwar in der Weise, wie er und seine Kollegen es früher für die Bands machten, mit denen sie auf Partys, Modeschauen und Tanzveranstaltungen spielten: indem sie Platten langsamer abspielten (45er Platten mit 33 Umdrehungen pro Minute; 33er Platten mit 16) und sich jede Stelle immer wieder anhörten. Die frühere Schulung seines Ohrs durch dieses Abhören half ihm dabei und das Erlernen von Parkers Soli durch bloßes Hören trainierte sein Ohr nun besonders. Er erkannte, dass sich Parker in verschiedenen Tonarten bewegte und er das lernen musste, aber wiederum lernte er das mehr durch Hören als von Notenblättern. In einem Buch las er, dass Parker versessen darauf war, bei Jamsessions mitzuspielen und mit älteren Musikern zusammen zu sein, und dass Chicago für eine starke solche Szene bekannt war. Daher suchte Coleman in den Weihnachtsferien (Ende 1974) als 18-Jähriger in Chicago nach Resten dieser Szene und stieß in einem Klub auf das Trio des Pianisten John Young mit dem Schlagzeuger Vernel Fournier14). Diese älteren Musiker waren Coleman damals noch völlig unbekannt. Er kam mit einer großen Afro-Frisur, wie sie damals modern war, und in einem Overall gekleidet daher und fragte, ob er mitspielen könne. Sie sagten ihm, sie wüssten nicht, ob er das kann, lachten und fragten ihn dann, was er spielen möchte. Er fragte zurück, ob sie das Stück Now's the Time kennen, das er von der Parker-Platte her kannte und ein wenig zu spielen gelernt hatte. Die älteren Musiker bogen sich daraufhin vor Lachen und nachdem sie sich beruhigt hatten, sagte John Young, sie würden versuchen, das hinzukriegen. Coleman „fummelte sich durch“ das Stück (wie er sagte) und obwohl er „schrecklich klang“, sagten sie zu ihm ermutigend etwas wie: „Du klingst nicht schlecht, Kleiner. Mach weiter mit dem Hören und komm wieder!“ Er suchte sie daraufhin immer wieder auf und hörte ihnen genau zu. Als er nach dem Ende der Ferien ins College zurückkehrte, wurde ihm der große Unterschied zwischen der Art bewusst, wie diese Musiker im Klub klangen, und wie in der Schule gespielt wurde. In den Sommerferien besuchte er dann jede Nacht die Jamsessions in den Klubs und erfuhr, dass Sonny Stitt manchmal in Chicago auftrat. Er fand ihn in einem Klub und folgte ihm an andere Auftrittsorte in Chicago, da er für ihn wie Charlie Parker klang. (Später stellte er fest, dass Stitt allerdings mehr diatonisch, genau auf den Akkorden, spielte und sich daher klarer anhörte als Parker, der sich – wie dann auch der Tenor-Saxofonist Von Freeman – manchmal abseits der Akkorde oder in einer schrägen Beziehung zu ihnen bewegte.) Bei einem der Auftritte Stitts sah Coleman zum ersten Mal Von Freeman spielen, doch gefiel ihm dessen Spielweise damals überhaupt nicht. Freeman lud ihn und seine Kollegen, die mitgekommen waren, zum Mitspielen bei einer Session in einen anderen Klub ein und da sie alle auf das Mitspielen erpicht waren, folgten sie seiner Einladung. Freeman spielte bei diesen Sessions zunächst lange selbst und ließ dann junge Musiker einsteigen. Im Laufe der Zeit erkannte Coleman Freemans Meisterschaft und deren enge Verwandtschaft mit Charlie Parkers Musik und war davon begeistert. Nach den Sommerferien kehrte Coleman voller Stolz auf das mittlerweile Gelernte, das er anderen Studenten voraushatte, auf das College zurück. Obwohl er beim Vorspielen alle anderen Kollegen der Band übertraf, wurde ihm vom Lehrer nicht die Rolle des ersten Alt-Saxofonisten zugewiesen. Coleman war gekränkt und außerdem wollte er in Chicago sein, um weiterhin die Jam-Sessions besuchen zu können, doch blieb er auch das zweite Studienjahr lang an der Wesleyan University. Anschließend wechselte er zur Roosevelt University in Chicago über und belegte für ein Studienjahr15) Lehrveranstaltungen zu möglichst später Tageszeit, um an ihrer Stelle die nächtlichen Sessions in den Klubs zu besuchen. Er folgte den älteren Musikern zu ihren Auftritten in der Stadt, unter anderem dem Alt-Saxofonisten Bunky Green16), besonders jedoch Von Freeman. Neben Charlie Parkers Aufnahmen liebte er auch die von Sonny Rollins, dessen Album Saxophone Colossus er besaß. Coleman bildete mit jungen Musikern eine eigene, „Inner Drive“ genannte Band, für die er bereits eigene Stücke schrieb17), und spielte in vielen unterschiedlichen Bands mit. Dabei traf er auch mit jungen Mitgliedern der überwiegend dem Avantgarde-Bereich verbundenen Musikervereinigung AACM18) zusammen, die ihm in musikalischen Grundlagen weniger versiert erschienen und die er im Zusammenhang mit seiner Vorliebe für Parker sowie seiner damals (wie er sagte) „konservativen und großspurigen“ Haltung geringschätzte. Sie legten ihm John Coltranes Musik nahe, von der er sich daraufhin Aufnahmen anhörte, aber längere Zeit nur jene der Jahre bis 1958 mochte. Nachdem ihn Coltranes Live-Aufnahmen aus dem Village Vanguard (1961) beeindruckten, verschob er seine persönliche Grenze für Coltranes Musik allmählich von 1958 auf 1964. Erst später fand er auch zu Coltranes letzter Periode Zugang.19)

Durch seinen intensiven Kontakt zu erfahrenen Musikern lernte Coleman unter anderem die Feinheiten, die für das spezifische Feeling dieser Musikkultur entscheidend sind, wahrzunehmen und selbst hervorzubringen. Die professionellen Musiker wiesen junge Mitspieler darauf hin, wenn sie ihren „Sound nicht beisammen hatten“ oder nicht swingten beziehungsweise (je nach musikalischem Kontext) nicht groovten. Coleman hörte selbst, dass sich zum Beispiel Von Freemans Spiel auch in rhythmischer Hinsicht ganz anders anfühlte, als er anfangs zu spielen in der Lage war, selbst wenn er dieselben Noten spielte. Er beschäftigte sich eingehend damit, wie die rhythmische Wirkung erfahrener Musiker zustande kam, achtete auf ihre minutiösen Verschiebungen gegenüber dem konstanten Beat und stellte fest, dass der Beat dieser Musiker veränderlich, Amöben-artig war – jedoch nicht in einer beliebigen Weise, sondern nach einem Konzept, das man nur durch Zuhören und Nachahmen über lange Zeit erlernen konnte. Ein solches subtiles rhythmisches Feeling hatte in allen drei (voneinander relativ separierten) afro-amerikanischen Musikszenen, die einem jungen Musiker wie Coleman im damaligen Chicago offenstanden, große Bedeutung: in der Jazz-, der Rhythm-and-Blues- und der Blues-Szene.20)

Ab Mitte 1976 verbesserte sich Colemans Saxofonspiel zusehends und er hatte kreative Ideen, doch war er in grundlegenden Dingen noch nicht genug versiert und setzte sich daher zum Ziel, eine beständige, professionelle Meisterschaft zu erreichen.21) Bei Konzerten von Bands aus New York wie der von Woody Shaw nahm Coleman deren hohes Niveau wahr. Er stellte fest, dass bereits in der Vergangenheit die meisten bedeutenden Jazzmusiker in New York angesiedelt waren und viele frühere Meister, etwa Charlie Parker und John Coltrane, in jungen Jahren eine Zeit lang in Bigbands gespielt hatten. Im Jahr 1977 sprach er Thad Jones an, der mit seiner Bigband einen Auftritt in Chicago hatte, durfte ihm vorspielen und bekam von ihm das Angebot, in seine Band einzutreten, wenn er nach New York kommen sollte. Coleman legte für sich den Mai 1978 als Zeit fest, in der er den Schritt nach New York unternehmen wollte, und arbeitete in der Zwischenzeit intensiv an seiner Verbesserung. Obwohl er in Chicago mit seiner Band schließlich beste Engagements hatte, ließ er zur festgelegten Zeit alles hinter sich und übersiedelte nach New York, wo er in die Thad Jones/Mel Lewis Bigband eintreten konnte. Die Musik dieser Band war anspruchsvoll und für Coleman eine gute Möglichkeit, sich in grundlegenden Fertigkeiten und in Disziplin zu trainieren.22) In rhythmischer Hinsicht verschaffte sie ihm eine Erfahrung, die wiederum die Beziehung zum konstanten Beat betrifft: Er setzte anfangs immer viel zu früh ein, denn Thad Jones spielte mit einer deutlichen Verzögerung hinter dem Beat, sodass ein stark zurückgelehntes Feeling entstand. Coleman erlernte diese Spielweise, die er auch bei anderen Musikern erkannte, etwa beim Schlagzeuger Elvin Jones und dem Tenor-Saxofonisten Dexter Gordon.23) Auch in einer Reihe weiterer Bigbands machte er wertvolle Erfahrungen.24)

Die erste Band, die sich Coleman nach seiner Ankunft in New York ansah, war Henry Threadgills Trio Air. Threadgill, den er bereits von Chicago her kannte, empfahl ihm, sich als nächstes Arthur Blythe wegen dessen Alt-Saxofon-Ton anzuhören. Beide Bands hatten sehr individuelle, avantgardistische Spielweisen25) entwickelt und dass sie vom Spielen solcher Musik hier leben konnten, überzeugte Coleman, dass New York für ihn der richtige Ort war zu bleiben. Denn so sehr er es schätzte, in Chicago aufgewachsen zu sein, so hatte er die Situation dort hinsichtlich der Möglichkeit, die Musik in individueller Weise zu erweitern, letztlich doch als eng empfunden.26) – Eine für die Entwicklung seines eigenen Konzepts wertvolle Anregung erhielt er in seiner New Yorker Anfangszeit durch sein Mitspielen in der Bigband von Sam Rivers27):

Während Rivers in seiner kleinen Gruppe auf weitgehend „freie“ Improvisation setzte, schrieb er für seine Bigband Kompositionen mit einem eigenwilligen Konzept: Er ließ mehrere Blasinstrumente gleichzeitig jeweils eine melodische Phrase spielen, die laufend wiederholt wurde. Die so übereinandergelegten Phrasen hatten unterschiedliche Längen. Zum Beispiel hatte eine Phrase einen 7 Beats langen Zyklus, eine andere einen 5 Beats langen und eine weitere einen 4 Beats langen Zyklus. Die Phrasen verschoben sich daher in ihrem Verhältnis zueinander laufend. Eine 7er Phrase und eine 5er Phrase trafen zum Beispiel erst wieder zusammen, nachdem die 7er Phrase fünf Mal und die 5er Phrase sieben Mal wiederholt wurden, also nach 35 Beats. So bildeten die Phrasen ein kompliziertes, sich ständig veränderndes Gewebe, das einen dichten Bläser-Sound voller schräger Harmonien28) ergab. Die Anregung zu diesem Konzept bezog Rivers aus Werken von Igor Strawinsky, die viele verschiedene Taktangaben enthielten. Rivers Gewirr aus Bläser-Linien hatte jedoch durchaus Groove und die Rhythmusgruppe ließ er konventionelle, häufig sogar tanzmusikartige Rhythmen spielen, wobei vor allem der Bass eine einfache, zuverlässige Orientierungslinie lieferte. – Steve Coleman, der im Sommer oder Herbst 1978 zu Rivers Bigband stieß und bis 1983 an ihren zahlreichen Auftritten mitwirkte, war vom Konzept der übereinandergelegten, zirkulierenden Phrasen begeistert, betrachtete ihn in dieser Hinsicht als bedeutenden Innovator und entwickelte später Rivers Idee für seine eigene Musik weiter.29)

Um 197930) trat Coleman der Gruppe des Schlagzeugers Doug Hammond bei, der Stücke mit so genannten „Drum-Chants“ (wie sie Hammond nannte) komponierte – das heißt mit langen rhythmischen Figuren, die vom Schlagzeuger gespielt werden und mit der Melodie des jeweiligen Stücks in reizvoller Weise verflochten sind. Hammond gestaltete diese rhythmischen Figuren so, dass sie einen melodie-artigen Charakter hatten31), und legte bei den Melodien seiner Stücke auf eine anspruchsvolle Gestaltung ihrer rhythmischen Komponente Wert, sodass sie auch als rhythmische Figur ansprechend waren32). Die beiden Figuren (die rhythmisch-melodische und die melodisch-rhythmische) verwob er in einer „kontrapunktischen“, ausbalancierten Weise miteinander33), was interessante, hübsche Themen ergab. Die Drum-Chants dienten auch als Grundlage für die Improvisationen und ersetzten damit die im traditionellen Jazz dafür verwendeten Akkordgerüste. Somit trat an die Stelle einer harmonischen Improvisationsbasis eine Struktur aus rhythmischen Figuren.34) Zum Beispiel enthält Hammonds Stück Perspicuity35) drei Drum-Chants, von denen zwei im Thema mit der Melodie des Stücks verbunden sind. Der dritte Chant wird nur im Improvisationsteil eingesetzt, in dem Wahlmöglichkeiten mit folgenden Regeln bestehen: Auf Chant 3 muss immer Chant 2 folgen, nach Chant 1 ist wahlweise zu Chant 2 oder 3 zu wechseln, nach Chant 2 ist mit Chant 2 oder 3 fortzufahren. Im Thema ist hingegen die Abfolge von Chant 1 und Chant 2 im Zusammenhang mit der Melodie des Stücks festgelegt.36) – Coleman wusste anfangs nicht recht, wie er als Saxofonist zu dieser Struktur aus Chants improvisieren sollte.37) Es lag in Hammonds Trio vor allem an ihm, den melodischen Part auszufüllen, und das regte ihn an, seine Stimmführung stark zu verbessern.38) Später, nach langjähriger Erfahrung, erläuterte er, wie ein Solist mit seinen improvisierten Melodielinien von den Figuren der Chants wegspielen kann: Es gebe viele Möglichkeiten, das zu tun, doch benötige man dafür ein Konzept der Stimmführung und Balance, mit dem man in die Figuren hinein- und aus ihnen herausführen kann. Das zu entwickeln, brauche viel Hören und es sei nichts, was leicht beschreibbar wäre. In einem Lehr-Video führte Coleman gemeinsam mit dem Schlagzeuger Marcus Gilmore vor, wie das kunstvoll gemacht werden kann. Er betonte, dass stets die Struktur, die die Drum-Chants vorgeben, berücksichtigt werden muss, sodass man nicht einfach beliebig loslegen kann. Vielmehr gehe es darum, mit den Strukturen der Chants ähnlich zu spielen, wie bei „Standards“39) über Akkordwechseln improvisiert wird.40)

Hinsichtlich des Schlagzeugspiels war Hammonds unmittelbares Vorbild vor allem Ed Blackwell, der wiederum besonders von Max Roach, von der Second-Line-Tradition seiner Heimatstadt New Orleans und von afrikanischer Trommelmusik beeinflusst war. Hammond befasste sich auch mit frühen Schlagzeugern der Jazzgeschichte, mit Big Sid Catlett, Chick Webb, Cozy Cole und zurück bis zu Baby Dodds, in deren Spiel er bereits funkige Elemente fand. Wie seine Vorgänger Blackwell und Roach entwickelte Hammond eine Spielweise mit Funk-Feeling, viel Raum, rhythmisch spannungsvoll platzierten Trommelschlägen und Balance. Zusätzlich war Hammond ein kreativer, geschickter Komponist und er gab sich mit den Drum-Chants ebenso ein Thema als Ausgangspunkt für seine Improvisationen, wie die anderen Mitglieder der Band eines durch die Melodie des Stückes hatten.41)

 

Entstehung des Substrat-Konzepts

Im Jahr 1979 trat eine entscheidende Veränderung in Colemans musikalischer Entwicklung ein: Davor war er fast ausschließlich mit der Entfaltung seines Saxofonspiels sowie mit melodischen und harmonischen Aspekten beschäftigt. Er setzte sich noch nicht eingehend mit den Rhythmen auseinander, sondern spielte über den vorhandenen Grooves, egal ob mehr in einem Jazz- oder Funk-Kontext. Er öffnete also (wie er sagte) noch nicht die Motorhaube, um am Motor (dem von Bass und Schlagzeug bereitgestellten „Substrat“) herumzubasteln. Das änderte sich im Jahr 1979: Der Rhythmus und die Gesamtform der Musik wurden nun zu seinem Hauptanliegen und er formte in den 1980er und ersten 1990er Jahren die Grundlage seiner speziellen Musik. Die zwei wichtigsten Anstöße zu dieser Verlagerung des Schwerpunkts gaben eine Schallplatte mit west-afrikanischer Trommelmusik, die er damals erhielt, und die Zusammenarbeit mit Doug Hammond.42) Doch waren es letztlich vielfältige Einflüsse, die zur Entstehung des für Colemans Stil charakteristischen „Substrats“ beitrugen. Folgende Faktoren scheinen besonders bedeutend gewesen zu sein:

CHARLIE PARKER
Steve Coleman nannte Mitte der 1980er Jahre Charlie Parker als einen seiner größten Einflüsse in musikalischer Hinsicht. Er versuche nicht, ihn zu kopieren, gestalte jedoch viel nach seinem Vorbild, denn er finde, dass die damaligen Musiker die perfekte Balance zwischen Gefühl, Intellekt und dem Bestreben, sich selbst zu finden, erreichten.43) Im Jahr 1994 erklärte Coleman, er versuche gemeinsam mit seiner Band, eine eigene Musik zu machen, benutze Parkers Musik jedoch nach wie vor als Modell, denn sie habe die Balance, nach der er suche.44) 1999 sagte Coleman: Jeder, der wirklich Ohren hat, könne klar hören, dass das, was er macht, eine Ableitung von dem ist, was Charlie Parker machte. Parker sei wahrscheinlich sein wichtigster Einfluss.45) Und im Jahr 2013 erläuterte Coleman: Seine Laufbahn habe damit begonnen, dass er von Musikern der Generation Charlie Parkers lernte – Sonny Stitt, Von Freeman, Sam Rivers, Thad Jones. All diese Musiker seien in den 1920er Jahren geboren worden. Das sei seine erste Lernerfahrung gewesen und das liege dem zugrunde, was er macht. Wie auch viele andere Musiker sei John Coltrane anfangs von Parker beeinflusst gewesen, doch sei er weitergegangen. Sonny Rollins sei ebenfalls von Parker beeinflusst gewesen und weitergegangen. Sie seien alle seine Schüler und er sei es auch. Da er zeitlich weiter entfernt ist, mache er vieles ganz anders. Wenn Parker heute daherkäme und mitspielen würde, ohne Kenntnis all der Veränderungen in der Musik, wäre er so gut wie verloren. Dennoch denke er, dass Parker sein größter Einfluss ist.46)

VERZAHNUNG BEI JAMES BROWN UND CHARLIE PARKER
Als Coleman in jungen Jahren begann, sich das Improvisieren beizubringen, zu diesem Zweck Charlie Parkers Musik studierte, außerdem erste Stücke schrieb und sich näher mit James Browns Funk beschäftigte, fand er, dass Parkers Musik zwar wesentlich wilder war und sich viel mehr laufend veränderte als die von Brown, aber ebenfalls die Verzahnung von Rhythmen enthielt, die er von Browns Musik aus seiner Jugendzeit her kannte. Dieser Rhythmus-orientierte Blickwinkel auf Parkers Musik, in der auch Max Roachs Beiträge eine wesentliche Rolle spielten, entspreche nicht der sonst verbreiteten Überbetonung harmonischer Aspekte in der musiktheoretischen Betrachtung der Musik Parkers.47)

AFRIKANISCHE TROMMELMUSIK
Die Schallplatte Music of the Ivory Coast48), die Coleman 1979 erhielt, regte ihn an, sich gründlich mit Rhythmen zu befassen, und er beschloss, irgendwann nach Afrika zu reisen und sich diese Musik live anzuhören. Damals war jedoch noch nicht absehbar, wann er sich eine solche Reise leisten wird können. Die aus Afrika stammenden Musiktraditionen, die in Kuba, Brasilien, Haiti und anderen Orten Lateinamerikas fortbestanden, waren ihm noch unbekannt.49) Anhand der Schallplatte stellte er fest, dass einige der Rhythmen, die er aus Aufnahmen von Charlie Parker mit Max Roach kannte, auch von den afrikanischen Musikern gespielt wurden, wenn auch in einem wesentlich anderen Kontext, und dass es in dieser west-afrikanischen Musik ebenfalls die Verzahnung von Rhythmen gab. Hinsichtlich des Maßes, in dem sich die afrikanische Musik veränderte beziehungsweise konstant blieb, (also der „Veränderungsrate“, wie es Coleman damals nannte) schien sie zwischen Browns und Parkers Musik zu liegen, denn sie enthielt einerseits in ihren begleitenden Parts einen statischen Teil und andererseits sorgte der führende Meistertrommler für eine gewisse Veränderung. So verglich Coleman die afrikanische Trommelmusik mit afro-amerikanischer Musik, insbesondere mit der von Brown und Parker, und das verstärkte seine Rhythmus-bezogene Sichtweise: Er nahm zum Beispiel Parker in der Rolle eines Meistertrommlers wahr, für den der Bassist seiner Band eine konstante Basis bot, während der Pianist eine Zwischenposition einnahm.50)

DOUG HAMMOND
Nachdem Coleman durch die genannte Schallplatte west-afrikanische Trommelmusik kennengelernt hatte, suchte er nach einem eigenen Weg, seine Musik der afrikanischen Weise entsprechend zu gestalten. Er war jedoch mit seinen Ergebnissen unzufrieden und fand schließlich die Lösung in Doug Hammonds Konzept der Drum-Chants und rhythmischen Balance.51) Hammond forderte Coleman auf, eine seiner Kompositionen mitzubringen, und verlangte von ihm, auch für das Schlagzeug einen Part zu schreiben. Bereits die Stücke Snakepit Strut und Murdxas, die zu seinen ersten Kompositionen in dieser Art zählen und von Hammonds Band im Jahr 1982 aufgenommen wurden52), fand Coleman selbst so gut geraten, dass er mit dem Schreiben solcher Stücke nicht mehr aufhörte und dabei immer „tiefer und tiefer ging“, wie er sagte.53)

SÜDSTAATEN-BLUES
Im Jahr 1980 oder 1981 gründete Coleman mit dem Trompeter Graham Haynes die „Five Elements“-Band, die später in immer wieder veränderter Besetzung Colemans Kerngruppe blieb. Damals probte diese Band allerdings erst einmal nur54), er gehörte zugleich Doug Hamonds Gruppe an und nahm auch andere Mitspielgelegenheiten wahr. Im Sommer 1982 unternahm er mit Haynes eine zweimonatige Reise per Autostopp durch die Südstaaten, um Eindrücke von den dortigen Blues-Traditionen und dem historischen Hintergrund des Jazz zu gewinnen.55) Coleman kannte den Chicagoer Blues, der sich im Milieu der vielen Zuwanderer aus dem Süden entwickelt hatte, und dessen musikalische sowie gefühlsmäßige Verbindung zum Funk, von dem er selbst überwiegend herkam.56) Dennoch übten die musikalischen Erfahrungen der Reise durch die Südstaaten einen spürbaren Einfluss auf die Entwicklung seiner Musik aus, vor allem auf sein Gefühl für Groove, und trugen dazu bei, dass sie danach erdiger klang.57)

SCHLÜSSE AUS DER JAZZGESCHICHTE
Coleman legte Wert auf ein tiefergehendes geschichtliches Verständnis der Musiktradition seiner Vorbilder und stellte fest, dass die kreativen Beiträge im Jazz, die die größten Auswirkungen hatten, stets von einer großen rhythmischen Veränderung begleitet wurden. Er untersuchte daher eingehend die Entwicklung der grundlegenden rhythmischen Eigenschaften des Jazz und ging dabei von folgender Aussage aus, die nach seiner Erinnerung von Duke Ellington stammt58): Die meisten Musiker der Jazzgeschichte würden auf die eine oder andere Weise von Louis Armstrong, Charlie Parker und John Coltrane herkommen, sodass der Jazz im Wesentlichen in Bezug auf diese drei Persönlichkeiten betrachtet werden kann. Coleman fand diese Feststellung etwas zu stark vereinfachend, aber in gewisser Weise doch richtig und verglich Aufnahmen dieser Musiker aus ihrer jeweiligen Zeit höchster musikalischer Reife miteinander – also die Aufnahmen von Armstrongs Hot-Five-Band Mitte der 1920er Jahre, von Parker auf seinem Höhepunkt um 1947 mit Max Roach und von Coltranes Quartett gegen Mitte der 1960er Jahre. Zwischen diesen jeweils annähernd 20 Jahre auseinanderliegenden Aufnahmen fand Coleman vor allem im rhythmischen Fluss, im „Unter-Strom“, in der Basis des Rhythmus gravierende Umwandlungen. So war das Swing-Konzept von Armstrongs Band noch wesentlich anders als dann das von Parkers Gruppe und entsprach noch bei Weitem nicht dem heutigen Verständnis von Swing. Die Verbindung von Coltranes Schlagzeuger Elvin Jones zu Max Roach ist zwar leichter zu erkennen als die von Roach zu Baby Dodds, dem Schlagzeuger von Armstrongs Hot-Five-Band. Aber auch zwischen Parkers und Coltranes Musik besteht ein grundlegender Unterschied in der Rhythmik. Man kann bei Coltranes Band immer noch von Swing sprechen, doch ging sein Rhythmus deutlich in eine andere Richtung.59)

In den 1980er Jahren (also wiederum ungefähr 20 Jahre später) betrachtete es Coleman als unumgänglich, das gesamte Konzept einer um den Walking-Bass herum organisierten Rhythmik, wie sie bis dahin im Jazz großteils üblich war, aufzugeben – so sehr er auch all die großartigen Beiträge dieser Tradition schätzte. Denn er sah, dass die früheren Meister mit einer ganz anderen Musik aufgewachsen waren als seine Generation und dass die Jazz-Rhythmen ihrer Zeit auf der Tanzmusik ihrer Herkunft-Milieus beruhten. Coleman tanzte in jungen Jahren nun einmal nicht „Lindy Hop“60), sondern zu James Browns Rhythmen und ähnlicher Musik und Max Roach hätte ihm gar nicht zu sagen gebraucht: „Steve, ihr könnt nicht das machen, was wir machten.“ Er habe das selbst gewusst und hätte auch nicht eine bereits gespielte Musik nachspielen wollen. Seine Musik musste den musikalischen Erfahrungen seiner Jugendzeit entsprechend in einem anderen rhythmischen Feeling gegründet sein – in dem von Browns Funk, der hinsichtlich des Substrats und Feelings „weltverändernd“ gewesen sei. Aber natürlich fehlte Browns Musik der hohe Grad der Verfeinerung, der die Musik Parkers und Coltranes auszeichnet, und Coleman wollte keineswegs bloß eine Variante von Browns Stil hervorbringen.61)

Er sagte in Bezug auf ältere Musiker: Das Haupt-Element ihrer rhythmischen Basis habe aus der Tanzmusik ihrer Zeit gestammt und er habe als junger Musiker realisiert, dass er sich nach etwas anderem umsehen muss. Er habe begonnen, über Motown, James Brown, die Meters, also über das, was er als Volksmusik verstehe, nachzudenken, und wie er damit etwas Anspruchsvolleres62) machen kann. Es sei keine intellektuelle Übung gewesen. Er spüre Soul und Funk mehr als das, was Musiker wie Charlie Parker, Max Roach und so weiter machten, denn es sei das, womit er aufwuchs. Im Blues habe man die verfeinerte Linie, die weniger verfeinerte und die Sachen dazwischen, also eine Breite an Feelings, alles von Ma Rainey bis Coltrane. Bei der Musik, mit der er aufwuchs, habe es nach seinem Empfinden hingegen nicht so eine Breite gegeben. Er habe sich gedacht, dass sie weit offen sein könnte, dass man das so weit bringen kann, wie es Coltrane in seinen Alben Expression und Transition machte, und dass er dazu bestimmt wäre, das zu machen.63)

Colemans Sichtweise widersprach in mehrfacher Hinsicht den damals vorherrschenden Trends im Jazzbereich: Wynton Marsalis, mit dem Coleman diskutierte und der als einflussreichster junger Musiker mit einem traditionalistischen Jazzverständnis bekannt wurde, hielt James Browns Innovationen mangels jeder Virtuosität in Bezug auf den Jazz für irrelevant.64) Viele Altersgenossen Colemans konzentrierten sich auf harmonische und melodische Aspekte und pflegten bereits bestehende Stile. Auch eine Orientierung an der Entwicklung der europäischen Konzertmusik mit ihrem Hauptaugenmerk auf tonalen65) Gesichtspunkten war weit verbreitet. Coleman dachte sich jedoch: „Nein, das ist nicht unsere Musik. Unsere Musik hat den Rhythmus als unverzichtbare Sache zur Basis – auch wenn alle von Flatted Fifths, Dreiklang-Tönen, Substitutionen und so weiter reden.“ Und alle älteren Musiker, mit denen er darüber sprach, etwa Von Freeman, Sonny Rollins und Dizzy Gillespie, sahen das genauso. Er habe in der Musik des „weißen“ Pianisten Lennie Tristano, der vor allem in den 1950er Jahren Beachtung fand, eine große Leere empfunden, da sie zwar „all dieses lineare und harmonische Zeug“ enthielt, aber den Rhythmus praktisch ignorierte, soweit er nicht harmonisch-rhythmische Auflösungen, Akzente in Linien und dergleichen betraf. Für Musiker der Tristano-Linie habe Rhythmus hauptsächlich Synkopierung und Akzentuierung bedeutet und das widersprach völlig Colemans Rhythmus-Verständnis. Für ihn war Rhythmus das, was afrikanische Musiker machten und was auf verschiedene Weise in Brasilien, Kuba, Belize, in den USA und so weiter umgeformt wurde. Die melodischen und harmonischen Aspekte waren ihm sehr wohl ebenfalls wichtig, doch fand er, dass all seine Fortschritte nichts zählten, solange er über kein Rhythmus-Konzept verfügt, das seinem Anspruch gerecht wird, ein „Substrat-Musiker“ zu sein – also einer, der auch die rhythmische Basis und den grundlegenden formalen Aufbau seiner Musik selbst gestaltet. So arbeitete er die gesamten 1980er Jahre hindurch fast ausschließlich an rhythmischen Belangen.66)

Steve Coleman fragte sich, welche vorangegangenen Musiker Veränderungen des Substrats bewirkten und wie sie es taten. Die Tenor-Saxofonisten Von Freeman, Sonny Rollins, Joe Henderson und Don Byas betrachtete er zum Beispiel nicht als Substrat-Musiker. Coltrane befasste sich hingegen nicht nur mit dem Saxofonspiel, sondern auch mit der Struktur der Band, den Funktionen der Instrumente und solchen Dingen. Der Trompeter Woody Shaw habe manches am Substrat verändert, sei aber insgesamt im stilistischen Rahmen von McCoy Tyner und Coltrane geblieben. Shaw spielte mit Eric Dolphy, der „mehr am oberen Zeug herumbastelte als am unteren“, jedoch durch den Einsatz des Schlagzeugers Ed Blackwell auch eine Änderung der Basis auslöste. Das sei früher die übliche Weise gewesen, das Substrat zu verändern. Musiker wie Parker und auch Coltrane setzten sich nicht hin und entwarfen eine Änderung, sondern sahen sich solange nach bestimmten Mitspielern um, bis sie Kombinationen fanden, die in einer gewissen Art funktionierten und das beantworteten, was sie selbst machten. Parker hätte für das Planen einer Substrat-Veränderung allein schon die entsprechende Ausbildung gefehlt und er erklärte wohl nicht den Musikern seiner Band, zum Beispiel Max Roach, wie sie spielen sollen. Doch verlangten seine Improvisationen und manche seiner Stücke wie Moose the Mooche, Ko-Ko und Confirmation eine andere Art der Schlagzeug-Begleitung, als sie noch Papa Jo Jones geliefert hätte. Auch Coltrane habe nicht darüber gesprochen, jedoch in einer gewissen Phase begonnen, am Rhythmus herumzubasteln, indem er zum Beispiel in den Stücken Nature Boy und Creation seine Musik in einer Weise aufbaute, die eine geänderte Begleitung erforderte. Coltrane habe einiges versucht, das in eine mehr rhythmische Richtung ging und andeutete, was möglich gewesen wäre, auch wenn die Begleitmusiker es nicht zur Gänze ausfüllten. Coleman schloss aus der Art von Musikern, die Coltrane für seine Band zu gewinnen versuchte, sowie aus der Richtung, in die er sich bewegte (Einsatz zweier Schlagzeuger und verschiedener Handtrommler), dass Coltrane versuchte, an einen bestimmten Punkt zu gelangen, den er jedoch nicht ganz erreichte, weil seine Lebenszeit auslief. – Auch Thelonious Monk sei ein Substrat-Musiker gewesen. Seine Stücke wie Brilliant Corners seien etwas Besonderes. Er scheine sich zwar nicht eingehend mit den Schlagzeug-Parts beschäftigt zu haben und er sei grundsätzlich eine Art modernisierter Stride-Pianist gewesen, doch hätten seine Stücke etwas sehr Andersartiges in ihrer Struktur – hauptsächlich im oberen Teil, in den Harmonien und Melodien, doch würden einige skurrile Rhythmen eine gewisse Antwort der Begleitung verlangen. Allerdings scheine Monk mit keinem Schlagzeuger gespielt zu haben, der diese Antwort tatsächlich gab. Am ehesten habe sie Max Roach gegeben. Es sei zwar richtig, dass die Schlagzeug-Begleitung mit vielfältigen Akzenten in Monks Musik stark entwickelt war, aber sie habe sich doch im Rahmen dessen bewegt, was Coleman die „Parallel-Sache“ nennt, – also nicht in der afrikanischen Art, bei der unabhängige Parts bestehen. – Der Trompeter Booker Little ging nach Colemans Beurteilung ähnlich vor wie er selbst, denn Little sei ein Komponist im wahren Sinn des Wortes gewesen, da er sich mit der gesamten Form der Komposition befasste, nicht nur mit dem Thema im oberen Teil. Und außerdem habe sich Little intensiv mit Stimmungen beschäftigt und seine Musik entsprechend angepasst.67)

Coleman kam auch zum Schluss, dass eine echte Substrat-Veränderung nur durch eine Auseinandersetzung mit vielen kleinen musikalischen Fragen auf einer quasi mikroskopischen Ebene zustande kommt. Für Musiker, die einem herkömmlichen Stil verbunden bleiben, bestehe kein Anlass zu einer solchen Beschäftigung. Er habe jedoch diesen Prozess des Austüftelns gemocht und dann auch in der Zusammenarbeit mit seiner Band fortgesetzt. So hätten sich im Laufe der Zeit viele Ergebnisse und Erfahrungen, zum Beispiel mit Doug Hammonds Drum-Chants und Sam Rivers Kompositions-Methode, zu seinem speziellen Substrat-Konzept aufgeschichtet. Ein oberflächlicher Stilwandel hingegen, der ohne die vielfältigen Entscheidungen in einzelnen musikalischen Fragen herbeigeführt wird, sei keine substantielle Änderung, sondern lediglich wie ein Wechsel der Kleidung. Daher habe er es als verfehlt betrachtet, als Musikjournalisten im Zusammenhang mit seiner Musik später von einem neuen „M-Base-Stil“ sprachen.68)

HOLZBEIN-RHYTHMUS
Colemans Stück Snakepit Strut, eines seiner ersten mit Hammonds Drum-Chant-Konzept,69) beruht auf einem Rhythmus, den er einem Abschnitt des Stücks Aunt Hagar’s Blues von Art Tatum (einem weiteren bedeutenden Vorbild Colemans) entnahm. Dieser Rhythmus folgt abwechselnd langen und kurzen Beats, sodass er in Colemans Vorstellung an die ungleichmäßigen Schritte eines Piraten mit Holzbein erinnert. Durch die wechselnden Längen drehe sich der Beat in Bezug auf einen gleichmäßigen Puls laufend um. Er habe damals mit diesem Rhythmus zu experimentieren begonnen und manche Anregungen aus Art Tatums Musik bezogen.70) – Ein solcher unregelmäßiger Beat ist eine Besonderheit vor allem osteuropäischer, griechischer und mittel-östlicher Volksmusik sowie süd-indischer klassischer Musik.71) Coleman war an osteuropäischen und asiatischen Musikkulturen interessiert und im Übrigen auch von Musikern der europäischen Konzertmusik beeinflusst, wie er bereits in den 1980er Jahren erwähnte.72) Doch verwendete er solche Rhythmen in einer spezifisch afro-amerikanischen Weise. Er erklärte im Jahr 2011: Tatum habe diesen Rhythmus des Stücks Aunt Hagar’s Blues im Gegensatz etwa zu bulgarischer Volksmusik, in der solche Rhythmen vorkommen, auf eine funkige, eher afrikanische Weise gespielt, bei der nicht alle Beats vollgefüllt werden, sondern Raum gelassen wird und die Töne geschickt platziert werden. So gestaltete Rhythmen noch dazu mit hohem Tempo zu spielen, wie es Parker und Roach machten und wie es in der kubanischen Batá-Trommelmusik geschieht, sei wirklich anspruchsvoll. Er habe sich die Aufgabe gestellt, so etwas mit veränderter rhythmischer Balance zustande zu bringen.73)

EIGENES FEELING
Zu Beginn seiner Zusammenarbeit mit Doug Hammond ähnelte Colemans Musik noch sehr der von Hammond. Doch wollte er, wie er später erzählte, weit darüber hinausgehen und zu etwas anderem gelangen. Er habe einen bestimmten Sound in seinem Kopf gehört, jedoch einige Zeit gebraucht, sich die erforderlichen Kenntnisse anzueignen, um den innerlich wahrgenommenen Sound fassbar zu machen. Daraufhin nahm seine Musik allmählich Gestalt an.74) Sie ging, wie er sagte, in die Richtung eines Feelings, das noch nicht vorhanden war, das anders war als das von Charlie Parker, Coltrane und James Brown (dass Browns Musik nicht so hochentwickelt ist wie Parkers und Coltranes Musik, war dafür nicht wesentlich).75)

UNGERADE LÄNGEN
Nachdem Coleman mit dem Komponieren von Drum-Chants begonnen hatte, fand er heraus, dass sie durchaus auch dann gut klingen konnten, wenn sie ungeradzahlige Längen (5, 7, 9 Beats und so weiter) ergaben, sodass kein Grund bestand, sie deshalb abzuändern. Er erfand sie durch Singen oder Schlagen mit Händen und Füßen und beließ sie in ihrer jeweiligen Länge, wenn sie sich für ihn hinsichtlich ihrer rhythmischen Balance als gelungen anfühlten. Ausschlaggebend war für ihn nur sein Gefühl und er fand zunehmend Gefallen an „ungeraden“ Rhythmen.76) Er versteht sie nicht als (ungerade) Taktarten oder Metren, sondern einfach als Rhythmen, rhythmische Phrasen, fast wie Sätze und Phrasen einer Sprache, auch wenn sie das zeitliche Raster der Musik ergeben. Es kommt ihm stets auf die klangliche Wirkung an, nicht auf Notenschrift.77)

UNTERSCHIEDLICHE LÄNGEN MIT GEFÜHL
Coleman begann auch, zwei oder mehrere rhythmische Figuren mit unterschiedlichen Längen gleichzeitig ablaufen zu lassen, etwa eine drei Beats lange Figur mit einer fünf Beats langen. Diese Kombinationen veränderte er immer wieder, zum Beispiel zu einer Dreier-Figur mit einer Siebener-Figur, oder er sang zu einer bestimmten Figur spontan einen Rhythmus, ohne auf dessen Länge zu achten, sodass sich eine ungeplante Kombination ungleicher Zyklen ergab.78) In Doug Hammonds Musik gab es so etwas nicht, obwohl sie ebenfalls mehrere rhythmische Schichten und mitunter auch eine Verbindung von Zweier- und Dreier-Rhythmen enthielt. Hammond hielt Colemans Idee unterschiedlich langer Zyklen für abwegig und gab zu bedenken, dass dabei eine feststehende „Eins“79) wegfällt und die Musiker damit die Orientierung verlieren würden. Coleman betrachtete die Vorstellung von einer fixierten „Eins“ nicht als zwingend, die „Eins“ konnte nach seiner Auffassung durchaus auch ständig umherwandern.80)Die Kombination unterschiedlich langer und sich daher ständig gegeneinander verschiebender Figuren war Coleman durch seine Mitarbeit in Sam Rivers Bigband vertraut.81) In Rivers Musik war sie jedoch auf den Beitrag der Blasinstrumente beschränkt und diente nicht dazu, einen bestimmten mehrschichtigen Groove, ein gewisses rhythmisches Feeling zu erzeugen. Vielmehr ergaben die unterschiedlich langen, ständig wiederholten Phrasen in Rivers Kompositionen vor allem ungeplante Harmonien und bildeten so einen „avantgardistischen“ Sound. Rivers sagte, er setze sich hin, schreibe diese Stücke ohne Rücksicht darauf, ob das Geschriebene richtig klingen wird oder nicht, gehe dann hinaus, um es sich anzuhören, und lasse sich von den Ergebnissen überraschen. Für das Publikum mache er seine Kompositionen durch Hinzufügen eines leicht nachvollziehbaren Rhythmus zugänglich.82) Es gab in Rivers Musik also (wie Coleman feststellte) nicht die Art von Rhythmen, die Ed Blackwell spielte, nicht die einzelnen, spezifischen, detaillierten Rhythmen eines afro-kubanischen Conga-Spielers. Rivers Innovation betraf nur den „oberen Teil“ der Musik, die Phrasierung. Coleman war von Rivers Geflechten aus Phrasen fasziniert und wurde von seinen melodischen Rhythmen beeinflusst.83) Doch ging es Coleman vor allem auch um die darunter liegenden Ebenen, um die Gestaltung der gesamten Rhythmik seiner Musik und um einen bestimmten Groove. – Eine Anregung zur Verwendung unterschiedlich langer Rhythmen ergab sich für Coleman auch aus seinem schon lange bestandenen Interesse an Astronomie, und zwar durch Modelle in Planetarien, die vorführten, wie die Planeten in unterschiedlichen Zyklen die Sonne umkreisen. Zum Beispiel umrundet die Venus die Sonne achtmal, während die Erde sie fünfmal umläuft. Diese Verhältnisse der Planeten, das Drei-zu-Zwei-Verhältnis, all diese Dinge interessierten ihn und er wollte etwas Entsprechendes in der Musik machen.84)

Doch kam es Coleman nach seinen Erläuterungen nicht bloß darauf an, etwa einen Fünfer-Rhythmus gegen einen Siebener-Rhythmus zu setzen. Das sei gar nichts. Die eigentliche Herausforderung sei gewesen, die Rhythmen so zu gestalten, dass sie selbst dann funktionieren, wenn sie in solcher Weise gegeneinander zirkulieren. „Funktionieren“ habe für ihn bedeutet, dass ein bestimmtes Feeling, ein bestimmter Groove zustande kommt. Sein Ziel sei gewesen, Rhythmen, die den wandelnden Charakter der Planeten haben, so zu gestalten, dass sie sich wirklich gut anfühlen.85) Bis heute komme vieles in seiner Musik aus dem Gefühl. Auch die esoterischen Ideen, von denen er sich seit Beginn seiner Bekanntschaft mit einem afro-zentrisch orientierten Philosophen im Jahr 199486) häufig anregen ließ, würden keineswegs die Musik festlegen. Ihre musikalische Umsetzung könne so gut wie alles ergeben. Entscheidend für das Ergebnis sei vielmehr die musikalische Erfahrung, die den Musiker geprägt hat.87) – Coleman legt großen Wert darauf, sowohl rhythmische als auch tonale88) Figuren nicht in Bezug auf das Notensystem zu denken, sondern durch bloßes Hören zu erfassen und im Körper zu fühlen. Selbst komplizierte Rhythmen sollten nicht durch Zählen wahrgenommen werden, sondern als Figuren mit dem Empfinden, was allerdings viel Übung erfordere. Nach langjährigem Training sei er in der Lage, in der Improvisation anspruchsvollere Figuren zu entwickeln, als ein Komponieren auf dem Papier ergeben würde. Auch gehe er beim Komponieren immer wieder zurück, um sich anzuhören, wie die entwickelte Musik wirkt, und arbeite damit weiter.89)

Die ungleich langen rhythmisch-melodischen Figuren, die Coleman ineinander verzahnt und die sich ständig in dynamischer Weise gegeneinander verschieben, ergeben insgesamt ein komplexes, in langen Zyklen rotierendes System. Es passt wesentlich besser zur fließenden Art der Jazz-Improvisation als die relativ kurzen und starren Zyklen west-afrikanischer Trommelmusik90) und liefert den Improvisatoren eine besonders vielfältige rhythmische Basis91). Die müssen die einzelnen Rhythmen internalisiert haben und deren sich unablässig wandelnde Beziehungen zueinander verfolgen können, um aus diesem zirkulierenden Geflecht heraus stimmige Beiträge zu entwickeln.92) Coleman und seine Band sind derart versiert, dass sie trotz dieser schwierigen Strukturvorgaben mit bestechender Leichtigkeit improvisieren und lebhaft kommunizieren können. Der rhythmische Aspekt hat dabei nicht nur in den Beiträgen der Rhythmusgruppe, sondern auch in Colemans Saxofonspiel sowie in melodischen Improvisationen anderer Bandmitglieder besonderes Gewicht.93)Als Hörer kann man die komplizierten Strukturen natürlich nicht durchschauen, aber das ist auch nicht notwendig. Sie bestehen im Einzelnen aus altbewährten, abgewandelten und geschickt zusammengefügten Elementen, die in ihren vielfältigen Kombinationen für einen anhaltend spannenden Groove sorgen.94) Oft bildet eine der verwobenen Figuren, häufig die des Basses, eine relativ leicht erfassbare Leitlinie, jedoch ist es bereichernd, zugleich ein wenig das gesamte Gefüge wahrzunehmen.95) Hilfreich kann es auch sein, in Video-Aufnahmen zu sehen, wie sich die Musiker beim Spielen rhythmisch bewegen, da der in diesen Bewegungen zum Ausdruck kommende Puls einen zuverlässigen Bezugspunkt bildet, von dem aus die groovende Wirkung der vielfältigen, spannenden Akzente und Figuren mitempfunden werden kann.

Die ersten Stücke, die Coleman unter Doug Hammonds Einfluss komponierte, zum Beispiel das bereits erwähnte Murdxas, enthielten noch keine unterschiedlich langen Zyklen. Als Coleman sie allmählich in seinen Kompositionen entwickelte, gab ihm der Bassist Lonnie Plaxico, der bei ihm wohnte, immer wieder zu bedenken, dass kein Musiker mit ihnen umgehen werde könne. Aber es war eben gerade diese Idee unterschiedlich langer rhythmischer Figuren, die Coleman fesselte. Er versuchte, Hammond als Schlagzeuger für seine Band zu gewinnen, doch weigerte sich der. Schließlich fand er junge Musiker, die seine Vorstellungen (wie er berichtete) zwar ebenfalls schräg fanden, aber furchtlos und bereit waren, Neues auszuprobieren, und denen möglicherweise auch nicht so klar war, was er versuchen wollte. Seine ersten Alben zeigen, wie sich unterschiedliche Längen allmählich in seine Musik schlichen: Im ersten Album (Motherland Pulse, 1985) sind sie noch nicht zu hören, im zweiten (On the Edge of Tomorrow, 1986) ein wenig, mehr dann in Sine Die (seinem vierten Album, 1987/1988) und in voller Stärke im Album Rhythm People (1990), das Coleman als sein erstes ausgereiftes Werk betrachtete. Er sagte, er habe also lange gebraucht, um an diesen Punkt zu gelangen – er war bereits 34 Jahre alt.96) Entscheidend dafür, dass es gelang, seine Musik trotz ihrer geradezu abschreckend komplizierten Strukturen mit starkem Groove und sprühenden Improvisationen97) zu spielen, war die Mitwirkung außerordentlich talentierter junger Musiker:

HERVORRAGENDE MITSPIELER
Die Anfang der 1980er Jahre entstandene Five-Elements-Band Colemans erhielt nach einer langen Zeit des Probens um 1983 ihre ersten Engagements.98) Ungefähr zur selben Zeit begann Coleman, in der neu gegründeten Gruppe des Bassisten Dave Holland zu spielen, den er bei Sam Rivers kennengelernt hatte.99) Außerdem nahm Coleman auch weiterhin fallweise Mitspielgelegenheiten in anderen Gruppen wahr, um viele unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln.100) Hollands Band, die bereits in den Jahren 1983 und 1984 ihre ersten beiden Alben aufnehmen konnte, gewann in Jazzkreisen rasch eine gewisse Popularität.101) Im Zusammenhang damit sowie aufgrund von Eindrücken, die Coleman bei einer früheren Tournee mit Doug Hammond hinterlassen hatte, wurde ihm 1984 in Deutschland die Aufnahme eines Albums angeboten, wobei von ihm offenbar eine Musik im Stil der Holland-Band erwartet wurde. Holland, der sich vor der Gründung seiner damaligen Band im Free-Jazz-Bereich bewegte, nahm zwar hinsichtlich der Rhythmik sowie einer stärkeren Strukturierung der Musik Einflüsse Colemans auf102) und die Holland-Band spielte auch Stücke von Coleman, doch klang die Five-Elements-Band wesentlich anders. Nachdem ihre Musik vom deutschen Produzenten für unverkäuflich erklärt wurde, setzte Coleman für die Aufnahme des Albums eine auch den Vorstellungen des Produzenten entsprechende Gruppe zusammen. Sein erstes Album, Motherland Pulse (aufgenommen im Jänner 1985), betrachtete Coleman daher als nicht befriedigenden Kompromiss. Der relative Erfolg des Albums ermöglichte es ihm jedoch, im Jänner 1986 mit seiner Five-Elements-Band das Album On the Edge of Tomorrow aufzunehmen, das er zwar rückblickend unbedeutend und noch sehr roh, damals jedoch durchaus zufriedenstellend fand. An diesen Aufnahmen war bereits der Schlagzeuger Marvin „Smitty“ Smith beteiligt, allerdings noch überwiegend als Perkussionist. In Colemans viertem Album, Sine Die (1987/1988), spielte Smith ausschließlich Schlagzeug und er wurde in dieser Rolle 1989 zum festen Mitglied der Five-Elements. Coleman stellte fest, dass Smith „alles spielen konnte“103), auch all die schwierigen Kombinationen unterschiedlich langer Zyklen. Er war nach Colemans Aussage zwar nicht selbst in der Entwicklung solcher Rhythmen kreativ104), spielte die ihm vorgelegten Kompositionen jedoch ohne Schwierigkeiten und improvisierte glänzend darüber. Auf Smiths Vorschlag holte Coleman im Jahr 1989 Reggie Washington als Bassisten in die Band, der so wie Smith ein absolutes Gehör hatte und außerordentlich talentiert war. Mit diesen beiden Musikern sowie den übrigen Mitgliedern seiner Band konnte Coleman alles verwirklichen, was er vorhatte, und sie nutzten seine Kompositionen als Sprungbrett für kreative Improvisationen, wie seine beiden nächsten Alben, Rhythm People (aufgenommene im Februar 1990) und Black Science (Dezember 1990), zeigen. Smith war schließlich sogar in der Lage, zum Rhythmus eines Stücks gleichzeitig den eines anderen Stücks, dessen Zyklen andere Längen hatten, zu singen. Zum Beispiel spielte Smith den Schlagzeug-Part von Change the Guard, der einen 3½-Rhythmus hatte, und sang die Melodie von Neutral Zone in einem Vierer-Rhythmus dazu. Smiths Ausscheiden aus der Band gegen Ende 1991 war für Coleman ein schmerzlicher Verlust, doch hinterließ Smith den Beweis, dass es möglich war, Colemans schwierige Musik mit brillanten Improvisationen zu spielen, und das stachelte seinen Nachfolger, Gene Lake, sowie dessen Nachfolger, Sean Rickman, (beides Schlagzeuger, die im Gegensatz zu Smith, weniger aus dem Jazz- als dem Funk-Bereich kamen) dazu an, es ebenfalls zustande zu bringen.105) – In der Zeit von Smiths Mitgliedschaft in der Band entwickelte Coleman auch eine Art des Zusammenspiels, das er damals „kollektive Meditation“ nannte und bis heute pflegt. Er gibt dabei den Mitspielern durch Vorspielen oder Vorsingen spontan Parts vor und entwickelt dann gemeinsam mit der Band ein Stück – also eine spontane Komposition, an der die gesamte Gruppe beteiligt ist. Diese Spielweise dokumentierte er erstmals im Album The Tao of Mad Phat (Studio-Live-Aufnahme aus Mai 1993), dessen Stücke zum Teil auf diese Weise entstanden und das eines seiner Lieblings-Alben blieb.106)

REPETITION UND IMPROVISATION
Steve Coleman teilte nicht die Auffassung vieler Jazzmusiker seiner Altersgruppe, dass alle Instrumente einer Band hinsichtlich der Möglichkeit, improvisatorisch hervorzutreten, möglichst gleichberechtigt sein sollen. Er fand, dass eine gewisse Rollenverteilung notwendig ist – ähnlich wie in einer Basketball-Mannschaft, wo verschiedene Zentren gebildet werden und Spieler unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die Rollenverteilung lasse die Musik atmen. So seien in der afrikanischen Musik zum Beispiel manche Leute nur mit dem Klatschen eines konstanten Rhythmus beteiligt, während der Meistertrommler das gesamte musikalische Geschehen mit seinem anspruchsvollen, improvisierenden Spiel führt. Auch in Charlie Parkers Musik gab es einen beständigen, wenig veränderlichen Part, der vom Bassisten ausgefüllt wurde. Coleman sagte, er sei in dieser Hinsicht von Funk, Parkers Gruppe, afrikanischer Musik und so weiter beeinflusst und achte daher seit jeher darauf, dass es in seiner Musik neben all den improvisatorischen Beiträgen auch eine mehr statische Ebene sowie eine Ebene dazwischen gebe. Aus diesem Grund habe er zum Beispiel den Bassisten Anthony Tidd107) engagiert, der die Frage, ob er Soli spielen möchte, verneinte und durch seine Rolle daher auch nicht eingeschränkt werde. Es sei wesentlich reizvoller, wenn in der Musik Gegenparts mit unterschiedlicher Dichte bestehen. So habe zum Beispiel Miles Davis mit seiner ausgesparten Spielweise Charlie Parker wirkungsvoller ergänzt als der virtuose Dizzy Gillespie und für die gleiche Ergänzung durch Gegensätze habe später Davis in seiner eigenen Band gesorgt, indem er den ähnlich dicht wie Parker spielenden Coltrane einsetzte.108)

Da die rhythmische Grundstruktur von Colemans Musik in der Regel nicht einfach aus dem Beat eines Walking-Basses besteht, sondern aus zwei oder mehreren ineinander verflochtenen zyklischen Figuren, müssen diese Figuren wohl ebenso durch ein gewisses Maß an Wiederholung (Repetition) präsent gehalten werden wie der Beat eines Walking-Basses. Die verflochtenen Rhythmen ergeben eine komplexere und spannendere Basis als der bloße Beat und regen bei ausreichender Repetition zu einem differenzierteren rhythmischen Bewegungsgefühl an. Außerdem sind die sich wiederholenden Rhythmen für Hörer besser wahrnehmbar als rhythmische Figuren, die im Flug einer Improvisation nur kurz auftauchen. Es ist zum Beispiel schwierig, Max Roachs ständig wechselnde Figuren im Dialog mit Charlie Parkers Improvisationen nachzuvollziehen und sie werden daher wohl oft eher wie bloße Durchbrechungen oder Ausschmückungen des swingenden Beats des Walking-Basses erlebt.109)

Coleman nutzte die Basis aus verflochtenen Rhythmen für ein entsprechend rhythmisches Saxofonspiel und erläuterte: Er spiele häufig in der Art, wie James Brown seinen perkussiven Gesang gegen das von seiner Band bereitgestellte groovende Substrat setzte. Die meisten Bläser würden kaum wirklich rhythmisch improvisieren. Was sie rhythmisch nennen, bestehe weitgehend nur aus Akzenten, aus so genannter Synkopierung und dergleichen. Sie würden Ketten aus Noten spielen, die sie lediglich in einer gewissen Weise akzentuieren. Brown habe hingegen nicht in „Achtel-Noten“, wie es „Schul-Musiker“ nennen würden, gesungen, sondern habe mit seinem perkussiven Sprechgesang vielmehr quasi „Schläge“ oder „Stiche“ an bestimmten Stellen platziert und dadurch wie ein afrikanischer Meistertrommler hippe Rhythmen über und gegen das Substrat gelegt. Er (Coleman) habe sich eingehend mit diesen Rhythmen und ihrer Platzierung beschäftigt und das habe ihn stark beeinflusst.110)

VERSTÄRKUNG AUS DER QUELLE
Nachdem Coleman in den 1980er Jahren fast ausschließlich an der Rhythmik gearbeitet hatte, wandte er sich zu Beginn der 1990er Jahre neben den rhythmischen wieder auch harmonischen Aspekten zu. Im Jahr 1993 begann er allerdings zu reisen, und zwar zunächst nach Ghana und dann nach Kuba, und damit rückte wieder der Rhythmus in den Mittelpunkt. Er betrachtete die afrikanischen Traditionen dies- und jenseits des Atlantiks als „Quelle“ einiger seiner Ideen und wollte sie vor Ort studieren, um den Rhythmus seiner Musik noch stärker zu machen, ohne jedoch von seinem Konzept unterschiedlich langer Zyklen abzurücken.111) Seine neuen Erfahrungen schlugen sich laufend in seiner Musik nieder: Nach dem Ausscheiden von Marvin Smitty Smith (gegen Ende 1991) begann er, immer wieder Handtrommler einzusetzen112), und zwar zunächst afro-amerikanische, doch war er mit deren Beiträgen nicht ganz zufrieden. Deshalb engagierte er nach seiner ersten Afrika-Reise im Dezember 1993 und Jänner 1994 einen afrikanischen Trommler. Dem war Colemans Musik aber so fremd, dass die Zusammenarbeit ebenfalls nicht zufriedenstellend verlief. Coleman erkannte später, nach vielen Experimenten mit indischen, afrikanischen, brasilianischen und kubanischen Musikern, dass es hier (wie er sagte) ein „Alte/Neue-Welt-Problem“ gab: Die Handtrommel-Traditionen der Neuen Welt seien auch dann, wenn sie sehr afrikanisch wirken, es tatsächlich nicht mehr, sondern bereits eine hybride Sache und damit seiner Musik näher. Die indischen und afrikanischen Trommler seien mehr ihren alten Musiktraditionen verbunden geblieben und hätten sich in Bezug auf eine Anpassung an seine Musik als nicht flexibel erwiesen. Auch wenn die Gruppe AfroCuba de Matanzas, mit der Coleman zusammenarbeitete, afrikanisch klingt und ihre Mitglieder auch so aussehen, so komme sie doch aus einer hybriden Kultur. Sie hätten eben auch Salsa, klassische europäische Musik und so weiter gehört und seien auch selbst in ihrer Abstammung mit aus Europa Stammenden vermischt. Als zum Beispiel Colemans Band im Senegal mit afrikanischen und den mit ihm gereisten kubanischen Musikern probte113) und er seine Musik erklärte, so hätten die kubanischen Trommler sie völlig anders verstanden als die senegalesischen. Es schien, als wären die senegalesischen Musiker an einem gewissen Ort und könnten sich nicht von dort wegbewegen. Man könne diese Erfahrung natürlich nicht automatisch auf alle afrikanischen Musiker übertragen, doch hätten auch alle seine anderen Erfahrungen dem entsprochen. Kubanische Trommler wie Angá114) und Sandy Perez115) seien nicht nur viel flexibler, sondern auch ihre Anschlagtechnik unterscheide sich sehr von der der Afrikaner. Er habe die kubanischen Musiker darüber sprechen gehört, dass die Senegalesen die Trommel einfach mit der flachen Hand schlagen, während die Kubaner eine ausgefeilte Anschlagtechnik haben. Andererseits sei die Sache der afrikanischen Musiker insofern stärker, als sie zum Beispiel nach wie vor Phrasen mit sprachlicher Bedeutung spielen können, was die Kubaner verloren haben.116) Womit afrikanische Trommler in der Zusammenarbeit mit ihm am meisten Schwierigkeiten hatten, seien längere Formen gewesen. Sie hätten keine so genannten Bridges, wie sie in Songs üblich sind, aber auch in James Browns Musik und Colemans Kompositionen vorkommen, erkennen können und mit längeren linearen rhythmischen Figuren erhebliche Probleme gehabt.117)

Die unbefriedigend verlaufenen Experimente mit afrikanischen Trommlern und das Vorbild von Charlie Parkers Aufnahme mit Machito Mango Mangue bewogen Coleman, nach Kuba zu reisen, nachdem eine Reise nach Haiti, für die er bereits Tickets hatte, wegen politischer oder krimineller Vorkommnisse zu riskant gewesen wäre.118) Zunächst hielt er sich im Dezember 1995 und Jänner 1996 ohne Band in Kuba auf und besuchte gleich nach seiner Ankunft einen Workshop mit Tanzvorführung, der von der Organisation Caribbean Music and Dance119) veranstaltet wurde. Er war nicht am Unterricht interessiert, doch als er die kubanischen Perkussionisten spielen hörte, dachte er sich: „Das ist es, was ich gesucht habe!“ Ihr Spiel erschien ihm kraftvoller als alles, was er an Vergleichbarem anderswo gehört hatte, und als Perkussions-Gegenstück zu Charlie Parkers Musik. Und als er dann das Batá-Trommeln sah, flippte er aus, wie er sagte. Er habe diese Rhythmen überhaupt nicht verstanden, denn es werde beim Batá-Trommeln üblicherweise die Clave120) nicht gespielt und er habe daher nichts gehabt, an dem er sich orientieren konnte. Er habe keine Ahnung gehabt, wie die Trommler überhaupt beginnen.121) – Coleman plante eine Zusammenarbeit seiner Band mit einer kubanischen Gruppe, wofür vor allem die Gruppe Los Muñequitos de Matanzas und die Gruppe AfroCuba de Matanzas in Frage kamen. Da die populärere Muñequitos-Gruppe überwiegend eine folkloristische Rumba-Gruppe war, die AfroCuba-Gruppe hingegen die Erhaltung aller Formen traditioneller afro-kubanischer Musik verfolgte, entschied sich Coleman für letztere. Ursprünglich wollte er Musiker aus beiden Gruppen auswählen, doch sagte man ihm, er müsse sich für eine Gruppe entscheiden. Dabei waren die Mitglieder beider Gruppen in der kleinen Stadt Matanzas ohnehin mehr oder weniger alle miteinander verwandt oder verschwägert. Coleman hätte vor allem gerne einen Sänger aus der Muñequitos-Gruppe, dessen Stimme ihm besonders gut gefiel, hinzugenommen, aber das schien nicht möglich zu sein. Als er später nach Senegal reiste, begleiteten ihn dann tatsächlich Mitglieder beider Gruppen. – AfroCuba war eine sehr große Gruppe und Coleman musste daher die Zusammenarbeit auf einen Teil von ihr beschränken. Ihre Mitglieder waren nicht weit umhergekommen und daher bei der Gelegenheit, mit US-amerikanischen Musikern zu spielen, nahezu mit allem einverstanden, was Coleman vorgab, und das erleichterte für ihn die Zusammenarbeit.122) Er mietete in Havanna ein großes Haus, in dem sie im Februar 1996 alle zusammenkamen und 12 Tage lang intensiv experimentierten, um einen gemeinsamen Sound zu entwickeln. Danach trat Coleman mit seiner Band und der AfroCuba-Gruppe auf dem Havana Jazz Festival auf und nahm anschließend123) in den staatlichen Egrem-Studios in Havanna sein Album The Sign and The Seal auf.124)Colemans Band spielte auch mit den afro-kubanischen Musikern fast immer ihre ungewöhnlichen Zyklen und die Kubaner passten sich an. Die Beiträge der Bläser von Colemans Band schienen für die Kubaner weitgehend unverständlich gewesen zu sein, doch in rhythmischer Hinsicht funktionierte das Zusammenspiel im Laufe der Zeit zunehmend besser.125) Das Album The Sign and The Seal betrachtete Coleman noch als eine Art Jungfernfahrt, denn es habe nicht genau das ergeben, was er machen wollte. Er habe damals diese afro-kubanische Folklore erst verstehen lernen müssen, wobei es ihm vor allem um das Batá-Trommeln ging und die ihm schon zuvor bekannten Erklärungen des ghanaischen Musikwissenschaftlers Willie Anku zu west-afrikanischer Trommelmusik hilfreich waren.126) Im Juni/Juli 1997 unternahm Coleman mit AfroCuba eine Europa-Tournee, ansonsten reduzierte er die Zusammenarbeit mit kubanischen Perkussionisten auf wenige junge, flexible Musiker, insbesondere Angá und Sandy Perez, die in der Lage waren, seinen Vorstellungen zu folgen. Er sagte, mit ihnen sei die Sache wirklich interessant geworden. Er habe sie aufgefordert, nicht nur die ihnen vertrauten Rhythmen ihrer Folklore zu spielen, wie sie es gewohnt waren, sondern auf der traditionellen Basis mit ihrer spezifischen Charakteristik neue Rhythmen zu entwickeln. So arbeiteten sie dann zum Beispiel neue Batá-Kombinationen aus, was schwierig war, da beim Batá-Trommeln stets drei Trommeln beteiligt sind, deren Zusammenspiel hierarchisch strukturiert ist.127)

Coleman sagte, die kubanischen Traditionen hätten ihm sehr geholfen, die Rhythmik seiner Musik zu festigen.128) Er habe die kubanische Erfahrung geliebt, denn sie habe ihn zu sehr speziellen Rhythmen gebracht, die anders als die afro-amerikanischen sind, und sie habe ihm dazu verholfen, die Musik Charlie Parkers anders zu betrachten. Auch in ihr sei das Clave-Konzept zu finden, allerdings in versteckter Form. Das Batá-Trommeln habe ihn das erkennen lassen, bei dem die Clave ebenfalls in versteckter Form vorhanden ist. Parker und Max Roach hätten Clave-artige Figuren gespielt, jedoch nicht in konstanter, sondern veränderlicher Weise. Er habe ein langes Gespräch mit dem älteren Schlagzeuger Billy Hart über dieses Thema geführt, der meinte, dass man ohne Verständnis der Clave nicht wirklich erfassen könne, was Musiker wie Max Roach, aber auch James Brown mit seinem Funk machten, denn das Clave-Konzept liege ihrer Musik zugrunde. Es sei in dieser nord-amerikanischen Musik ebenso vorhanden wie in der afro-karibischen und brasilianischen Musik, nur in quasi unsichtbarer Form. Coleman dachte, dass Hart nicht konkret die Clave meinte, etwa die Guaguancó- beziehungsweise Rumba-Clave, sondern das Clave-Konzept – das, was Anku eine „Timeline“ nannte und aus einer Figur besteht, um die herum alles wie durch einen Kleber zusammengehalten wird. Er verwende das auch in seiner Musik, besonders seit der Zusammenarbeit mit den Kubanern.129) Coleman verglich die Clave mit dem in alter europäischer Kirchenmusik verwendeten Cantus Firmus – einer feststehenden, laufend wiederholten Melodie, zu der weitere melodische Linien improvisiert oder komponiert wurden, sodass ein mehrstimmiges Gewebe entstand.130) Nach seinem Verständnis stellte der Cantus Firmus möglicherweise nur eine Art grundlegende Logik bereit, die auf unterschiedliche Weise genutzt werden konnte. So sehe er auch in der Clave, die für ihn eine Art „Schlüssel-Melodie“131) darstelle, vor allem das, was sie impliziert, was sie also an Möglichkeiten mit sich bringt. Er verwende die Clave in seiner Musik in einer etwas ungewöhnlichen Weise, denn er kombiniere unterschiedlich lange Rhythmen, sodass die Clave stets nur für einen dieser Rhythmen einen „direkten Schlüssel“ darstelle.132)

 

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  1. Steve Coleman: Sein Stück Change the Guard sei in einem Rhythmus, den er als Drei-Ein-Halb verstand. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 2: Overview, part II, Audio im Abschnitt 02:41 bis 04:12 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  2. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 4: Early Coleman, part I, Audio im Abschnitt 56:36 bis 58:15 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net – Steve Coleman: Er komme aus der South Side Chicagos und habe bis zu seinem 18. Lebensjahr kaum „Weiße“ zu Gesicht bekommen. Die meisten Mitglieder seiner Band seien in ähnlichen Gegenden aufgewachsen, Gene Lake in St. Louis, Reggie Washington in New York. Sie kämen aus den rein „schwarzen“ Stadtteilen der großen Städte. Das sei ihre Kultur und das reflektiere ihre Musik. (QUELLE: im Oktober 1993 von Broecking geführtes Interview mit Steve Coleman, in: Christian Broecking, Der Marsalis-Faktor, 1995, S. 124)
  3. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 4: Early Coleman, part I, Audio im Abschnitt 19:30 bis 25:48 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  4. QUELLEN: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 4: Early Coleman, part I, Audio im Abschnitt 38:12 bis 38:42 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; von Frédéric Goaty geleiteter Blindfold-Test mit Steve Coleman, Ende 2001, Internetseite der französischen Zeitschrift Jazz Magazine, Internet-Adresse: http://www.jazzmagazine.com/Interviews/Dauj/SColeman/scolem2.htm; von Thomas Stanley geführtes Interview mit Steve Coleman, Steve Coleman. The Order of Things, Juli 1998, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/steve-coleman-the-order-of-things-by-thomas-stanley/, eigene Übersetzung: Link
  5. QUELLEN: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 4: Early Coleman, part I, Audio im Abschnitt 31:23 bis 31:38 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; von Thomas Stanley geführtes Interview mit Steve Coleman, Steve Coleman. The Order of Things, Juli 1998, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/steve-coleman-the-order-of-things-by-thomas-stanley/, eigene Übersetzung: Link
  6. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  7. Steve Coleman: Er sei eines jener Kinder gewesen, die viel zuhause sind. Während seine Brüder hinausgingen und Basketball spielten, sei er zuhause geblieben. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 4: Early Coleman, part I, Audio im Abschnitt 37:47 bis 38:12 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  8. Steve Coleman: Die Jugendbande, die die Straße beherrschte, habe Leute seines Alters rekrutiert und diejenigen ausgenutzt, die ungeschickt waren. Er habe damit nichts zu tun haben wollen und wenn ihn jemand Feigling nannte, dann habe er einfach gesagt, gut, das sei eben seine Meinung. Er sei nicht wütend geworden, sondern gleichgültig geblieben. Sein Vater habe ihm vor seinem Tod gesagt, es sei für ihn schon früh ersichtlich gewesen, was er heute musikalisch macht und wie er es macht. Er sei ein eigensinniges Kind gewesen, das seinen eigenen Weg gehen wollte und das alleine in einer Ecke sitzen und sein Spiel stundenlang spielen konnte. (QUELLE: Ted Panken, Steve Coleman. The Motivator, Zeitschrift DownBeat, Oktober 2011, S. 34-37, Internet-Adresse: https://tedpanken.wordpress.com/category/steve-coleman/)
  9. Steve Coleman: James Browns Musik sei anders gewesen als die Sachen von Motown [afro-amerikanische Tonträger-Firma, die auf populäre afro-amerikanische Musik spezialisiert war] und Ähnliches, und zwar durch ihr Schwergewicht auf der Verzahnung individueller Parts wie bei einem Puzzle. Zum Beispiel höre man bei Smokey Robinson, einem der erfolgreichsten Musiker von Motown, nicht das, sondern eine Art Song-Form. Diese sei nicht genau die Art von Tin-Pan-Alley-Songs, aber doch näher zu diesen Songs, bei denen sich gewissermaßen alles in derselben Weise bewegt. Es könne da hin und wieder einen Kreuzrhythmus geben, aber nicht diese Verzahnung individueller Parts wie bei James Brown. – Browns Sache sei sein (Colemans) „Scheiß“ gewesen, als er jung war. Er habe das damals gehört und er sei zwar noch jung, aber doch alt genug gewesen, die Veränderung gegenüber all der anderen Musik am Ende der 1960er Jahre, wie etwa der Doo-Wop-Musik, wahrzunehmen. Die Veränderung habe Mitte der 1960er Jahre begonnen. Das erste Stück könnte I Feel Good [I Got You (I Feel Good), 1965] gewesen sein. Die Sache, die bei ihnen [Coleman und seinen Altersgenossen] wirklich einschlug, sei dann Mother Popcorn (1969) gewesen. Sie seien keine Musiker gewesen, hätten jedoch gemerkt, dass etwas geschah. Diese dynamische Art, wie die Parts verzahnt waren! Er habe das damals nicht so verstanden, aber doch die Veränderung bemerkt und die Musik habe für ihn eine natürliche Anziehungskraft gehabt. Alles, was später geschah, von den west-afrikanischen Sachen bis in die Gegenwart, sei davon angeregt worden, denn er habe den Unterschied zu all der übrigen damals populären afro-amerikanischen Musik, mit der er aufgewachsen war, gespürt – die Art, wie sich Browns Zeug „legte“, und all das. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 11:14 bis 14:00 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net) – Steve Coleman: Sie [Coleman und seine Altersgenossen] hätten zu James Browns Musik getanzt. Er habe gefühlt, dass diese Musik die Welt verändert. Er habe das bereits in den 1960er Jahren gewusst. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 2: Overview, part II, Audio im Abschnitt 28:20 bis 28:59 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  10. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 4: Early Coleman, part I, Audio in den Abschnitten 32:29 bis 41:32 Minuten und 46:33 bis 48:25 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  11. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  12. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 4: Early Coleman, part I, Audio im Abschnitt 46:33 bis 48:25 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  13. siehe oben
  14. Vernel Fournier wurde vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem Pianisten Ahmad Jamal bekannt.
  15. offenbar 1976/1977, Coleman selbst nannte 1972/1973, doch kann das nicht richtig sein
  16. Steve Coleman: Er mochte Bunky Greens Spiel, das allerdings mehr Pattern-orientiert und damit leichter nachvollziehbar war als das von Von Freeman, der ständig alles immer wieder anders zu spielen schien, was es schwierig machte, die dahinter stehenden Prinzipien zu erkennen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 5: Early Coleman, part II, Audio im Abschnitt 36:23 bis 37:04 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  17. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 8: From Chicago to New York, Audio im Abschnitt 07:40 bis 08:45 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  18. Association for the Advancement of Creative Musicians
  19. QUELLE des gesamten Absatzes (soweit nicht anders angegeben): Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 5: Early Coleman, part II, gesamtes Audio, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  20. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  21. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 6: Early Coleman, part III, Audio im Abschnitt 02:21 bis 04:00 Minuten, und Episode 8: From Chicago to New York, Audio im Abschnitt 11:16 bis 12:22 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  22. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 8: From Chicago to New York, Audio vom Anfang bis 14:42 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  23. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  24. QUELLE: von Fred Jung geleitetes Interview mit Steve Coleman, Juli 1999, My Conversation With Steve Coleman, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/my-conversation-with-steve-coleman/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  25. Arthur Blythes erstes Album für die große Musikproduktionsfirma Columbia hatte den Titel In the Tradition (1978). Seine zuvor gemachten Alben waren noch wesentlich avantgardistischer.
  26. Steve Coleman auf die Frage, wie viel Einfluss die AACM auf die M-Base-Projekte hatte: Sie [offenbar die M-Base-Partizipanten] hätten nicht so sehr auf Bezeichnungen geachtet, selbst in Bezug auf die AACM nicht. Sie hätten auf die Leute geachtet, mit welcher Art von Information sie umgingen und was sie machten, wie sie zusammenarbeiteten. Es sei für ihn immer schon interessant gewesen, wie Leute zusammenarbeiten und dabei doch ihre Individualität bewahren können. Er habe sich nach Beispielen für eine Zusammenarbeit umgesehen, bei der die Musiker sich nicht gegenseitig zu bestimmten Spielweisen zwingen. Es habe keinen Druck gegeben, dass Henry Threadgill genau dasselbe zu tun habe wie Muhal Richard Abrams und so weiter, und doch konnten sie zusammenarbeiten. Alle Leute, die ihn interessierten, seien – er möchte nicht einmal das Wort „kreativ“ verwenden – sie seien einfach sie selbst gewesen. Das gehe zurück bis zu Leuten wie Charlie Parker und betreffe alle Bereiche. Er sei an Leuten interessiert gewesen, die so etwas machten, egal ob sie es in einer Organisation oder ohne sie machten. […] Die erste Band, die er in New York sah, nachdem er 1978 dorthin übersiedelt war, sei Threadgills Gruppe Air gewesen. Er habe damals mit Threadgill, den er schon in Chicago getroffen hatte, gesprochen und ihn gefragt, wen er sich als nächstes ansehen soll. Threadgill habe ihm „Black Arthur“ (wie Arthur Blythe damals genannt wurde) vorgeschlagen, denn wenn man einen Alt-Saxofon-Ton hören will, dann müsse man Arthur hören. Blythes kraftvoller Ton habe ihn (Coleman) beeindruckt und er habe sich nach dem Hören von Air und Blythes Band (mit Abdul Wadud am Cello und anderen) gedacht, dass das der Ort ist, wo er bleiben will. Denn wenn man davon leben kann, was diese beiden Gruppen spielten, dann sei das der richtige Ort für ihn. Das sei sein Problem in Chicago gewesen. Er habe es sehr geschätzt, in Chicago aufgewachsen zu sein, aber nach einiger Zeit sei es eng geworden in Bezug auf den Versuch einer Erweiterung. Einige Leute hätten versucht, ihn zu überreden, sich der Musikerkooperative AACM anzuschließen. Das sei zu einer Zeit gewesen, als AACM-Mitglieder wie Henry Threadgill und Muhal Richard Abrams Chicago bereits verließen. Er habe sich gefragt, wohin all die Musiker, auch Chico Freeman [Von Freemans Sohn] und George Lewis gingen [nach New York]. (QUELLE: Podiumsdiskussion am 23. Februar 2017 im Institute of Contemporary Art (ICA), Philadelphia, zum Thema The Freedom Principle: Experiments in Art and Music, 1965 to Now, moderiert von Greg Tate, mit Muhal Richard Abrams, Steve Coleman, Cauleen Smith und Henry Threadgill, YouTube-Video The Freedom Principle Now: A Creative Conversation the exhibition at ICA Philadelphia, Internet-Adresse: https://www.youtube.com/watch?v=Br9aN5N2qIo)
  27. Von Freemans Sohn, der Saxofonist Chico Freeman, brachte Steve Coleman in Sam Rivers Bigband. (QUELLE: Gene Santoro, Dancing In Your Head, 1994, S. 289)
  28. Greg Osby: Rivers habe die übliche Kompositionsweise für Bigbands aufgehoben. Es sei fast wie das, was Charles Mingus machte. Er habe jedes Mitglied der Band etwas anderes machen lassen. Aber dies sei viel mehr kakofonisch gewesen. Denn es sei ja wie eine Bigband gewesen. (QUELLE: von Ted Panken geleitetes Interview mit Greg Osby, Internet-Adresse: http://tedpanken.wordpress.com/2011/12/27/sam-rivers-1923-2011-r-i-p-a-downbeat-article-from-1999-and-interviews/)
  29. Mehr dazu später unter der Überschrift UNTERSCHIEDLICHE LÄNGEN MIT GEFÜHL
  30. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 8: From Chicago to New York, Audio im Abschnitt 33:14 bis 34:23 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  31. Steve Coleman: Hammond habe den Rhythmus behandelt, als wäre er eine Melodie. (QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link)
  32. Steve Coleman: Die Melodie des Stückes Perspicuity passe in einer bestimmten Weise rhythmisch zum Drum-Chant. Es sei fast so, als habe Hammond sie genauso als Rhythmus wie als Abfolge von Tonhöhen gedacht. (QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link)
  33. Steve Coleman: 1.) Als er zum ersten Mal Doug Hammond mit dem Cellisten Muneer Abdul Fattah das Stück Perspicuity spielen hörte, habe er festgestellt, dass es „da diese Art von eingebautem Kontrapunkt gibt, der darin abläuft.“ – 2.) Er habe damals eine fast Max-Roach-artige Sache und eine Melodie, die dagegen lief, gehört, keine Akkorde, nur Melodie und diese Trommel-Sache. Es habe in Hammonds Stücken eine gewisse Balance gegeben. – 3.) Als er Hammonds Musik hörte, habe er sich gedacht, dass es das ist, was seiner eigenen Musik fehlte. Das habe bei ihm eingeschlagen. Es sei etwas gewesen, das die Balance in dem betraf, was Hammond machte. (QUELLE 1: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link; QUELLE 2: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 14:42 bis 18:44 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 3: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, wie oben, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link) – „Kontrapunkt“ ist hier wohl im Sinne von zwei selbständigen, einander gegenübergesetzten Linien zu verstehen. Im ursprünglichen Sinn bezeichnet der „Kontrapunkt“ eine Kompositionstechnik der Renaissance und des Barock (mit einem Höhepunkt in der Musik von Johann Sebastian Bach), für die bestimmte Regeln bestanden.
  34. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  35. Eine Aufnahme dieses Stücks ist in Doug Hammonds Album Perspicuity (aufgenommen 1981 und 1982) enthalten. Steve Coleman interpretierte das Stück mit seiner Five-Elements-Band in seinem Album Lucidarium (2003).
  36. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, Video P001-3: Rhythm-Perspicuity, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  37. Steve Coleman: Als er mit Doug Hammond zu spielen begann, habe er ihn bei einer Komposition von ihm gefragt, wo die Akkordwechsel sind, und Hammond habe gesagt, die Wechsel seien im Rhythmus, das Stück habe eine rhythmische Figur. Das sei für ihn anfangs irritierend gewesen und er habe nicht gewusst, wie er als Saxofonist darüber spielen sollte, denn er habe Schlagzeuger bis dahin mehr oder weniger als Time-Keeper betrachtet. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, Video P001-3: Rhythm-Perspicuity, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  38. Steve Coleman: Der Cellist des Doug-Hammond-Trios sei zwar gut gewesen, aber nicht wirklich stark in der Tradition von Oscar Pettiford und solchen Musikern, die eine starke Stimmführung hatten. So sei es viel an ihm (Coleman) als Saxofonisten gelegen, das jeweilige Stücke zum Klingen zu bringen. Hammond habe all dieses merkwürdige Zeug gehabt, das er schrieb, mit diesen unterschiedlichen Arten von Rhythmen, und so habe er (Coleman) sehr daran gearbeitet, seine Stimmführung stärker hinzubekommen. Er wollte, dass es wirklich nach dem Sound des jeweiligen Songs klingt. Davor habe er das noch nicht gemacht, sondern mit Licks [formelhaften Phrasen] herumgepfuscht. Er habe einen sehr Lick-orientierten Zugang gehabt. Da er sich das Spielen selbst beigebracht hatte, habe er die Dinge durch Herumprobieren entwickelt. Darum sei er nicht darin versiert gewesen, etwa zu sagen: Okay ich bin jetzt hier und verlasse nun in tonaler Hinsicht diesen Bereich und gehe in jenen. Er habe daher noch viel zusammenbringen müssen und sei in dieser Hinsicht bei Hammond weitergekommen, einfach, weil es in dessen Trio, wie erwähnt, diesbezüglich auf ihn ankam. Er habe einen großen Teil der frühen 1980er Jahre damit verbracht, das auszuarbeiten. Und in Dave Hollands Band sei es dann ziemlich ähnlich gewesen, wenn auch auf andere Weise: Holland sei gerade aus der Band von Sam Rivers gekommen und gewohnt gewesen, alles offen zu spielen. So seien fast alle von ihm geschriebenen Stücke offen gewesen, weit offen mit einem Swing darunter. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 12: Sounding Like Yourself, Audio 1 im Abschnitt 09:16 bis 12:05 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  39. von vielen Jazz-Musikern über längere Zeit verwendete Stücke, die häufig als mehr oder weniger bekannt vorausgesetzt werden (also zu einer Art Standard-Repertoire zählen) und überwiegend aus Songs mit Akkordfolgen bestehen
  40. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, Video P001-3: Rhythm-Perspicuity, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  41. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  42. Steve Coleman: 1.) Er sei zunächst fast ausschließlich mit harmonischen und melodischen Dingen beschäftigt gewesen. Er habe bereits begonnen, an der Symmetrie-Sache zu arbeiten. Die harmonischen Dinge, mit denen er sich befasste, seien keine ungewöhnlichen gewesen. Vielmehr habe er nur versucht herauszufinden, was Musiker wie Von Freeman machten. Er habe Anfänge der Matrix-Sache gehört, aber noch nichts ausformuliert. Er habe Freeman und andere ältere Musiker bestimmte harmonische Dinge machen gehört und begonnen, all das zusammenzusetzen. Das rhythmische Element sei dann speziell mit der afrikanischen Musik und mit Doug Hammond ins Spiel gekommen. 2.) Er habe bereits eine Menge tonaler Elemente beisammen gehabt. Sein Interesse an Symmetrie, seine wachsende harmonische Sache, gewisse Spielweisen, die von Flugmustern der Bienen inspiriert waren, und so weiter, all das reifte, doch habe er gefühlt, dass etwas fehlt, dass etwas formal nicht passte. 3.) Es habe alles mit der Figuren-Sache begonnen, mit der er sich schon immer in melodischer Hinsicht und auch in harmonischer beschäftigte, wobei er die Harmonik als Ausläufer davon betrachtete. Mit der Rhythmus-Sache habe er sich erst mehr befasst, nachdem er nach New York übersiedelte, und besonders, nachdem er zu Doug Hammond kam, was um 1979 geschehen sein dürfte. Damals seien die Rhythmus-Sache sowie auch die Gesamt-Form zu seinem Haupt-Anliegen geworden. 4.) Bevor er mit Hammond zu arbeiten sowie afrikanische Musik zu studieren begann und in die Süd-Staaten trampte, sei seine Musik mehr eine (mangels eines besseren Wortes) „Swinger“-Musik gewesen. Er habe damals nicht viel auf das (mangels eines besseren Wortes) „Substrat“ geachtet – auf das, was das Schlagzeug und der Bass machten, auf diese darunter liegende rhythmische Sache. Er habe einfach versucht, sein Saxofon-Spiel auf die Reihe zu kriegen, und habe Stücke wie Donna Lee gespielt. Und als er dann in Funk-Bands spielte, habe er einfach über den vorhandenen Grooves gespielt und sich nicht viel mit dem Verändern und Herumbasteln am Motor befasst. Er habe nicht die Motorhaube geöffnet und an dem herumgebastelt, was der Bass und das Schlagzeug machten und so weiter. 5.) In der Zeit, in der er durch Schallplatten-Aufnahmen aus Elfenbeinküste west-afrikanische Musik kennenlernte, sei er auch mit Doug Hammond zusammengetroffen und diese beiden Dinge seien die beiden großen Katalysatoren für seine Veränderung gewesen. Das rhythmische Element sei vor allem durch die afrikanische Musik und Hammond ins Spiel gekommen. Hammond habe schon immer west-afrikanische Musik, das Diaspora-Zeug, Afro-Kubanisches und all das gemocht und sei früher mit kubanischen Musikern beisammen gewesen. Er käme aus Florida und es gebe zwischen all dem eine Verbindung. Hammond habe begonnen, mit ihm über Ed Blackwell und so weiter zu sprechen. Er (Coleman) sei bereits auf Max Roachs Sache gestanden und all das sei gewissermaßen zusammengekommen. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 02:48 bis 04:12 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 14:42 bis 18:44; QUELLE 3: M-Blog Episode 8: From Chicago to New York, Audio im Abschnitt 33:14 bis 35:57; QUELLE 4: M-Blog Episode 7: The Blues, Audio im Abschnitt 25:32 bis 27:24; QUELLE 5: M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 02:48 bis 04:56 Minuten)
  43. QUELLE: Howard Mandel, Future Jazz, 1999, S. 149 – Das darin verwendete Interview mit Steve Coleman fand nach Mandels Angabe (S. 148) Mitte der 1980er Jahre statt, und zwar in einer Pause zwischen Proben mit der Band des Popstars Sting. Tatsächlich muss das Interview im Jahr 1987 stattgefunden haben: Coleman sprang in diesem Jahr nämlich für Brandford Marsalis ein, um an dessen Stelle auf einer Tour Stings nach Brasilien zu spielen. Vor diesem Engagement im Jahr 1987 hatte Coleman mit Sting keinen Kontakt, wie sich aus seinem Bericht über Stings Anruf ergibt. [QUELLE: Gene Santoro, Dancing In Your Head, 1994, S. 293]
  44. QUELLEN: Stephen Graham, The State of the Art, Zeitschrift Jazz on CD, Nr. 1/6, Juni 1994, S. 62 – Steve Coleman: Die Band, die Charlie Parker nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie in Kalifornien und seiner Rückkehr nach New York hatte [ab 1947], sei für ihn [Steve Coleman] eine perfekte Band gewesen. Er habe diese Band als Modell für seine eigene Band verwendet. Nicht dass er dieselbe Musik spiele, aber wie sich die Instrumente aufeinander beziehen, ihre Funktionen und so weiter, das habe er als Modell verwendet. John Coltranes Band habe ihn ebenfalls beeinflusst, aber Parkers Band noch mehr. (QUELLE: Von Steve Coleman am 9. März 2022 geführter Conference Call mit Premium-Mitgliedern seiner Internet-Plattform M-Base Ways)
  45. QUELLE: Fred Jung, My Conversation With Steve Coleman, Juli 1999, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/my-conversation-with-steve-coleman/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  46. QUELLE: Hayri Gökşin Özkoray, Interview with Steve Coleman, Interview vom 15. April 2013, Internetseite HGÖ’s blog on improvised music, Internet-Adresse: http://improvisedoutside.blogspot.fr/2013/06/interview-with-steve-coleman.html
  47. Steve Coleman: 1.) Als er mit dem Musizieren begann, habe er zunächst bloß das Saxofon-Spielen und das normale Zeug gelernt. Nachdem er jedoch mit dem Stücke-Schreiben begann und zu improvisieren versuchte, habe er sich mit James Browns Musik und Charlie Parkers Musik beschäftigt. Er habe sich bereits früh Parkers Aufnahme Ko-Ko (1948) angehört und die einzelnen Parts, die Parker und sein Schlagzeuger Max Roach spielten, wahrgenommen. Er habe sich gedacht, dass Parkers Musik zwar wesentlich wilder war und sich viel mehr laufend veränderte, aber ebenfalls die Verzahnungs-Sache enthielt. Er habe Parkers Musik aus dieser Perspektive betrachtet, was nicht alle Musiker täten. Manche würden Parkers Musik bloß als bestimmte Akkordwechsel wahrnehmen. 2.) In den Abhandlungen über Charlie Parker und so weiter, die er schrieb, spreche er hauptsächlich über die Sachen, die die Leute nicht hören – nicht über das, was jeder hört, wie die Verwendung gewisser Akkorde. Er habe vielmehr die Stimmführung, die Rhythmik, den Sprach-Charakter und all das besprochen, was sonst nirgendwo erwähnt werde. Es sei vor allem die Harmonik, die Leute in erster Linie wahrnehmen. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 14:00 bis 14:42 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: M-Blog Episode 15: The Computer II, Audio 2 im Abschnitt 14:09 bis 18:12 Minuten) – Mit den von Coleman erwähnten Abhandlungen ist offenbar vor allem sein folgender Artikel gemeint: Steve Coleman, The Dozens: Steve Coleman on Charlie Parker, 2009, Internet-Adresse: http://m-base.com/the-dozens-steve-coleman-on-charlie-parker/, eigene Übersetzung: Link
  48. Album Music of the Ivory Coast mit der Indigenous Music of the Ivory Coast National Company, aufgenommen 1977 von Nadi Qamar beim zweiten „World Black and African Festival of Arts and Culture” (F.E.S.T.A.C.) in Lagos, Nigeria, veröffentlich von Folkways Records im Jahr 1979
  49. Steve Coleman: 1.) Über die Rhythmen selbst habe er bewusst nachzudenken begonnen, als er sich mit west-afrikanischer Musik zu beschäftigen begann, also in den späten 1970er Jahren, hinein in die 1980er Jahre. Er habe im Jahr 1979 eine Schallplatte mit dem Titel Indigenous Music of the Ivory Coast erhalten. 2.) Die afrikanische Sache sei ursprünglich vom Hören dieser Aufnahmen hergekommen, doch habe er sich schon von Anfang an gedacht, dass er dorthin reisen und das live hören muss. Allerdings sei ihm klar gewesen, dass das – aus finanziellen Gründen – nicht bald geschehen wird. Tourneen brachten ihn nicht dorthin, denn Dave Hollands Band, in der er damals spielte, habe nicht in Afrika gespielt. Dass er von New York nach Allentown übersiedelte, habe zum Teil dazu gedient, Geld zu sparen, um diese Reisen machen zu können. Er habe gesehen, dass die Musiker, die nach Afrika fuhren (Ed Blackwells, Don Cherry, Randy Weston und so weiter), das selbst zustande brachten. 3.) Damals, als seine Zusammenarbeit mit Doug Hammond sowie seine Beschäftigung mit afrikanischer Musik begann und er in die Südstaaten trampte, habe er noch keine Ahnung gehabt, was in Kuba, in Haiti, Brasilien oder ähnlichen Orten Lateinamerikas [wo Traditionen der afrikanischen Diaspora fortbestanden] geschah. Seine Kenntnisse und sein Interesse hätten sich damals auf das beschränkt, was er durch die Aufnahmen aus Elfenbeinküste an west-afrikanischer Musik kennenlernte. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 01:32 bis 02:48 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 09:08 bis 10:27 Minuten; QUELLE 3: M-Blog Episode 7: The Blues, Audio im Abschnitt 25:06 bis 25:26 Minuten)
  50. Steve Coleman: 1.) Die spezielle Beschäftigung mit den Rhythmen sei vor allem durch die west-afrikanische Sache angeregt worden, denn er habe bemerkt, dass die afrikanischen Musiker einige der Rhythmen, die Charlie Parker und Roach spielten, ebenfalls spielten, jedoch in einem anderen Kontext. Auch habe er bemerkt, dass die Afrikaner diese Verzahnungssache haben, ähnlich wie James Browns Musik. Es habe auch Ähnlichkeiten der afrikanischen Musik mit dem gegeben, was Charlie Parker machte. In anderen Aspekten sei sie mehr wie die James-Brown-Musik gewesen. Er habe sie mit afro-amerikanischer Musik verglichen, bei der es diese zwei, eigentlich drei Sachen gebe, wobei er bei einer nicht viel Rhythmus hörte: Den Funk, den Blues und diese „straight ahead“ spielenden Musiker [offenbar Jazz-Musiker; Coleman lehnt die Bezeichnung „Jazz“ ab]. Den Blues habe er nie als offenkundig rhythmisch betrachtet. Er sei rhythmisch, aber nicht in der gleichen Weise. Er habe nicht diese Beziehungen, die Musiker wie Charlie Parker und Max Roach hatten und die auch James Brown hatte. 2.) Die James-Brown-Sache sei statisch, während die Musik von Charlie Parker und Max Roach einen wechselhaften, sich ständig verändernden Charakter habe. Die afrikanische Musik schien irgendwo dazwischen zu sein. Es gebe in ihren begleitenden Parts einen statischen Teil, während der Meistertrommler mehr die sich ständig verändernde Sache mache. Er habe begonnen, Musiker wie Charlie Parker als Meistertrommler zu betrachten, während Musiker wie Tommy Potter [Bassist in Parkers Band] die mehr unterstützende Rolle haben. Er habe begonnen, die Dinge in Bezug auf die „Veränderungsrate“ zu betrachten. Diesen Begriff habe er damals häufig verwendet. Es habe auch eine Zwischen-Ebene gegeben, auf der jemand wie [der Pianist] Bud Powell war. In dessen Beitrag habe es ein statisches Elemente gegeben (in Bezug auf den gesamten Zyklus), doch sei die Art, wie er sich bewegte, dynamisch. Und dann habe es eben die Ebene des Solisten gegeben, der die Rolle des Meistertrommlers spielte, Aufrufe machte und all das, worauf die anderen ihm folgten. Er (Coleman) habe begonnen, Parkers Musik tatsächlich wie diese west-afrikanische Musik zu betrachten, und das habe mit der Auffassung vieler seiner Altersgenossen nicht übereingestimmt. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 02:48 bis 04:56 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 04:56 bis 06:59 Minuten)
  51. Steve Coleman: 1.) Was ihn an Doug Hammonds Musik so anzog, seien dessen „Drum-Chants” [wie Hammond sie nannte] gewesen. Der erste Song von Hammond, den er hörte, sei Perspicuity gewesen. Als er dieses Stück zum ersten Mal hörte, habe er sich gedacht: „Das ist es. Das ist, was ich gesucht habe.“ Was er suchte, sei eine andere Art gewesen, die afrikanische Sache und James Browns Sache zu machen, ein anderer Zugang zu dem. Er habe gefühlt, dass in seiner Musik etwas fehlt, dass etwas formal nicht passte, die Art wie sie zusammengesetzt war und ausgeführt wurde. Als er Hammonds Stück hörte, habe er es noch nicht verstanden, aber sich gedacht: „Das ist es!“ Er sei von Hammonds Musik fasziniert gewesen und sie habe ihn echt in Fahrt gebracht. 2.) Als er Hammonds Musik hörte, habe er sich gedacht: „DAS ist es, was fehlt.“ Das habe eingeschlagen. Es sei etwas gewesen, das die Balance in dem betraf, was Hammond machte. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 14:42 bis 18:44 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  52. Doug Hammonds Album Space (aufgenommen 1982). „Murdxas“ sprach Coleman als „Mördäxas“ mit Betonung auf ä aus.
  53. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  54. Steve Coleman: 1.) Die Five-Elements-Band sei zu Beginn der 1980er Jahre zustande gekommen, um 1981 oder vielleicht schon 1980, wobei zunächst lediglich geprobt wurde. Ungefähr um 1983 hätten sie dann erste Engagements erhalten. 2.) Bereits als er mit Graham Haynes über ihre spätere Five-Elements-Band sprach, ... (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 9: From Motherland Pulse to Rhythm People, Audio im Abschnitt 00:05 bis 02:08 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: M-Blog Episode 2: Overview, part II, Audio im Abschnitt 30:00 bis 33:34 Minuten)
  55. Steve Coleman: Er und Graham Haynes seien in den Süden getrampt, um die unterschiedlichen dortigen Musikszenen kennenzulernen, neben dem dortigen Jazz die unterschiedlichen Blues-Formen, insbesondere den Delta-Blues im Bundesstaat Mississippi. Sie seien an der Musikgeschichte interessiert gewesen, hätten New Orleans sehen und eine Reihe von Orten aufsuchen wollen. Versierte Musiker hätten sie erst in den Städten getroffen. Am Land hätten sie im Grunde genommen bloß Blues, Country-Music und so etwas gehört. Sie seien nach Memphis getrampt, weiter nach Jackson in Mississippi und nach New Orleans. Von dort aus machten sie Abstecher nach Baton Rouge und anderen Orten. Dann seien sie zurück nach Jackson gereist und von dort aus nach Osten – durch Birmingham in Alabama und weiter nach Atlanta in Georgia, wobei er lediglich die großen Städte erwähne. Von Atlanta fuhren sie zurück nach New York. In Jackson hörten sie erstmals von Cassandra Wilson, trafen sie aber nicht, da sie bereits nach New York übersiedelt war. Auf ihrer Reise trafen sie mit vielen Musikern zusammen, zum Beispiel mit Ellis Marsalis und anderen aus dem Umfeld der Marsalis-Brüder, von Donald Harrison und Terence Blanchard sowie etwa mit Mulgrew Miller in Memphis und den Harper-Brüdern in Atlanta. Die ganze Reise habe ungefähr zwei Monate gedauert. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 7: The Blues, Audio im Abschnitt 01:12 bis 14:47 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net) – Coleman war sich nicht sicher, ob diese Reise tatsächlich im Jahr 1982 erfolgte. Ein Zeitungsausschnitt, der in Blog/M-Blog Episode 7 abgebildet wurde, bestätigt jedoch seine Zeitangabe.
  56. Steve Coleman: Die Blues-Sache sei ziemlich tiefgehend. Er sei damit mehr vertraut gewesen als Graham Haynes, einfach weil so viele Leute aus dem Süden nach Chicago heraufgekommen waren. Um sich an diese Art von Musik zu akklimatisieren, habe er Haynes vor ihrer Abreise zu den Orten in Chicago gebracht, wo diese Art Delta-Blues gespielt wurde – Orte, wo Leute wie Buddy Guy und Junior Wells, diese Chicagoer Musiker, umher waren. Das sei eine ganz andere Szene als die von Von Freeman gewesen. Freemans Sache sei schon ziemlich rau gewesen, aber das sei noch rauer gewesen und es sei dabei nicht darum gegangen, 20 Chorusse über How High the Moon zu spielen. Man spielte hinter diesen Blues-Musikern ständig wiederholte Riffs, vielleicht einmal einen oder zwei Chorusse, aber hauptsächlich sei es um das Singen gegangen. Er habe Haynes dorthin gebracht und habe Tonband-Aufnahmen davon, wie sie in der so genannten Checkerboard Lounge bei Junior Wells einstiegen, der eine bedeutende Figur im Chicagoer Blues war. Haynes sei beim Spielen einfach seiner Führung gefolgt, denn er sei schon früher an diesen Orten in der fast ausschließlich „schwarzen“ South-Side von Chicago gewesen. Viele „schwarze“ Leute seien in Wellen dort zugewandert und so habe es Leute gegeben, die bereits seit ein paar Generationen da waren, und andere, die gerade gekommen waren. Die, die schon länger da waren, sahen auf die Neu-Ankömmlinge herab, betrachteten sie als unkultiviert, ungehobelt, ländlich. Sie gaben ihnen Namen wie „Bama“, eine Abkürzung für „Alabama“. Leute wie Junior Wells und ihre Zuhörer passten absolut in diesen Bereich kürzlich Angekommener. Und auch wenn sie schon länger da waren, so bildeten sie eine bestimmte soziale Schicht, könne man sagen. Die nächste Schicht aufwärts seien Leute wie Von Freeman gewesen. Das seien Musiker, die sich in einem viel anspruchsvolleren Bereich bewegten. Die Musik sei für ihn ein Spiegelbild der Leute. Die Musik, die zum Beispiel Lee Morgan spielte, reflektiere, wer Morgan war, seine Erfahrungen, mit wem er beisammen war, seine Kultur, alles. Er habe die Musik nicht als Jazz, Blues oder Funk betrachtet und diese Bereiche als miteinander verbunden wahrgenommen. Es sei einfach darauf angekommen, wer die Leute sind. Er sei viel aus dem Funk-Spielen hervorgekommen und habe aufgrund der Art von Funk, die in Chicago gespielt wurde, sofort erkannt, dass das, was Blues-Musiker wie Junior Wells machten, einfach eine ältere Form davon war. Er habe dann zwar eine Weile gebraucht, aber schließlich erkannt, dass das, was Musiker wie Von Freeman machten, eine verfeinerte Form davon war. „Verfeinert“ bedeute, dass man mehr wissen musste, die Musik sich mehr umher bewegte, mehr Intellekt involviert war und so weiter. Doch seien diese drei Formen Teil ein und derselben Sache gewesen. Er habe kürzlich mit Maceo Parker [früherer Saxofonist in James Browns Band] darüber gesprochen, mit dem er auf einem Festival zusammentraf, – darüber, wie Maceo Parker in Ray Charles Band spielte, wie er die Verbindung von Jazz und bluesigeren Formen sah und so weiter. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 7: The Blues, Audio im Abschnitt 15:00 bis 19:37 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  57. Steve Coleman: Die musikalischen Erfahrungen, die er und Graham Haynes bei ihrem Trampen durch die Südstaaten im Jahr 1982 sammelten, habe sich in der damaligen Five-Elements-Band dann durchaus niedergeschlagen, und zwar darin, welche Art von Sachen sie hörten, wie sie Groove hörten und so weiter. Eines der Dinge, die sie im Süden sofort bemerkten, sei, dass dort alle sehr hinter dem Beat spielten, sehr zurückgelehnt. Sie hätten dann versucht, in ihrem eigenen Spiel ein wenig von diesem Feeling zu bekommen. Er habe dann auch nach anderen Musikern als zuvor gesucht. Die Reise in den Süden habe definitiv einen Einfluss auf sie gehabt. Das sei damals eine große Übergangsphase gewesen. Die Erfahrungen der Reise seien mit seinen Erfahrungen bei Doug Hammond und dem Studium der west-afrikanischen Schallplatten-Aufnahmen zusammengefallen. Von dem, was in Kuba, in Haiti, Brasilien oder ähnlichen Orten Lateinamerikas geschah, habe er noch keine Ahnung gehabt. Auf die Frage, ob es eine Komposition aus der damaligen Zeit gibt, die von der Südstaaten-Reise beeinflusst ist, sagte Coleman: Ja, es gebe mehrere. Jene, die in einem Album erschien, sei Murdxas [Doug Hammonds Album Spaces, aufgenommen 1982]. Sie habe diese Drum-Chant-Sache und sei sehr erdig. Bevor er mit Hammond zu arbeiten und afrikanische Musik zu studieren begann und in die Süd-Staaten trampte, habe seine Musik nicht diesen erdigen Charakter gehabt, den man im [späteren] Stück Wights Waits For Weights [eine Aufnahme davon ist in Steve Colemans Album Motherland Pulse (1985) enthalten] hören könne. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 7: The Blues, Audio im Abschnitt 24:11 bis 26:48 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  58. Steve Coleman konnte sich an die Quelle nicht mehr erinnern. Er meinte, sie könnte Duke Ellingtons Autobiographie Music is My Mistress sein. Darin scheint eine solche Aussage jedoch nicht enthalten zu sein. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Community Forum/Miscellaneous/Duke Ellington Quote, Beitrag Nr. 3943 vom 29. Juli 2015; veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  59. Näheres und Quelle: Link
  60. ein besonders am Ende der 1930er, Anfang der 1940er Jahre populärer Tanz-Stil der so genannten „Swing-Ära“
  61. Näheres und Quelle: Link
  62. something more sophisticated
  63. QUELLE: Ted Panken, Steve Coleman. The Motivator, Zeitschrift DownBeat, Oktober 2011, S. 36, Internet-Adresse: https://tedpanken.wordpress.com/category/steve-coleman/
  64. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 2: Overview, part II, Audio im Abschnitt 25:44 bis 28:20 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  65. die Tonhöhe betreffenden
  66. Steve Coleman: 1.) Er habe auch nicht empfunden, dass es der richtige Weg wäre, der europäischen Kunstmusik zu folgen, wie manche Leute meinten, nach deren Auffassung sich „diese“ Musik [der Jazz; Coleman vermeidet diese Bezeichnung] in ähnlichen Linien wie die europäische Kunstmusik weiterentwickelt. Sie würden dabei natürlich hauptsächlich an tonale Aspekte denken, um die es in der europäischen Kunstmusik vor allem ging. Er habe sich jedoch gedacht: „Nein, das ist nicht unsere Musik. Unsere Musik hat den Rhythmus als unverzichtbare Sache zur Basis – auch wenn alle von Flatted Fifths, Dreiklang-Tönen, Substitutionen und so weiter reden.“ Jeder, der Teil dieser Musik war, habe ausdrücklich erklärt, dass es der Rhythmus war, der diese Musik andersartig machte. Er habe das von Von Freeman, Sonny Rollins und Dizzy Gillespie in persönlichen Gesprächen gehört. Er habe in den 1980er Jahren gesehen, dass er nicht einfach irgendeine James-Brown-Sache machen konnte, zugleich aber auch, dass er die Information, die zuvor verwendet wurde, in anderer Weise verwenden musste und mit einem anderen Substrat herauskommen musste. Bereits als er mit Graham Haynes über ihre spätere Five-Elements-Band sprach, sei es ihm darum gegangen, mit einer Musik herauszukommen, die davor noch nicht gemacht wurde oder die die Basis für etwas ist, das davor noch nicht gemacht wurde. Jedenfalls habe er so weit wie möglich in diese Richtung gehen wollen. Er habe gewisse Visionen und Träume gehabt und habe sich vor allem einen bestimmten Fluss der Musik vorgestellt, der spezifische Rhythmen umfasste. Es sei um die Art gegangen, wie diese Rhythmen zusammengesetzt werden, wie das in Verbindung mit den tonalen Informationen funktioniert (also harmonisch, melodisch und so weiter) und wie sich die Musik insgesamt anfühlt. Es sei die generelle Gestalt der Musik und wie sie sich bewegt, also der Rhythmus, was man als Erstes fühlt, wenn man Samba, Reggae, Salsa, indonesische Gamelan-Musik oder was auch immer hört. 2.) Es schien ihm, dass er die gesamten 1980er Jahre hindurch fast ausschließlich an rhythmischen Belangen arbeitete, fast auf Kosten der Harmonik. Das sei komisch, denn die meisten seiner Altersgenossen hätten harmonisch und melodisch gearbeitet und irgendwie Stile nachgeahmt. Er habe gewusst, dass er auch etwas mit der Harmonik und der Melodik machen musste, aber er habe sich gedacht, dass alles, was er macht, nichts zählt, wenn er die rhythmische Sache nicht hinbekommt. Als er sich Musiker wie Lennie Tristano anzuhören pflegte, sei das die große Leere gewesen, die er in ihrer Musik empfand. Sie hätten all dieses lineare und harmonische Zeug gehabt, aber den Rhythmus praktisch ignoriert, soweit er nicht harmonisch-rhythmische Auflösungen, Akzente in Linien und so etwas betrifft. Für diese Leute sei Rhythmus hauptsächlich Synkopierung, Akzente und dergleichen gewesen. Er hingegen habe Rhythmus nie als Synkopierung verstanden. Er habe dieses Synkopierungs-Argument nie übernommen, nicht im Geringsten. Er habe Rhythmus immer als das verstanden, was diese afrikanischen Musiker machten und was auf verschiedene Weise in Brasilien, Kuba, Belize, in den USA und so weiter umgeformt wurde. Er habe immer gedacht, dass das an der Basis des Rhythmus ist, und jeder Spitzenmusiker dieses Idioms, mit dem er sprach, habe das zur Gänze bestätigt. Er habe sich damals gesagt, er wolle es nicht nur in seinem eigenen Spiel machen, sondern ein Substrat-Musiker sein. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 2: Overview, part II, Audio im Abschnitt 30:00 bis 33:34 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: dasselbe Audio im Abschnitt 33:34 bis 35:40 Minuten)
  67. Näheres und Quelle: Link
  68. Steve Coleman: 1.) Er habe sich gedacht: Wenn man am Substrat herumbastelt, dann müsse das auf der mikroskopischen Ebene geschehen – so wie sich manche Veränderungen der Organe des Körpers (also auf einer mittleren Ebene) und des gesamten Körpers (der Gesamtsache) nur aus einer Veränderung der DNA (also auf einer mikroskopischen Ebene) ergeben können. Zum Beispiel habe er zwischen der Musik Charlie Parkers und der von John Coltrane quasi „DNA“-Unterschiede gesehen. Das seien keine stilistischen Unterschiede gewesen. Stilistische Unterschiede seien – verglichen mit dem Körper – so, als hätte man seine Kleider gewechselt – das Hemd, die Hose und die Schuhe. Der Organismus bleibe dabei jedoch derselbe. In dieser Weise sehe er viel von all dem Stil-Zeug. 2.) Sein Zugang sei nicht von oben nach unten gegangen. Sein Zugang sei es gewesen, den Von-oben-nach-unten-Zugang zu analysieren und es dann von der Mikro-Ebene aus zu machen. Er habe auf all die Mikro-Entscheidungen geachtet und sie in einer gewissen Weise aufgeschichtet, sodass sie zu einer Makro-Sache wurden. Er habe aber nie versucht, eine Makro-Sache zu erzeugen, sondern sie sei aus all den Mikro-Sachen hervorgegangen. All die kleinen Dinge – das Zeug von Doug Hammond, der Drum-Chant, Sam Rivers Konzept und so weiter – hätten in Verbindung miteinander etwas geformt. Aber er verstehe das nicht wie die Presse als „M-Base“, nicht als einen gesamten Stil. Denn wenn er Charlie Parkers Musik betrachtet, so sehe er viele kleine Entscheidungen, die in der Summe eine große Sache ergeben. Es seien sehr kleine Dinge, etwa wie man von 5 zu 1 gelangt. Auf welche verschiedenen Arten kann man von 5 zu 1 gelangen? Diese Entscheidung allein führe zu vielem. Zum Beispiel befasse er sich damit, einen bestimmten Rhythmus mit einem gewissen Charakter in 3 mit demselben Charakter zu spielen. Das führe zu bestimmten weiterführenden Betrachtungsweisen. Und er probiere, wie es ist, wenn er denselben Rhythmus in 5 spielt. Ein normaler Musiker, der Stücke wie All the Things You Are und Stella by Starlight spielt, käme nicht darauf. Dafür bestehe keine Notwendigkeit und kein Anlass, wenn man zum Beispiel wie früher Benny Golson sein Leben lang Stella by Starlight spielt. Das ergebe sich nur, wenn man sich gewisse Probleme vornimmt. Das habe er am gesamten Prozess gemocht und das habe er schließlich auch in der Zusammenarbeit mit seiner Band verwendet. Außerdem befasse er sich bis heute sehr mit dem Spielen. Viele Leute würden die rhythmischen Dinge zwar in einer Komposition, in der Gesamtform der ganzen Band hören, nicht jedoch im Spiel. Das sei bereits in der Vergangenheit so gewesen. In den Essays über Charlie Parker und so weiter, die er schrieb, spreche er hauptsächlich über die Sachen, die die Leute nicht hören – nicht über das, was jeder hört, wie die Verwendung gewisser Akkorde. Er habe vielmehr die Stimmführung, die Rhythmik, den Sprach-Charakter und all das besprochen, was sonst nirgendwo erwähnt werde. Es sei vor allem die Harmonik, die Leute in erster Linie wahrnehmen. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 8: From Chicago to New York, Audio im Abschnitt 33:14 bis 35:57 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: M-Blog Episode 15: The Computer II, Audio 2 im Abschnitt 14:09 bis 18:12 Minuten)
  69. Eine Aufnahme dieses Stücks enthält Doug Hammonds Album Space (aufgenommen 1982).
  70. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  71. Näheres in Vijay Iyers Dissertation: Link
  72. Steve Coleman: Er habe sich viel afrikanische Sachen angehört, aber auch bulgarische und Sachen aus anderen Teilen der Welt. – Er hasse Begriffe wie „Jazz“, „Funk“, „Jazz-Funk“, „Fusion“ und so weiter. Er sei von Musik beeinflusst, zum Beispiel sehr von vielen „klassischen“ Musikern. Soll man seine Musik deshalb „Jazz-Funk-Klassik“ nennen, weil sie von all diesen Dingen beeinflusst ist? Okay, seine Musik sei in erster Linie afro-amerikanische Musik, denn das sei sein Leben. Aber er sei auch an japanischer Musikkultur interessiert, an osteuropäischer, im Bereich des Balkans. (QUELLE: Howard Mandel, Future Jazz, 1999, S. 151 und 152 – Das darin verwendete Interview mit Steve Coleman fand nach Mandels Angabe [S. 148] Mitte der 1980er Jahre statt, und zwar in einer Pause zwischen Proben mit der Band des Popstars Sting. Tatsächlich muss das Interview im Jahr 1987 stattgefunden haben: Coleman sprang in diesem Jahr nämlich für Brandford Marsalis ein, um an dessen Stelle auf einer Tour Stings nach Brasilien zu spielen. Vor diesem Engagement im Jahr 1987 hatte Coleman mit Sting keinen Kontakt, wie sich aus seinem Bericht über Stings Anruf ergibt. [QUELLE: Gene Santoro, Dancing In Your Head, 1994, S. 293])
  73. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  74. Steve Coleman: Anfangs habe seine Musik sehr der von Doug Hammond geähnelt. Er habe jedoch weit darüber hinausgehen und zu etwas anderem gelangen wollen. Er habe einen bestimmten Sound in seinem Kopf gehört, doch habe es einige Zeit gebraucht, um sich mehr an grundlegendem Wissen über das, was er zu machen versuchte, zu verschaffen und das einzuarbeiten. Allmählich habe er den Sound, den er im Kopf hatte, in den Griff bekommen und seine Musik habe Gestalt angenommen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 12: Sounding Like Yourself, Audio 2 im Abschnitt 00:01 bis 01:01 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  75. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 7: The Blues, Audio im Abschnitt 58:03 Minuten bis Ende, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  76. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  77. Steve Coleman: Er denke nicht in Form von ungeraden Taktarten oder Metren, sondern von Rhythmen und rhythmischen Phrasen. Er betrachte sie fast wie Sätze einer Sprache, wie Phrasen, und diese Phrasen würden den zeitlichen Raum „definieren”. Er kümmere sich nicht um Metren, solange er nicht gezwungen ist, etwas in der traditionellen Notenschrift zu schreiben. Musik sei für ihn eine akustische Kunst, bei der es um Klang geht, nicht um Notation. Daher denke er so viel wie möglich in Bezug auf Klang.(QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Community Forum/Music/Symmetry/Umayalapuram K Sivaraman, Beitrag Nr. 4465 vom 16. Jänner 2020, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  78. Steve Coleman: Die Idee sei gewesen, Sachen mit unterschiedlichen Längen zu spielen, bei denen die Rhythmen aus Figuren bestanden. Das sei keine Sache des Auszählens gewesen. Man arbeite mit Figuren, die unterschiedliche Längen haben, etwa sieben und drei Beats langen. Und das sei immer wieder verändert worden. So spielten sie zum Beispiel eine Dreier- und eine Fünfer-Figur und veränderten sie dann zu einer Dreier- und einer Siebener-Figur. Oder er sang spontan einen Rhythmus, ohne über dessen Länge nachzudenken. Tatsächlich habe man beim Improvisieren ja keine Zeit, eine Sache auszukalkulieren. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 00:27 bis 01:01 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  79. Festlegung eines Beats als ersten Beat des Zyklus
  80. Steve Coleman: 1.) Doug Hammond habe zwar eine Reihe von Schichten gehabt, wo zum Beispiel Dreier-Rhythmen gegen Zweier-Rhythmen gesetzt sein konnten, aber nichts von seiner Musik, das er (Coleman) hörte, habe unterschiedliche Längen gehabt. Das sei etwas gewesen, das nach seiner Vorstellung hinzugefügt werden konnte. 2.) Doug Hammond habe das für eine verrückte Idee gehalten und zu bedenken gegeben: „Wie willst du dich da am Platz halten? Wo ist die Eins?“ Er (Coleman) habe gesagt, die Eins sei ein Konzept, es gebe nicht wirklich eine Eins, sie könne auch ständig umherwandern und so weiter. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 17:53 bis 18:44 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: dasselbe Audio im Abschnitt 20:10 bis 21:00 Minuten)
  81. QUELLE: Link
  82. QUELLE: Link
  83. Näheres und Quelle: Link
  84. Steve Coleman: Er habe sich mit bestimmten elementaren Dingen beschäftigt, die er in Charlie Parkers Spiel hörte, wo Parker gewisse Schichten bildete, indem er zum Beispiel in Dreier-Zyklen spielte, während Max Roach in Vierer-Zyklen spielte. Was er (Coleman) daraus bezog, sei wirklich simpel gewesen, nichts Ausgedehntes. Zur ausgedehnten Version sei er dann durch sein schon lange bestandenes Interesse an Astronomie angeregt worden. Die Venus umrunde die Sonne achtmal, während die Erde sie fünfmal umrundet. Diese Verhältnisse der Planeten, das Drei-zu-Zwei-Verhältnis, all diese Dinge interessierten ihn schon immer. Er habe das nicht nur aus einer astrologischen und metaphysischen Perspektive, sondern allein schon aus einer rein mechanischen faszinierend gefunden – diese kleinen Planeten-Modelle in einem Planetarium, wo die Planeten rotieren. Er wollte sehen, was geschieht, wenn man so etwas in der Musik macht. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 19:33 bis 21:00 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  85. Steve Coleman: Die wirkliche Herausforderung sei jedoch nicht einfach gewesen, einen Fünfer-Zyklus gegen einen Siebener-Zyklus zu setzen. Das sei gar nichts. Die wirkliche Herausforderung seien die Rhythmen gewesen – die Rhythmen so zu gestalten, dass sie selbst dann funktionieren, wenn sie in solcher Weise gegeneinander zirkulieren. Die Frage sei nun, was „funktionieren“ bedeutet. „Funktionieren“ bedeute für jeden etwas anderes. Es sei etwas, das nicht in Worte gefasst werden könne. Für ihn habe es bedeutet, dass es ein bestimmtes Feeling, einen bestimmten Groove hat. ... Sein Ziel sei es gewesen, herauszufinden, wie man diese Rhythmen zum Funktionieren bringen kann, auch wenn sie diesen wandelnden Charakter der Planeten haben, – so, dass sie sich wirklich gut anfühlen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 17:53 bis 21:00 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  86. Steve Coleman: Nachdem er im Jahr 1994 mit Thomas Goodwin in Kontakt kam, habe viel an esoterischer Information in seine Musik einzufließen begonnen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 3: Overview, part III, Audio im Abschnitt 02:44 bis 03:42 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  87. QUELLE: von Ronan Guilfoyle geleitetes Interview mit Steve Coleman, Anfang 2011, veröffentlicht am 9. März 2013 unter dem Titel Steve Coleman on Rhythm – Part 1 auf Guilfoyles Internetseite, Internet-Adresse: http://ronanguil.blogspot.ie/2013/03/steve-coleman-on-rhythm-part-1.html, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  88. die Tonhöhe betreffende
  89. Näheres und Quelle: Link – Ähnliche Erläuterungen Colemans zu diesem Thema: Link
  90. Näheres im Artikel Afrikanisierung: Link
  91. Näheres im Artikel Steve Coleman über unterschiedliche „Umlaufbahnen“ seiner Rhythmen: Link
  92. Steve Coleman in Lehrvideos (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net): Beim Spielen müsse man auf dieses Gewebe achten, denn alles andere, die Melodie und so weiter, hänge von dem darunterliegenden Substrat ab, davon, wie die Rhythmen sich aufeinander beziehen. Wer auch immer die melodischen Rufe macht, müsse diese Rhythmen kennen, um die Melodie hinein- und herauszuführen – so wie ein Meistertrommler in Afrika die anderen Rhythmen kennen muss, um seine Rufe richtig platzieren zu können und nicht alle anderen drauszubringen. Man müsse also das gesamte Gewebe kennen, um eine weitere Melodie [auch die rhythmischen Figuren sind letztlich eine Art Melodien] hineinzubringen und zu verstehen, wie man hinein- und herauswebt. Wenn man improvisiert, dann höre man nach wie vor diese verschiedenen Melodien. In dieser Hinsicht sei es nicht anders als beim Spielen über Rhythm-Changes oder so etwas. Es sei zwar nicht so mono-rhythmisch, denn die Rhythmen bewegen sich nicht alle gleichzeitig in dieselbe Richtung, aber es sei doch insofern dasselbe, als man nicht beliebig irgendwo einsteigen kann, sondern wissen muss, wo man ist. (QUELLE: Video P001-2-Wheel of Nature, Abschnitt 12:20 bis 13:50 Minuten) – Man improvisiere innerhalb des Rhythmus. Das Wichtigste dabei sei, den Rhythmus zu kennen. Er und seine Bandmitglieder würden also nicht über dem Rhythmus spielen, es der Rhythmusgruppe überlassen ihn zu halten und ohne Konzept spielen. Vielmehr spiele man in den Rhythmus hinein und heraus, sodass der Rhythmus wie Akkordwechsel ist. Man verwende diese Struktur bei der Improvisation und höre sie an jedem Punkt. (QUELLE: Video P001-4-Wights Waits For Weights, Abschnitt 07:00 bis 07:35 Minuten)
  93. Steve Coleman in Lehrvideos (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net): Rhythmische Improvisation sei nicht ein Gegenstand, mit dem sich die meisten Musiker beschäftigen, aber nach seiner Meinung sei das notwendig. Dizzy Gillespie habe viel davon gesprochen, in rhythmischer Hinsicht zu denken, ebenso Von Freeman, Sonny Rollins. Man könne es in ihrem Spiel hören, zum Beispiel bei Charlie Parker. Er werde nun anhand einiger Song-Strukturen, die eine Menge rhythmisches Material enthalten, besprechen, wie man in diesem Konzept improvisiert. Er betrachte Rhythmus in derselben Weise wie Akkordwechsel und Melodie. Es gebe rhythmische Stimmführung, rhythmische Progression, rhythmische Harmonie. (QUELLE: Video P001-Intro1) – Vor allem Spieler von Blasinstrumenten würden sich mehr auf Melodie, Harmonie, Patterns und so weiter konzentrieren. Er habe eine etwas andere Perspektive als die meisten Musiker. Denn in seinen Augen sei Rhythmus etwas, das fast völlig unabhängig ist von Taktarten und so weiter. Zumindest könne Rhythmus unabhängig von Taktarten gedacht werden. Es gehe ihm darum, Leute vom Papier wegzubringen. In Wahrheit sei Rhythmus einfach Sound. Er betrachte Rhythmus aus dieser Soundperspektive und versuche zu zeigen, wie Rhythmen sich in einer bestimmten Weise aufeinander beziehen. Es gehe darum, sich die eigene Welt der Rhythmen zu erschließen. (QUELLE: Video P001-Intro2) – Man müsse sein Ohr trainieren, zugleich auf den Rhythmus zu hören und sich mit der Tonhöhen-Struktur, Tonalität und so weiter zu beschäftigen. Man müsse daher eine Art Idee davon bewahren, was im Rhythmus passiert, also den Rhythmus internalisieren und ständig bei sich behalten. Der Rhythmus sei wie eine Melodie, eine Melodie aus rhythmischen Figuren. Bei großen Musikern wie Sonny Rollins könne man hören, dass sie ständig den Rhythmus laufen haben, egal was sie machen. Der Rhythmus sei ein großer Teil von dem, was sie machen. (QUELLE: Video P001-1-The Streets) Er werde nun mit seiner Band eine Komposition verwenden, deren Haupt-Form rhythmisch ist. Sie habe verschiedene Arten von rhythmischen Figuren, die man internalisieren müsse, und dann könne man von ihnen wegspielen. Er demonstriere diese rhythmischen Figuren zunächst bloß als Rhythmen, ohne Tonhöhen. Denn der Rhythmus komme zuerst und erst dann die Tonhöhen. Der große Dizzy Gillespie habe einmal gesagt: Wenn er improvisiert, dann fange er mit dem Rhythmus an und füge die Tonhöhen erst später hinzu. (QUELLE: Video P001-4-Wights Waits For Weights, Abschnitt 00:41 bis 01:32 Minuten)
  94. Steve Coleman in einem Lehrvideo: Es gehe nun um Rhythmen, bei denen die Zyklen ineinander hinein- und herausweben, in der Art des Verwebens im west-afrikanischen Konzept. Der Unterschied sei, dass diese Zyklen nicht alle dieselbe Länge haben, sodass es in seinen Augen dynamischer und auch schwieriger ist, auch schwieriger zu hören. Wenn er diese Sachen übt, dann versuche er, sie zu internalisieren, indem er einen Rhythmus, üblicherweise den einfacheren, internalisiert und ihn in seinem Bewusstsein mehr nach hinten setzt und dann den komplizierteren Rhythmus im Vordergrund hat. Das Ziel sei jedoch, alles zu internalisieren. Das brauche allerdings eine Weile. Er werde das nun anhand einer Komposition demonstrieren, die er schrieb und Wheel of Nature nannte und bei der die Elemente selbst einfach sind, es aber kompliziert wird, wenn sie zu dieser Art Gewebe verbunden werden. Noch komplizierter werde es, wenn es darum geht, darüber zu improvisieren. Der Punkt sei aber nicht die Komplexität, sondern die spezielle Art, wie die Fragmente ineinander verwoben sind, denn es gehe darum, Groove oder Feeling hervorzubringen. Es könne also nicht einfach irgendetwas in irgendeiner alten Weise verwoben werden, wie bei einer intellektuellen Übung, sondern es müsse so erfolgen, dass die Fragmente einander ergänzen, dass immer noch die Ergänzungs-Sache, dieses Konzept der Zahnräder abläuft, wo die Dinge in einer gewissen Weise ineinander greifen, also die eine Sache in die Lücke der anderen greift und so weiter. Zugleich müssten die einzelnen Patterns einfach und hip genug sein, um auf solche Weise miteinander zu funktionieren. Einer der Tricks, die er verwende, sei, viele Sachen von bereits bestehenden verwobenen Dingen in der Welt auszuleihen, meistens aus einer Volksmusik, die bereits diese Tendenz des Ineinanderpassens hat. Er entnehme einzelne Elemente, quasi kleine Keimlinge, und bilde daraus seine eigenen Variationen. Er mache das im Übrigen nicht nur in rhythmischer, sondern auch in harmonischer und melodischer Hinsicht. Für seine Komposition Wheel of Nature habe er unter anderem die Guaguancó-Clave herangezogen. Diese Guaguancó- oder Rumba-Clave habe mehrere Teile. Der eine Teil [der aus zwei Schlägen auf zwei aufeinanderfolgende Beats besteht und den Coleman „Map-Map“ nennt] sei simpel. Der andere Teil sei fast eine Verzögerung und früher als Charleston-Sache in Amerika bekannt gewesen – in der ersten Hälfte des 20. oder der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Man höre das in früher Musik, in New-Orleans-Sachen, bei James Brown und vielen anderen Sachen. Im Grunde sei es ein west-afrikanisches Bruchstück, das in verschiedener Weise verwendet werde – eben auch in der Guaguancó-Clave. Selbst bei Big Sid Catlett, Papa Jo Jones und all diesen Typen höre man diese Figur. Sie hätten eine andere kleine melodische Figur hineingeben, doch es sei immer noch dieselbe Figur, in Bezug darauf, wo sie startet und wo sie stoppt, wo die „Gewichtungen“ sind, wie es einer seiner Mentoren, der Schlagzeuger Doug Hammond, nenne, oder wo die Betonungspunkte sind. Diese melodischen Figuren hätten nach wie vor diese Clave-Figur in sich. Eine Menge seiner eigenen Musik bewahre diese Sachen. Es seien wirklich grundlegende Elemente, die er in verschiedener Weise umordne. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, Video P001-2-Wheel of Nature, Abschnitt 0:14 bis 5:15 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  95. Steve Coleman in einem Lehrvideo: Wenn sie diesen Song [Wheel of Nature] spielen, würden Leute oft nicht erkennen, dass darin dieser rhythmische Kontrapunkt abläuft, denn die meisten Leute im Westen würden überhaupt nicht in rhythmischer Hinsicht denken. Sie würden es nur als Groove hören und den dominanten Part des Basses wahrnehmen. Sie würden einfach die sich ständig wiederholende Figur des Basses fühlen, mit ihrem Kopf wackeln und nicht erkennen, dass hier all dieses Gewebe abläuft. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Products/Rhythmic Improvisation Lessons, Video P001-2-Wheel of Nature, ab 12:20 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  96. Steve Coleman: Die ersten Songs, die er schrieb, hätten das nicht gehabt. Sein Stück Murdxas sei zum Beispiel einfach Saxofon und Schlagzeug umgekehrt. Vor allem habe es damals niemanden gegeben, der damit umgehen konnte. Lonnie Plaxico, der mit ihm einzog, habe ihm jeden Tag gesagt, dass niemand so ein Zeug wird spielen können. Aber es sei das gewesen, was er (Coleman) wirklich machen wollte. Er habe zunächst versucht, Hammond zu überreden, in seiner Band zu spielen, doch habe der sich geweigert. Schließlich habe er junge Musiker gefunden, die das zwar ebenfalls schräg fanden, aber furchtlos und bereit waren, Dinge auszuprobieren, und denen auch nicht so klar war, was er versuchen wollte. Wenn man seine ersten Alben anhört, dann sehe man, wie sich diese Sache mit den unterschiedlichen Längen allmählich hineinschlich. Im ersten Album [Motherland Pulse, 1985] höre man davon noch gar nichts, im zweiten [On the Edge of Tomorrow, 1986] ein wenig, mehr in Sine Die [seinem vierten Album, 1987/1988] und dann in voller Stärke im Album Rhythm People (1990), das er als sein erstes ausgereiftes Werk betrachte. Er habe also lange gebraucht, um an diesen Punkt zu gelangen. Er war bereits 34 Jahre alt. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 21:00 bis 24:00 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  97. Wie sehr Colemans Five-Elements-Band bereits zu Beginn der 1990er Jahre in der Lage war, über seinen Kompositionen ausgedehnt zu improvisieren, zeigt zum Beispiel eine inoffizielle Aufnahme eines Konzerts in Wien am 12. November 1991.
  98. Steve Coleman: Die Five-Elements-Band sei zu Beginn der 1980er Jahre zustande gekommen, um 1981 oder vielleicht schon 1980, wobei zunächst lediglich geprobt wurde. Ungefähr um 1983 erhielt sie dann erste Engagements. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 9: From Motherland Pulse to Rhythm People, Audio im Abschnitt 00:05 bis 02:08 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  99. Steve Coleman: 1.) Als er sich Dave Hollands Gruppe anschloss, habe er noch fallweise mit Sam Rivers gespielt. Die Aufnahme von Rivers Album Colours [September 1982], an dem er mitwirkte, sei kurz vor seinem Eintritt in Hollands Band erfolgt. Er erinnere sich daran, weil ihn Holland auf dieser Tour [Colours wurde in Mailand, Italien aufgenommen] fragte, ob er sich seiner Band anschließen will. 2.) Er habe sich im Jahr 1991 von Holland getrennt. 3.) Es habe eine Art Bruch mit Holland gegeben. Holland sei auf ihn sauer geworden. 4.) Er habe immer das Gefühl gehabt, dass Dave Holland die Five-Elements-Musik nicht mochte – obwohl er an einigen seiner Alben aus der damaligen Zeit der späten 1980er und frühen 1990er Jahre beteiligt war. Er habe Holland einmal gefragt, was er darüber dachte, und er habe gesagt, diese Musik sei … Die Grundaussage sei gewesen, dass … er habe das Wort nicht verwendet, aber er habe diese Musik zu steif gefunden. Er habe gemeint, dass das Konzept zu starr sei, denn er kam ja aus den 1960er Jahren. Mehr brauche er (Coleman) dazu nicht zu sagen. Holland sei an diese Amöben-artige Spielweise gewöhnt. Das seien eben die 1960er Jahre gewesen. Er (Coleman) könne das machen, aber er höre die Dinge anders. Er sei absolut nicht in dieser Amöben-Sache, sondern wolle mehr wissen, wohin er geht. Das entspreche einfach seiner Persönlichkeit. Er habe Holland gesagt, dass er das respektiere und dass er ja mit Musikern wie Sam Rivers, Cecil Taylor und so weiter gespielt habe, die für ihn an der vordersten Linie dieser Sache gewesen seien. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 12: Sounding Like Yourself, Audio 1 im Abschnitt 14:03 bis 14:55 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: dasselbe Audio im Abschnitt 28:07 bis 28:20 Minuten; QUELLE 3: M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 00:20 bis 00:57 Minuten; QUELLE 4: M-Blog Episode 12: Sounding Like Yourself, Audio 1 im Abschnitt 34:31 bis 36:05 Minuten) – Weitere QUELLE: von Ted Panken geleitetes Interview mit Steve Coleman, wahrscheinlich 1999, Internet-Adresse: http://tedpanken.wordpress.com/2011/12/27/sam-rivers-1923-2011-r-i-p-a-downbeat-article-from-1999-and-interviews/m – Dave Holland: Sam Rivers habe nie viel geredet, sodass es an den Mitspielern lag, herauszufinden, wie die Phrasierung sein sollte. Steve Coleman sei sehr schnell im Erfassen gewesen. (QUELLE: Gene Santoro, Dancing In Your Head, 1994, S. 289)
  100. Steve Coleman: Er wollte in vielen verschiedenen Situationen spielen und dabei stets seinen Sound bewahren, wie er es bei John Coltrane (zum Beispiel in dessen Album mit Duke Ellington, aufgenommen 1962) und bei Charlie Parker (zum Beispiel in dessen Aufnahmen mit Machito) hörte. Sie klangen immer nach sich selbst und ihre Konzepte waren breit genug, um viele andere Dinge zu umfassen, denn sie hatten Erfahrung, was er selbst auch erreichen wollte. Deshalb habe er Gelegenheiten, viele verschiedene Spielerfahrungen zu machen, wahrgenommen, obwohl er damals in den 1980er Jahren bereits seine eigene Gruppe hatte. Er habe zum Beispiel in David Murrays Gruppe, Cecil Taylors Bigband, Dave Hollands Band, mit Abbey Lincoln, mit einem Musiker aus Nord-Afrika, der sich Errol Parker (seine Idole waren Errol Garner und Charlie Parker) nannte, und so weiter gespielt – also in sehr unterschiedlichen Situationen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 12: Sounding Like Yourself, Audio 1 im Abschnitt 36:46 bis 38:09 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net) – Das erste Album von Hollands neu gegründeter Band (Jumpin‘ In), an dem Coleman bereits mitwirkte, wurde im Oktober 1983 aufgenommen. Coleman war zum Beispiel im Jahr 1983 auch an der Aufnahme von Abbey Lincols Album Talking to the Sun und im August 1984 an David Murrays Bigband-Album ‎Live At "Sweet Basil" Vol. 1 und 2 beteiligt.
  101. Steve Coleman: Er habe mit Dave Holland einige Gigs gehabt und Holland habe begonnen, populärer zu werden. Dadurch habe er, wahrscheinlich ab 1985, zum ersten Mal in seinem Leben ein ständiges Einkommen gehabt. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 11: The Computer, Audio im Abschnitt 15:04 bis 15:37 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  102. QUELLE: Johannes Völz, Improvisation, Correlation, and Vibration: An Interview with Steve Coleman, Anfang 2003, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/improvisation-correlation-and-vibration-an-interview-with-steve-coleman/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  103. Coleman verglich ihn mit dem Schlagzeuger Tyshawn Sorey, der ab 2005 in seiner Band spielte und von dem er ebenfalls sagte, er könne alles spielen, was er möchte.
  104. Smiths eigene Alben Keeper of the Drums (1987) und ‎The Road Less Traveled (1989) enthalten konventionellen Jazz.
  105. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 2: Overview, part II, Audio im Abschnitt 00:00 bis 17:32 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  106. Steve Coleman: Das Album The Tao of Mad Phat (1993) sei eines seiner Lieblings-Alben und er habe mit ihm die Form des Zusammenspiels dokumentieren wollen, die er mit seiner Gruppe zuvor (beginnend am Ende von Marvin Smitty Smiths Zeit der Gruppen-Zugehörigkeit) entwickelt hatte und damals „kollektive Meditationen“ nannte. Es sei grundsätzlich die Art, wie er auch heute spiele, und sie bestehe in einer spontanen Entwicklung von Stücken. Er gebe den Musikern seiner Band Parts, häufig durch Vorsingen, und sie entwickeln dann daraus gemeinsam etwas – eine spontane Komposition, an der die gesamte Gruppe beteiligt ist. Gemeint sei jedoch nicht jene Art von spontaner Komposition, wie sie unter Musikern der 1960er Jahre üblich war, wo jeder frei war, alles zu machen, sondern mehr eine Sache, für die er Strukturen festsetzte. Im Album The Tao of Mad Phat seien zwar nicht alle, aber doch viele der Stücke so entstanden. Natürlich passieren dabei Fehler und sie hätten natürlich die besten Stücke für das Album ausgewählt. (QUELLEN: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 10: „Who Would You Rather Be?”, Audio 1 im Abschnitt 47:26 bis 49:22 Minuten, und Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 01:04 bis 01:35 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  107. Er gehörte ab 1995 wiederholt für lange Zeit Colemans Band an.
  108. Steve Coleman: Bei den ersten Kompositionen, die er schrieb, habe er dafür gesorgt, dass die Dinge auf verschiedenen Ebenen der Veränderungsrate waren. Es habe in ihnen immer die mehr statische Ebene gegeben und auch eine Zwischen-Ebene, auf der in früherer Zeit jemand wie der Pianist Bud Powell war. In dessen Beitrag habe es ein statisches Elemente gegeben (in Bezug auf den gesamten Zyklus), doch sei die Art, wie er sich bewegte, dynamisch. Und dann gebe es die Ebene des Solisten, der die Rolle des Meistertrommlers spiele, der Aufrufe mache und all das, worauf die anderen ihm folgen. Er (Coleman) habe begonnen, Parkers Musik tatsächlich wie diese west-afrikanische Musik zu betrachten, und das habe mit der Auffassung vieler seiner Altersgenossen nicht übereingestimmt. Er möge keine Namen nennen, aber diese Musiker hätten nicht diese verschiedenen Ebenen gehabt, in ihren Bands habe grundsätzlich jeder Soli gespielt und sei als Virtuose hervorgetreten. Es fehle ihm darin ein Gegenpart – etwas, das etwas anderem entgegengesetzt ist. Er habe immer gefunden, dass es einen Grund gab, warum Charlie Parker Miles Davis wählte. Davis sei ein offensichtlich anderer Musiker gewesen als Dizzy Gillespie, der zu den virtuosen Musikern zählte. Parker habe diesen Gegenpart von Davis gebraucht und Davis habe dann John Coltrane als Bandmitglied gewählt, was den gleichen Effekt ergeben habe – zwei Musiker, die mit unterschiedlicher Dichte spielten. In seinen Augen sei es wesentlich hipper gewesen, dass Davis diese spärliche Art hatte und Coltrane die andere sowie umgekehrt, dass Parker die andere Art und Davis die spärliche hatte – wesentlich hipper, als wenn sich jeder Musiker in Virtuosität ergießt. Er habe daher versucht, einen Bassisten zu finden, der mehr eine Rolle in der Art des Bassisten Tommy Potter (in Parkers Band) erfüllte. Potter sei nicht ein Musiker gewesen, dem es um das Solo-Spielen ging. Er sei kein Dave Holland, sondern ein Rollenspieler gewesen. Er (Coleman) habe diese Dinge ähnlich wie beim Basketball gesehen, wo es verschiedene Zentren und Rollen gebe. Man brauche Musiker, die über ihr ganzes Instrument fliegen, und auch das andere. Das sei ein wesentlicher Unterschied seiner Auffassung gewesen, etwa gegenüber der Ansicht von Dave Holland, dessen Gruppe die einzige war, in der er damals sonst noch spielte. Hollands Sache sei gewesen, dass jeder vorne stand und alles tun konnte, was seiner (Colemans) Meinung nach zu viel war. Er selbst sei mehr von Sachen wie Funk, Parkers Gruppe, dem Konzept afrikanischer Musik und so weiter beeinflusst. In der afrikanischen Musik gebe es auch die Leute, die lediglich klatschen, was ihrem Level entspreche, und nicht jeder könne all das machen, was der Meistertrommler spielt. Selbst heute sei das ein wesentlicher Teil seines Konzepts. Deshalb setze er zum Beispiel einen Bassisten wie Anthony Tidd ein, der seine Frage, ob er Soli spielen möchte, verneinte und der somit durch seine Rolle nicht eingeschränkt werde. Um die Musik atmen zu lassen, brauche es das und das käme aus der afrikanischen Musik. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 1: Overview, part I, Audio im Abschnitt 05:37 bis 10:27 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  109. Steve Coleman: 1.) Er sprach davon, dass klassisch ausgebildete Musiker in seinem Orchester nicht swingend spielen konnten, dass das jedoch durch den auf James Brown zurückgehenden Funk-Charakter seiner Musik weniger problematisch sei. Es gebe eben heute einen Vorteil und der sei James Brown. Durch James Browns Funk-Sache gebe es in der modernen Zeit mehr Rhythmus in der afro-amerikanischen Musik. Er meine natürlich nicht, dass Musiker wie Max Roach nicht jede Menge Rhythmus hatten. Was Musiker wie James Brown machten, unterscheide sich jedoch von dem, was Musiker wie Max Roach machten, dadurch, dass die Rhythmen wieder mehr festgelegt und dadurch gegenwärtiger waren. Es gebe mehr Wiederholung und mehr festgelegte Beziehungen zwischen den Instrumenten als bei Musikern wie Philly Joe Jones. Musiker wie Jones würden mehr Entscheidungen treffen und die Rhythmen seien zwar ebenfalls vorhanden, aber es sei wie bei der Orchestrierung: Wenn man etwas fixiert, ein Instrument in einer fixierten Position hat und diese Beziehung in einer sich ständig wiederholenden Weise aufrecht hält, dann werde sie besser wahrnehmbar, als wenn jemand dieselbe Figur bloß einmal in der Mitte eines Stücks wie Ornitology [ein Charlie-Parker-Stück] spielt. Viele Figuren, die Musiker wie Max Roach spielen, würden von vielen Leuten nicht gehört werden, weil sie nicht im Vordergrund sind. Sie geschehen einmal und sehr schnell und schon gehe es mit etwas anderem weiter. Bei der ständigen Veränderung bemerke man die Einzelheiten weniger, sie zögen die Aufmerksamkeit weniger auf sich. 2.) In James Browns Musik, etwa in dessen Stück Mother Popcorn, seien die Beziehungen fixiert. Daher müsse man sich nicht so anstrengen, um zu hören, was in ihr passiert. Browns gesungener Beitrag sei zwar veränderlich, doch improvisiere er nicht sehr viel. Es gebe in seiner Musik zwar einiges an Improvisation, aber sie verändere sich weniger, eher subtil. Zum Beispiel gebe es im Spiel der Gitarre einige Veränderung, aber nicht so viel wie bei Musikern wie Philly Joe Jones und Max Roach. 3.) Bei Musikern wie Philly Joe Jones und Max Roach sei es fast ein Kampf herauszufinden, was sich wiederholt, was die Zyklen sind, denn es verändere sich in ihrem Spiel so viel, dass Leute, die mit dieser Musik nicht vertraut sind, anfangs keinen Song und so weiter erkennen. 4.) James Browns Musik sei ein Vorteil, weil ihre Art der Repetition, die in der Fortbewegung der Rhythmus-Gruppe abläuft, … Er wisse nicht, wie er das beschreiben soll. Sie erzeuge einen eigenen linearen Swing, insbesondere im Sinn einer Art andauernden Fortbewegung. Er sage das jetzt einfach mal so, denn er könne nicht herausfinden, wie er es korrekt ausdrücken kann. Es mache es weniger notwendig, Swing zu produzieren. Man müsse sich ansehen, was in den unterschiedlichen Stilen geschehe. Man könne zur Musik von Louis Armstrong und seiner Hot-Five-Band zurückgehen. Es gebe eine mittlere Periode mit Musikern wie Lester Young und Charlie Parker, in der es grundsätzlich den Walking-Bass gebe. Das sei Teil der Fortbewegung. Der Walking-Bass könne diese Sprünge und dergleichen haben, wie man sie bei Bassisten wie Ray Brown hört, oder einfach mehr die Bum-Bum-Bum-Art von Bassisten wie Tommy Potter haben. Was jedoch in Max Roachs und Charlie Parkers Spiel abläuft, sei sehr dynamisch. Der Pianist schiebe mehr den Beat an, abgesehen davon, dass er Harmonien bereitstellt. Er werfe mehr diese Stiche und so etwas ein, wie sie in Browns Musik von den Bläsern gespielt werden. Viel an Swing werde außerdem von den Spielern [der Melodie-Instrumente] erzeugt. Das Erste, was man bei Musikern wie Charlie Parker und Von Freeman bemerkt, sei, dass sie den Swing auch dann in ihrem Spiel haben, wenn sie alleine spielen. Ihr Swing hänge also nicht von der Rhythmusgruppe ab. Man höre sie schlendern. Er habe das mit seiner Erzählung von Sonny Stitt, wie er in seinem Hotelzimmer spielte, beschrieben. Diese Musiker hätten die Trommel in ihrem Spiel, denn sie hätten in diesem Kontext so lange mit diesen Rhythmusgruppen gespielt. Das sei die eine Sache. James Brown hingegen singe großteils nicht Linien, sondern Stiche, perkussive Ausrufe. Er platziere diese an ähnlichen Stellen, wie die Stiche des Klaviers und das trage sehr zum Groove bei. Diese Schreie seien nicht irgendwo hingesetzt, sondern an bestimmten Stellen, wo sie anschieben und den Groove verstärken. Und es gebe diese Art von Mosaik, diese groovende Puzzle-Sache darunter und darüber. (QUELLE 1: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 18: Synovial Joints, Audio im Abschnitt 1:24:43 bis 1:27:20 Stunden/Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net; QUELLE 2: dasselbe Audio im Abschnitt 1:29:16 bis 1:29:48 Stunden/Minuten; QUELLE 3: dasselbe Audio im Abschnitt 1:29:48 bis 1:30:13 Stunden/Minuten; QUELLE 4: dasselbe Audio im Abschnitt 1:37:17 bis 1:40:24 Stunden/Minuten)
  110. Steve Coleman: James Brown habe einen Song mit dem Titel There It Is (1972) gehabt, in dem er mit seinem Sprechgesang („Soul, need a taste; mine is right, yeah; in the right place …) bestimmte Rhythmen darüber legte. Diese Rhythmen in Browns Gesang habe er sich ganz genau angehört, denn Brown habe nicht gesungen, wie Donald Harrison [Saxofonist aus New Orleans, vier Jahre jünger als Coleman] und ähnliche Musiker spielen – in „Achtel-Noten“, wie es Schulmusiker nennen. Brown habe vielmehr „Schläge“ gesungen, die an bestimmten Stellen auftreten und meistens kurz, aber sehr rhythmisch sind. Er (Coleman) habe sich eingehend mit diesen Rhythmen beschäftigt und sie wegen der Art der Platzierung sehr hip gefunden und das habe ihn stark beeinflusst. In jungen Jahren habe er allerdings die James-Brown-Musik nur wie jeder andere auch gehört und dazu getanzt. Später sei er als Musiker wieder zu dieser Musik zurückgegangen und habe sie eingehend untersucht. Browns Gesang sei für ihn wie eine weitere Trommel und Brown habe das ebenso gesehen, wie er in Interviews gesagt habe. Brown habe wie ein Meistertrommler gewirkt, denn das von seiner Band gespielte Substrat unter seinem Gesang habe sich nur wenig verändert und er habe darüber seine Improvisationen gelegt. Er (Coleman) habe untersucht, wie sich Browns Gesang gegen das Substrat legte und was das hervorbrachte. Er spiele häufig in der Art, wie James Brown seinen perkussiven Gesang gegen das von seiner Band bereitgestellte groovende Substrat setzte. Nur sehr wenige Bläser würden an irgendeinem Punkt in dieser Weise spielen, vielleicht manchmal ein klein wenig. Bläser würden kaum rhythmisch improvisieren. Was sie rhythmisch nennen, bestehe im Allgemeinen nur aus Akzenten, aus so genannter Synkopierung und dergleichen. Sie würden üblicherweise eine Kette von Noten spielen, die sie lediglich in einer gewissen Weise akzentuieren, was nichts daran ändere, dass es immer eine Kette aus Noten ist. Es sei nie die Art, wie James Brown in seinem Stück There It Is sang: „Soul, need a taste; mine is right, yeah; in the right place“. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 7: The Blues, Audio im Abschnitt 51:23 bis 55:44 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  111. Steve Coleman: Für ihn sei [in den 1980er Jahren] der Rhythmus die entscheidende Sache gewesen und er habe seine Aufmerksamkeit erst in den frühen 1990er Jahren wieder auf die Harmonie gerichtet, wobei der Rhythmus für ihn weiter wichtig geblieben sei. Im Jahr 1993 habe er zu reisen begonnen, und zwar sei er zunächst nach Ghana gereist und dann nach Kuba, und damit sei der rhythmische Aspekt wieder in den Mittelpunkt gerückt. Er habe mit dem Reisen nach Afrika begonnen, weil er fühlte, dass etwas fehlte. An diesen Orten habe er kennengelernt, was er die „Quelle“ einiger seiner Ideen nenne, und er habe gemerkt, dass das, was er in den 1980er Jahren machte, nicht genug war und noch mehr Arbeit erforderlich war. Obwohl er nach Afrika fuhr und sich in Ghana Musik wie die des Akan-Volkes anhörte, habe er darüber nachgedacht, wie er seine Sache mit unterschiedlich langen Zyklen umgestalten könne. Als er nach Kuba kam, habe er dort Dafnis Prieto, Yosvany Terry und all diesen Musikern, die damals noch dort lebten, sein Zeug gezeigt und die seien ausgeflippt. Als er nach Brasilien kam, habe er seine Sachen den dortigen Musikern gezeigt und die seien ebenfalls ausgeflippt, denn die hätten nie wirklich über die gegeneinander zirkulierenden Rhythmen nachgedacht. Sie hätten die Rhythmen einfach in ihrem Folklore-Kontext gesehen. Folklore-Musiker hätten normalerweise damit nicht umgehen können, außer einigen wie Nei Sacramento. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 3: Overview, part III, Audio im Abschnitt 00:00 bis 01:50 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net) Steve Coleman reiste im Dezember 1993 für fünf Wochen nach Ghana und besuchte dort unter anderem das kleine Dorf Yendi, um dort die Kultur des Dagomba-(Dagbon)-Volkes kennenzulernen, das nach wie vor eine Tradition des Sprechens mithilfe einer Trommelsprache pflegte. (QUELLE: Biographie auf Steve Colemans Internetseite, Internet-Adresse in Fußnote: http://m-base.com/biography/) Siehe auch Steve Colemans Aussagen zu seinen Reisen in: Thomas Stanley, Steve Coleman. The Order of Things, Juli 1998, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/steve-coleman-the-order-of-things-by-thomas-stanley/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  112. zum Beispiel in manchen Stücken der Alben Drop Kick (1992), The Tao of Mad Phat (1993) und Def Trance Beat (1994)
  113. Ausschnitte davon sind im DVD-Dokumentarfilm Elements of One (aufgenommen 1996-2002) von Eve-Marie Breglia, CHOD Productions, zu sehen.
  114. Miguel „Angá“ Díaz Zayas
  115. Ramon „Sandy" Garcia Perez
  116. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 03:03 bis 11:48 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net – Steve Coleman: Sandy Perez [Ramon „Sandy" Garcia Perez, aus Kuba] sei hinsichtlich seiner Handtechnik und seines Sounds ein viel stärkerer Spieler als die brasilianischen Perkussionisten wie Nei Sacramento und dabei sei Perez noch nicht der technischste Spieler, den er kennt. Perez sei kein Angá [Miguel „Angá“ Díaz Zayas], der super …, der all diese verschiedenen geheimen Hand-Sachen in der Art Changuitos [kubanischer Perkussionist] beherrschte, das, was sie „Mano Secreto“ nannten. Perez sei in dieser Richtung, aber nicht so weit wie Angá. Bei Perkussionisten wie Nei Sacramento sei es hingegen mehr einfach eine Flache-Hand-Sache. Die kubanischen Trommler seien die einzigen, die er mit diesen Handtechniken sah. Manche Puerto-Ricaner würden das übernehmen. Die afrikanischen und brasilianischen Trommler würden jedoch das machen, was er Flache-Hand-Sache nennt, und nicht dieselbe Art von Sound erreichen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 19: Synovial Joints II, Audio im Abschnitt 0:05:08 bis 0:06:21 Stunden/Minuten/Sekunden, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  117. Näheres und Quelle: Link
  118. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 11:48 bis 12:15 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  119. Diese Organisation bot von 1987 bis 2000 in Zusammenarbeit mit der Universität von Matanzas Workshops an, die afro-kubanische Musik- und Tanzkultur vermittelten und an denen die Gruppen AfroCuba de Matanzas und Muñequitos de Matanzas sowie viele andere wie Chucho Valdes, Irakere, Los Van Van, Changuito, Richard Egues, Conjunto Folklorico Nacional, Danza Nacional, Raices Profundas, Banrrarra, Clave Y Guaguanco und Yoruba Andabo mitwirkten. Das Institut für kubanische Musik sowie Musik-Ethnologen und Historiker des Zentrums für die Erforschung der kubanischen Musik trugen durch Seminare zu diesen Veranstaltungen bei. (QUELLE: Internetseite AfroCubaWeb, Internet-Adresse: http://www.afrocubaweb.com/caribmusd.htm)
  120. kubanische Timeline; Näheres zu den Begriffen Timeline und Clave im Artikel Tanztrommeln, und zwar zu „Timeline“: Link, zu „Clave“: Link
  121. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 18:12 bis 20:42 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  122. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 14:51 bis 17:21 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  123. vom 21. bis zum 23. Februar 1996; ergänzende Aufnahmen erfolgten im März in Paris
  124. QUELLE: Steve Coleman, Begleittext zum Album The Sign and The Seal
  125. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 35:02 bis 35:56 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  126. Steve Coleman: Das Album The Sign and The Seal mit der Gruppe AfroCuba de Mantanzas (1996) sei erst wie eine Jungfernfahrt gewesen und habe nicht genau das ergeben, was er machen wollte. Er habe das erst herausfinden und dazu in die folkloristischen Sachen gehen müssen. Erst die nachfolgenden Alben, Genesis & The Opening of the Way (1997) und so weiter, hätten dann zum wirklich kreativen Aspekt dieser Perkussion geführt, indem sie zur Gänze zu dem gebracht wurde, was seine Band machte. Davor habe er erst verstehen müssen, was die kubanischen Musiker machen, und zwar sei es ihm in der gesamten ersten Periode darum gegangen, das Batá-Trommeln zu verstehen. Willie Ankus Sachen hätten ihm dabei geholfen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 10: „Who Would You Rather Be?”, Audio 1 im Abschnitt 1:04:25 bis 1:05:24 Stunden/Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  127. Steve Coleman: In der Zeit, als Sean Rickman in die Band kam und als Colemans Alben Genesis & The Opening of the Way (1997) und The Sonic Language of Myth (1998) aufgenommen wurden, habe die Band bereits zwei oder drei Jahre lang mit den Kubanern zusammengearbeitet und er habe die alten kubanischen Musiker mittlerweile zum Ausscheiden bewegt, sodass nur mehr die jungen, flexibleren übrig blieben. Damals habe die Zusammenarbeit mit den Kubanern ihren Höhepunkt erreicht [In Genesis spielten von den Kubanern (neben einem Clave-Spieler) Luis Cancino Morales, Sandy Perez und Miguel „Angá” Diaz mit. In Opening of the Way und The Sonic Language of Myth ist Angá der einzige Handtrommler]. Die kubanischen Musiker, die man im Film Elements of One im Senegal sieht [Sandy Perez, Luis Cancino Morales und Angá; Mai 1997, aufgrund einer Einladung Colemans zum Saint Louis Jazz Festival, Senegal], seien alle jüngere gewesen und mit ihnen sei die Sache wirklich interessant geworden. Er habe sie aufgefordert, nicht nur die Sachen zu spielen, die sie kannten (die Rhythmen für Oshun, Obatala, Shango und so weiter), sondern auf ihrer traditionellen Basis und mit ihrer Charakteristik neue Dinge zu schaffen. Er erinnere sich an eine Probe, bei der sie neue Batá-Kombinationen ausarbeiteten, was schwierig gewesen sei, da beim Batá-Trommeln stets drei Trommeln beteiligt sind und ihr Zusammenspiel in einer hierarchischen Weise strukturiert ist. Neue, eigene Dinge zu schaffen, sei für diese kubanischen Musiker ein fremdes Konzept gewesen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 35:25 bis 37:32 Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  128. Steve Coleman: Die kubanischen Sachen hätten ihm sehr geholfen, die Rhythmus-Sache zu festigen. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 10: „Who Would You Rather Be?”, Audio 1 im Abschnitt 1:04:25 bis 1:05:24 Stunden/Minuten, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  129. Steve Coleman: Er habe die kubanische Erfahrung echt geliebt, denn sie habe ihn zu sehr speziellen Rhythmen gebracht, die anders als die afro-amerikanischen waren und ihm dazu verhalfen, die Musik von Charlie Parker und so weiter anders zu betrachten. Er habe begonnen, einige der Rhythmen, die er in Kuba hörte, nun auch in der Musik von Parker und so weiter zu hören. Er habe mit Billy Hart darüber gesprochen. Es sei erstaunlich, dass das Clave-Konzept auch überall in der Musik von Charlie Parker und so weiter zu finden ist, allerdings in einer versteckten Weise. Und was ihn dies erkennen ließ, sei das Batá-Trommeln, bei dem die Clave in versteckter Form vorhanden ist. Parker und Max Roach hätten ebenfalls Clave-artige Figuren gespielt, wenn auch in veränderlicher Weise, sodass dieselbe Art von Sache vorhanden sei. Billy Hart habe im Gespräch mit ihm gesagt, dass man ohne Verständnis der Clave nicht verstehen könne, was Max Roach und so weiter machten, denn dies liege ihrer Musik zugrunde. In dieser nord-amerikanischen Musik sei dasselbe Clave-Konzept vorhanden wie in der afro-karibischen und brasilianischen Musik, nur in einer quasi unsichtbaren Form. Sie hätten ein langes Gespräch über die Notwendigkeit des Verstehens des Clave-Konzepts auch für die afro-amerikanische Musik in Nordamerika gehabt – auch für Funk, James Browns Musik und all das, wie Hart meinte. Er (Coleman) denke, dass Hart nicht konkret die Clave meinte, etwa die Guaguancó- oder Rumba-Clave, sondern das Clave-Konzept – das, was Anku eine „Timeline“ nannte und aus einer Figur besteht, um die herum alles wie durch einen Kleber zusammengehalten wird. Er (Coleman) verwende dies seither [wohl seit der Zusammenarbeit mit Kubanern] verstärkt in seiner Musik, habe es aber schon zuvor viel verwendet, denn er habe es bereits durch seine Beschäftigung mit Aufnahmen von afrikanischer Musik kennengelernt. (QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 13: Cuba, Audio im Abschnitt 38:58 Minuten bis Ende, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net)
  130. In der mittelalterlichen Kirchenmusik wurden zu Teilen der älteren, einstimmigen Gregorianischen Choräle ein oder zwei weitere Stimmen hinzu-improvisiert, sodass Mehrstimmigkeit entstand. Der feststehende Choral, an dem sich die improvisierten Stimmen orientierten, wurde als Cantus Firmus bezeichnet. Ein Cantus Firmus wurde später dann von Komponisten wie Johann Sebastian Bach auch in instrumentaler Musik verwendet.
  131. „Clave“ ist das spanische Wort für „Schlüssel“.
  132. Näheres und Quellen: Link

 

 

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