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Harmonik


Schon in der Zeit der Sklaverei wurde vielen Afro-Amerikanern europäische Musik vertraut, unter anderem durch Kirchenmusik. Manche nordamerikanische Sklavenhalter ließen ihre aus Europa stammende Musik auf Festen und sonst zur Unterhaltung von Sklaven spielen.1) Freie Afro-Amerikaner legten oft großen Wert darauf, sich die Kultur der „Weißen“ anzueignen2). Nach dem Ende der Sklaverei im Jahr 1865 gelang es bald manchen Befreiten, sich Instrumente und Kenntnisse der aus Europa stammenden populären Musikformen zu verschaffen. Der berühmte Ragtime-Komponisten Scott Joplin, der auch Opern und Ballettmusik schrieb3), war Sohn eines ehemaligen Sklaven. Der 1895 im früheren Sklavenhalterstaat Mississippi geborene Afro-Amerikaner William Grant Still komponierte unter anderem acht Opern und fünf Sinfonien. Seine Afro-American Symphony wurde 1930 von den New Yorker Philharmonikern aufgeführt und schließlich wurde er mit der Leitung eines großen Symphonie-Orchesters betraut. Ein weiterer erfolgreicher afro-amerikanischer Komponist im Bereich der „klassischen“ Musik war Ulysses Kay, der im Jahr 1917 geboren wurde und zuletzt 20 Jahre lang eine Professur an einer New Yorker Universität inne hatte. – Diese Namen sind jedoch genauso vergessen4) wie Scott Joplins Oper, während die Ragtime-Musik mit ihrem eigenen Charme weltweite Beliebtheit und einen bleibenden Platz in der Geschichte der populären Musik erlangte. Womit der Ragtime auch außerhalb afro-amerikanischer Kreise5) begeisterte, war vor allem sein mitreißender Rhythmus und der stammte aus der Volksmusik der ehemaligen Sklaven und ihrer Nachfahren, die weiterhin die ärmste, ausgegrenzte, verachtete Bevölkerungsgruppe bildeten. Aus ihrer Musik stammten auch jene Elemente des Jazz, die ihn von europäischer Musik unterschieden und ihn damit zu einer eigenen, neuen Musikart machten. Noch die Jahrzehnte später6) aufgenommenen Tondokumente von ländlicher afro-amerikanischer Musik zeigen häufig eine deutliche Andersartigkeit gegenüber dem in der westlichen Welt etablierten Musikverständnis. Das betrifft auch die Harmonik:

Alte Aufnahmen von so genanntem Delta7)-Blues klingen harmonisch dürftig, mitunter regelrecht falsch – aus der herkömmlichen Warte. Noch in den späten 1970er Jahren konnten Aufnahmen von solcher Musik aus ländlichen Gebieten des Bundesstaates Mississippi gemacht werden, zum Beispiel vom Blues-Sänger und Gitarristen Jack Owens mit dem Mundharmonika-Spieler Bud Spires8). Die offensichtliche, jahrzehntelange Routine dieser Musiker lässt erkennen, dass die Eigenart ihrer Klänge nicht auf mangelndem Können, sondern auf fremder Musikauffassung beruht. Owens Stil ist in Wirklichkeit eine anspruchsvolle Form ländlicher Volksmusik.9) Der Musikethnologe Gerhard Kubik und ein afrikanischer Fachkollege stellten gemeinsam fest, dass es in manchen dieser alten Blues-Formen10) schwierig ist, auch nur irgendeine deutliche Komponente der etablierten Musikkultur aus Europa zu finden, abgesehen von den westlichen Instrumenten.11) Der ebenfalls auf afrikanische und afro-amerikanische Musik spezialisierte Musikethnologe Alfons Dauer wies darauf hin, dass die häufige Unterstellung, Sklaven und ihre Nachfahren hätten „weiße“ Musik nachgeahmt und dabei aufgrund von Unvermögen eigene Spielweisen entwickelt, auf Unverständnis beruht. Afro-Amerikanern sei es vielmehr oft um die Bewahrung eigener Traditionen gegangen.12) – Für eine breite Schicht extrem armer Afro-Amerikaner auf dem Land, die keinerlei Aufstiegschancen hatten, war es gewiss nicht attraktiv, die Lebensweise und Kultur der ständig gefürchteten und verhassten „weißen“ Unterdrücker nachzuahmen. Sie hatten die Traditionen ihrer ursprünglichen Heimat weitgehend verloren und griffen auf, was ihrem Bedürfnis zu musizieren diente. Dabei entwickelten sie ihre eigene Art zu spielen und eigene Vorstellungen, wie ihre Musik gut klingt. Die so entstandene afro-amerikanische Volksmusik speiste dann den Jazz und andere mittlerweile weltweit verbreitete Musikarten.

Die Sounds, die Rhythmen und die Kommunikation in afro-amerikanischen Kirchen und Kneipen waren für die Entstehung des Jazz essentiell, doch bezog der Jazz viel stärker als die Volksmusik auch die Errungenschaften der aus Europa stammenden, mit der Konzertmusik verbundenen Musikkultur ein. Einen entscheidenden Beitrag dazu leisteten die („farbigen“) Kreolen13), die bereits zur Zeit der Sklaverei als Freie die Kultur aus Europa pflegten. Am Ende des 19. Jahrhunderts verloren sie ihre gesellschaftliche Sonderstellung zwischen „Weißen“ und ehemaligen Sklaven und wurden fortan ebenfalls als „Neger“ behandelt. Als Spielweisen aus der afro-amerikanischen Unterschicht populär wurden, begannen kreolische Bands, sie in ihre Musik zu integrieren. So wirkte zum Beispiel der erste berühmt gewordene Jazz-Pianist, der Kreole14) Jelly Roll Morton, zwar eher wie ein Salon-Pianist als wie ein Blues-Musiker, doch enthielt seine Musik durchaus auch Blues-Elemente, besonders etwa in seinem Jelly Roll Blues15). Umgekehrt steigerten Musiker aus der Unterschicht ihre Versiertheit, indem sie mit kreolischen Musikern wetteiferten und von ihnen lernten. Louis Armstrong, der aus der bitterarmen Schicht der ehemaligen Sklaven kam und tiefgehend von deren Subkultur geprägt war, erkundete später in Chicago die tonalen Gestaltungsmöglichkeiten des europäischen Tonsystems dann noch eingehender als die meisten seiner Kollegen in den frühen Jahren des Jazz.16)

Der Jazz ist seit Anbeginn durch die aus Europa stammenden Instrumente und durch all die Songs, die Jazz-Musiker interpretierten, in elementarer Weise mit dem europäischen Tonsystem verbunden. Das Interpretieren bestand zunächst in einem Umspielen und Ausschmücken der Melodie des jeweiligen Songs, der auch ein Blues sein konnte. Später lösten sich die Jazz-Improvisationen zunehmend von der Songmelodie, während die Begleitakkorde dieselben blieben, so als würden die Improvisatoren mit ihren Soli weitere Strophen mit eigener Melodie zu ein und demselben Song erfinden. Auch die Eigenkompositionen der Jazz-Musiker zu Charlie Parkers Zeiten bauten auf einer festgelegten Reihenfolge wechselnder und strophenartig wiederholter Akkorde aus Songs auf. Allerdings verdichteten und bereicherten sie diese Abfolgen wechselnder Akkorde durch viele zusätzliche eingeschobene Akkorde. Ab den späten 1950er Jahren wurden die Akkordfolgen dann öfters durch andere harmonische Fundamente ersetzt, doch blieben sie bis heute eine beliebte Basis der Jazz-Improvisation. Das Improvisieren über ihnen verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des europäischen Tonsystems und nutzt damit den großen Reichtum der tonalen Strukturen des europäischen Systems.

Spätestens in Louis Armstrongs Soli der 1920er Jahre zeigte sich ein Ehrgeiz der Jazz-Musiker, kunstvolle Musik zu schaffen und Bisheriges zu übertreffen, und ihre ständige Suche nach weiteren Gestaltungsmöglichkeiten brachte unter anderem ein Interesse an den Errungenschaften der europäischen Konzertmusik mit sich. Auch dadurch ist der Jazz mit der stärksten Seite der europäischen Musikkultur verbunden: ihrer Kunst der Organisation von Zusammenklängen, ihrer Harmonik. Das Interesse der Jazz-Musiker war unakademisch und nur eine Ergänzung zur eigenen Erforschung der unterschiedlichsten Tonkombinationen, doch gelangten sie zwangsläufig zu Ergebnissen, die europäischen Musiktheoretikern großteils in anderer Form bereits bekannt waren. Denn in Europa war dieses Tonsystem über Jahrhunderte entwickelt, erprobt und erweitert worden. Der überwiegende Teil der so genannten Jazz-Harmonik erscheint daher aus der Perspektive der europäischen Kunstmusik mehr oder weniger als „alter Hut“17), als „Leihprodukt“ Europas18). Diese Auffassung hat sich weitgehend durchgesetzt, ist aber nicht oder nur zum Teil richtig:

Gerhard Kubik wies darauf hin, dass man unwillkürlich dazu neigt, Klänge im Sinn seiner eigenen Kultur zu interpretieren, und deshalb fänden zum Beispiel westlich ausgebildete Musiker im Blues europäische Akkordfolgen nicht nur dort, wo sie beabsichtigt sind, sondern selbst da, wo es ein solches Konzept gar nicht gibt.19) Jazz-Musiker nutzten zwar schon früh die europäische Notenschrift, einschließlich der Akkordbezeichnungen. Doch verglich Kubik deren Verwendung mit der Übernahme des lateinischen Alphabets, das sowohl für das Schreiben in europäischen als auch afrikanischen Sprachen nützlich sein könne. Die Symbole der Musiknotation seien im Jazz wie Münzen mit zwei Seiten, von denen eine verdeckt ist, oder wie das System der Orixas genannten göttlichen Wesen in afro-brasilianischer Religion. Einem Katholiken könnten die Orixas als katholische Heilige erklärt werden, aber ein Angehöriger der Yoruba-Volksgruppe aus Nigeria würde sie alle als Wesen der Yoruba-Religion erkennen, während Afro-Brasilianer bei den religiösen Zusammenkünften der Candomblé-Religion in beiden Arten denken würden. Diese Art von Synkretismus sei (zumindest in ihrer ursprünglichen Form) nicht als Vermischung oder Verschmelzung von Systemen zu verstehen, sondern als parallele, „zweisprachige“ Darstellung, sodass man sie in zwei verschiedenen Codes lesen kann. Vom Standpunkt der westlichen Musiktheorie, die für sich universale Anwendbarkeit beanspruche, sei es oft schwer verständlich, dass Jazz-Musiker schon immer die tonal-harmonischen Mittel, die die von ihnen gespielten westlichen Instrumente bereitstellen, umwandeln, um sie ihren eigenen Konzepten anzupassen. Als jemand, der den Großteil seines Lebens in afrikanischen Kulturen verbracht und sie erforscht hat, sehe er in der Struktur und Ästhetik der Jazz-Harmonik überwiegend afrikanische Matrizen, auch wenn der Anteil der afrikanischen und europäischen Einflüsse im Einzelnen sehr unterschiedlich sein könne. Und er sei nicht der Einzige, der einen solchen Blick auf die verdeckte Seite der Münze warf. Die Musikwissenschaftler Percival R. Kirby, A. M. Jones, Richard A. Waterman und kürzlich Thomas Brothers hätten das ebenfalls getan.20)

Die seit den 1970er Jahren um sich greifende Verschulung der Jazz-Ausbildung21) verstärkte hingegen die Betrachtung aus dem Blickwinkel des europäischen Notensystems und des ihm zugrundeliegenden harmonischen Verständnisses. Wie einseitig und verzerrend diese Perspektive oft ist, zeigt folgendes Bespiel:

Die Innovationen des Bebop-Musikerkreises der 1940er Jahre werden in der Jazz-Literatur primär als Weiterentwicklungen im Bereich der Harmonik dargestellt. Ein ganz anderes Bild ergibt sich – bezogen auf den bedeutendsten damaligen Innovator, Charlie Parker – aus Steve Colemans eingehenden Kenntnissen dieser Musik. Er schrieb: „Obgleich viel mehr über die harmonischen Aspekte von Parkers musikalischer Sprache geschrieben wurde, so war das meiste dieses harmonischen Konzepts doch bereits in der Musik von Pianisten und Saxofonisten der vorausgegangenen Ära vorhanden, bevor Parker auf der Szene erschien. Die Musik der Pianisten Duke Ellington und Art Tatum, der Saxofonisten Coleman Hawkins und Don Byas und anderer Musiker zeigte bereits ein ziemlich anspruchsvolles Verständnis von Harmonie. So gut wie jede Aufnahme von Art Tatum zeigt eine harmonische Sprache, die es mit allem der Musiker der Charlie-Parker-Zeit aufnehmen kann.“22) „Nach meiner Ansicht sind die Hauptschlüssel zu Parkers Konzept die Bewegung des Rhythmus und der Melodie, während das harmonische Konzept recht simpel ist. Das wurde mir nicht nur direkt von mehreren bedeutenden spontanen Komponisten23) dieser Ära mitgeteilt, sondern man kann auch Zitate von Musikern dieser Periode finden, die das darlegen, wie das folgende Zitat des Bassisten und Komponisten Charles Mingus: Ich hatte selbst Gelegenheit, diese Musiker zu genießen, die nicht einfach nur swingten, sondern neue rhythmische Muster erfanden sowie neue melodische Konzepte. Und diese Leute sind: Art Tatum, Bud Powell, Max Roach, Sonny Rollins, Lester Young, Dizzy Gillespie und Charles Parker, der für mich das größte Genie von allen ist, weil er die ganze Ära veränderte. […] Es ist eindeutig, dass es aus Mingus‘ Perspektive der Rhythmus und die melodischen Konzepte sind, die die wirklichen Innovationen dieser Musik waren. [… …] Es war die Bewegung der musikalischen Sounds, das diese Musiker am meisten beschäftigte. Oft übersehen das Akademiker, die gewohnt sind, Musik mithilfe der Werkzeuge der Notation zu analysieren, statt zu realisieren, dass Musik vor allen Dingen Sound ist und Sound immer in Bewegung ist. Es waren die Bereiche des Rhythmus und der Melodie, wo das meiste der Komplexität konzentriert war. Viele dieser Musiker lernten die Musik nicht vom Standpunkt der Notation aus und hatten dadurch ein dynamischeres Konzept von der Musik, das eng damit verbunden war, wie sie klang, statt wie sie auf dem Papier aussah.“24)

Dieser mehr durch die Hör- und Spielerfahrung als durch eine Harmonielehre geprägte Zugang von Jazz-Musikern wie Charlie Parker ergab eine wesentliche Qualität der Improvisation, die Steve Coleman mit folgenden Erläuterungen beschrieb: „Dem folgend, was Mingus neue melodische Konzepte nannte, verwenden Musiker oft das, was ich unsichtbare Pfade nenne. Damit meine ich, dass sie nicht notwendigerweise dem exakten Weg der Komposition oder der anerkannten harmonischen Struktur für die jeweilige Komposition folgen, sondern stattdessen ihren eigenen melodischen und harmonischen Straßen, die [ihre eigene interne Logik haben25) und] zum selben tonalen und rhythmischen Ziel führen wie die komponierte Harmonie.“26)

Ein Musiker und Lehrer erzählte von einem Kurs, den Steve Coleman im Jahr 1994 leitete: Coleman habe Charlie Parkers Solo über Ko-Ko (verblüffend gewandt) nachgespielt und dann unter anderem darüber gesprochen, dass Parker auch Töne verwendete, die in den Akkordfolgen nicht enthalten sind. Schließlich habe Coleman eigene Konzepte vorgestellt, die er darauf aufbauend entwickelte. Seine Erläuterungen hätten eine völlig andere als die übliche Auffassung, nach der akkordfremde Töne „outside“ seien und aufgelöst werden müssten, vor Augen geführt. Diese Töne schienen vielmehr zu einer alternativen Tonalität zu gehören und eine Alternative zu den vorgegebenen Strukturen zu repräsentieren. Allmählich sei ihm klar geworden, wie es kommt, dass Colemans Soli einerseits so außerirdisch, zugleich aber doch vertraut klingen. Seine Meisterschaft beruhe auf einem tiefgehenden Verständnis der Musik seiner Vorgänger und mit diesem Verständnis weise Coleman in die Zukunft.27)

Bereits der junge Louis Armstrong erreichte eine erstaunliche Kunst über einem harmonisch einfachen Schema, indem er „keinem ausgearbeiteten harmonischen Strukturplan folgte, sondern westliche Harmonik so in seine Musik einbrachte, wie sie ihm als ‚ungeschultem’ Musiker intuitiv zugänglich war. Obwohl er später Notenlesen lernte, war sein Verständnis westlicher Harmonik immer intuitiv: er ging von seinem Hörverständnis aus, spielte nach dem Gehör […].“ (Ben Sidran)28)Thomas Brothers29) beschrieb30) eine Stelle in einem Solo Armstrongs31), in dem Armstrong drei Mal eine kurze aufsteigende Melodie (mit subtilen rhythmischen Verschiebungen) spielte, dann plötzlich eine hohe Note und darauf folgend einen Abwärtslauf, der gegenüber den Begleitakkorden um einen ganzen Takt vorverlegt ist, sodass er mit ihnen kollidierte. Seine Aufwärts- und Abwärtsläufe klängen aber so natürlich, dass dieses harmonische Kollidieren gar nicht störend wirkt. Brothers erläuterte auch, wie Armstrong die vielfältigen Möglichkeiten eines so genannten Stop-Time-Chorus32) zu noch kühnerer harmonischer Manipulation nutzte. Auf solche Weise habe Armstrong über „Synkopierungen“33) hinausgehend auch im größeren Raster der regelmäßig wechselnden Akkorde des Songs mit dem Rhythmus gespielt und damit seine Improvisationen mit ihrer eigenen Logik vom zugrundeliegenden Akkordschema abgehoben. Die Improvisation bilde so eine zweite, zusätzliche Ebene, die sich laufend aus der Übereinstimmung mit der grundlegenden Ebene des Akkordschemas heraus und wieder zu ihr zurück bewege. Brothers stellte dann anhand eines Solos von Lester Young34) dar, wie sich Jazz-Musiker in ihren Improvisationen nicht nur in rhythmischer, sondern auch in harmonischer Hinsicht vom Akkordgerüst loslösen: Young landete mehrmals auf einer None35), also auf einem üblicherweise als dissonant empfundenen Ton, der deshalb eine anschließende Auflösung der harmonischen Spannung durch einen konsonanten Ton verlangen würde. Diese Nonen wurden (wie Brothers ausführt) von Young jedoch keineswegs aufgelöst und auch andere Jazz-Musiker verwenden solche Töne offenbar nicht im Sinne einer harmonischen Spannung, die die Harmonie koloriert oder dekoriert, sondern als „freistehende Konsonanzen“. Solche Töne seien im Jazz wichtig, weil sie eine ambivalente Position zwischen Konsonanz und Dissonanz beziehen und dadurch weder die zugrundeliegende Harmonie unterminieren, noch in ihr aufgehen. Sie schweben quasi über ihr und helfen damit, die Melodie von der Harmonie des Akkordgerüsts abzuheben, ohne die Verbindung völlig aufzugeben. Im Gegensatz zu Youngs primär melodisch („linear“) ausgerichteter Improvisationsweise legte Coleman Hawkins das Schwergewicht mehr auf komplizierte, harmonisch fundierte Läufe, bei denen er oft die Töne von Akkorden ausspielte36) und akkordfremde Töne sorgsam wählte, mitunter auf Kosten des melodischen Statements. Bei einer solchen mehr harmonisch orientierten Improvisationsweise spielen nach Brothers Darstellung Akkord-Substitutionen, die vom Solisten mit seinen Melodielinien dargestellt werden, eine wichtige Rolle. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die Tritonus-Substitution37) mit ihrem mehrdeutigen, indifferenten Charakter38), die besonders durch die Improvisatoren der Bebop-Bewegung allgegenwärtig wurde. Aber auch schon Hawkins verwendete sie, etwa in seiner berühmten Improvisation über Body and Soul (1939), in der er (in Brothers Worten) „alle Arten akkordfremder Töne, einschließlich diatonischer und chromatischer Vorhalte, verzögerter Auflösungen, eingeschobener Akkorde (in denen der Solist zusätzlich zum gegebenen Akkord des harmonischen Zyklus einen anderen andeutet und damit suggeriert, dass der harmonische Rhythmus des Solos in doppeltem Tempo fortschreitet) und Substitutionsakkorde einsetzte. Die Kraft der Darbietung ergibt sich aus der sorgfältigen Integration akkordfremder Töne in den großen Bogen der Melodie, der über zwei Chorusse läuft.“ Bemerkenswert sei vor allem die harmonische Instabilität und Hawkins entferne sich dort am weitesten vom Akkord-Zyklus, wo die harmonische Richtung am sichersten ist. Die jungen Musiker des Bebop-Kreises der 1940er Jahre hätten dann die Ablösung der Improvisation vom harmonisch-rhythmischen Zyklus der Songs und die Ausdünnung des Zyklus radikal weitergetrieben. Dass sie dabei meistens auf die Akkordgerüste aus einem vertrauten Repertoire von Songs (häufig von I Got Rhythm) zurückgriffen, sei hilfreich gewesen, denn der Akkord-Zyklus war nun weniger hörbar als je zuvor. So habe der Jazz – vergleichbar mit der europäischen Konzertmusik – im Laufe seiner Weiterentwicklung durch einen zunehmenden Grad der Raffinesse von der populären Musik weggeführt. Die Art und Weise, wie die verfeinerten stilistischen Mittel im Jazz eingesetzt werden (die Natur seiner musikalischen „Syntax“39)), unterscheide sich aber grundsätzlich von der der Konzertmusik und habe mehr mit dem afrikanischen Kulturbereich zu tun als mit dem europäischen. Die für den Jazz charakteristische Interaktion einer Ebene der Improvisation mit der Basis-Ebene des festgelegten Zyklus betrachtete Brothers als wesentliches Merkmal einer Syntax, die sich auch in west-afrikanischer Trommelmusik finde, nämlich in Form eines variierenden Spiels über festgelegten rhythmischen Patterns. Er wollte damit allerdings weder behaupten, dass beide Musikarten im Grunde genommen dieselbe Tradition darstellen würden, noch mit dieser Syntax den essentiellen Bestandteil des Jazz identifizieren. Auch wies er auf das Fehlen von Dokumenten hin, die belegen, wie dieses syntaktische Modell in den USA erhalten geblieben war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei es noch am Congo Square in New Orleans präsent gewesen und es dürfte wohl in einfacherer Form, etwa in Vokalmusik mit Händeklatschen und Fußstampfen inner- und außerhalb von Kirchen, fortbestanden haben.

Der Jazz enthielt also zwar mit den Akkordgerüsten der Songs konventionelle europäische Harmonik, sein bedeutendster Teil sind jedoch die Improvisationen und die folgen einem eigenen Zugang. Sowohl die europäische Konzertmusik als auch der Jazz entfernten sich im Laufe ihrer weiteren Entwicklung von Liedern, aber in unterschiedliche Richtungen: In der Konzertmusik erhielt allmählich die Komposition diffiziler harmonischer Entwicklungen einen dominanten Stellenwert, während Rhythmus und Melodik in der Bedeutung zurücktraten.40) Im Jazz hingegen wurde der Song zu einem rhythmisch-harmonischen Grundmuster, einem beliebig oft wiederholbaren Raster, das als Basis für die Improvisation dient und später häufig durch andere fixierte Muster ersetzt wurde. Die harmonischen Konzepte wurden zwar auch im Jazz erweitert, verdichtet, gelockert, vielfach verändert, doch erhielt die Harmonik im Jazz keinen Vorrang gegenüber den anderen Komponenten. Die stärkste harmonisierende Wirkung geht im Jazz von der Groove-Rhythmik aus und der Fokus ist vor allem auf die Melodielinien der Solisten gerichtet, die die Bedeutung eines persönlichen Statements haben. Selbst dort, wo tatsächlich reichhaltige Harmonien im Vordergrund stehen, wie etwa häufig bei Pianisten41), werden sie in einer von „klassischer“ Komposition abweichenden Weise gestaltet. Der Pianist McCoy Tyner erklärte: „Man spielt mehr aus einem Sound heraus, als dass man genau bestimmt, welche Noten es sind. […] Ich glaube, was wichtig ist, ist die Art von Sound, den man erreicht, weniger die Beschäftigung mit einzelnen Noten. Manche Leute sagen: Wie kannst du all diese Noten in einem Stück bedenken. Ich meine, man denkt nicht so darüber. Man denkt mehr oder weniger an den Sound. Und manchmal denkt man nicht einmal, welchen Akkord man spielt. Denn der Akkord ist bloß ein Symbol. Die Akkord-Bezeichnungen sind bloß Symbole eines bestimmten Sounds. […] Es ist einfach, wie ein Gespräch zu haben. […]“42)

Die Jazz-Improvisation würde das für die Konzertmusik typische Austüfteln großangelegter harmonischer Entwicklungen gar nicht zulassen. Es wird zwar auch in einem Jazz-Solo keineswegs alles spontan neu erfunden, doch werden selbst relativ fixe, eingeübte Teile in einer spontanen Kommunikation eingesetzt und an die jeweilige musikalische Situation angepasst. Da die konkrete Gestaltung somit zu einem erheblichen Teil im Moment gewählt wird und daher praktisch keine Zeit für Überlegungen besteht, erfolgt sie mehr in der fließenden Art, wie Menschen miteinander sprechen und sonst spontan interagieren. Daraus ergibt sich eine andere Art des Harmonisierens und das Gespielte erhält eine andere kommunikative Bedeutung als bei einem komponierten und aufgeführten Werk. Diese grundlegenden Unterschiede zeigen sich auch darin, dass aus der Konzertmusik stammende Vorstellungen von Richtigkeit und Perfektion im Jazz oft irrelevant sind, obwohl Schlüssigkeit und Raffinesse der Gestaltung in ihm großen Wert haben.

Die harmonisch offene, auf die melodische Bewegung konzentrierte Herangehensweise der Meister der Jazz-Geschichte wird offenbar von der bereits erwähnten43) Verschulungstendenz der letzten Jahrzehnte verdrängt. So erwähnte der Pianist Ethan Iverson (geboren 1973), dass es nunmehr üblich sei, sorgfältig komplizierte Akkordfolgen festzulegen, und es dann ziemlich steril werde, wenn „sich der Solist, der Pianist und der Bassist im Gleichschritt bewegen und alle immer genau dieselben Akkorde und Tonleitern spielen“. Es frage sich, ob es nicht Zeit ist, „zum frühen Jazz zurückzugehen und sich ein bisschen weniger um die Akkordwechsel zu kümmern“.44) – Steve Coleman (geboren 1956) brachte sich das Spielen noch autodidaktisch bei und bewahrte sich bewusst einen alternativen Zugang, der der Spielweise der früheren Meister entspricht. Er sagte: Einer der Gründe, warum er nicht schon frühzeitig die Harmonik studierte, sei, dass er ein Skeptiker ist. Leute hätten ihm erklärt, wie sie funktioniert, aber er habe ihnen das nicht abgekauft. Beim Rhythmus sei das ein wenig anders gewesen, denn niemand habe einem viel über den Rhythmus erzählt, zumindest nicht in den 1970er Jahren. So habe er viel Raum gehabt, sein eigenes Zeug zu machen, sich Aufnahmen aus West-Afrika und der Karibik anzuhören und seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Es habe nicht viele Arbeiten gegeben, die sich mit dem Rhythmus befassten. Zur Melodik habe es ein wenig mehr gegeben und zur Harmonik diese große Sammlung von Fachwissen über die westliche Harmonik.45) – Steve Coleman entwickelte eigene Wege der melodischen Gestaltung und fand heraus, wie er damit unter anderem über Akkordstrukturen spielen kann. Im Laufe der Jahre gelangte er dann in Verbindung mit seiner Spielerfahrung zu einem eigenen harmonischen System, das seine melodischen Vorstellungen ergänzt.46)

Einem ratsuchenden Saxofonisten antwortete Steve Coleman Anfang 2020: Er solle vor allem aufhören, über Akkorde und traditionelle Harmonie nachzudenken. Wenn man stattdessen über Stimmführung nachdenkt, gelange man zu Tonkombinationen, die keinen Namen in der traditionellen Harmonie haben. Er solle mittelalterliche Musik studieren, in der Musiker nicht über Akkorde, sondern über Bewegungen nachdachten. Auch solle er sich nicht-westliche Musik anhören und Bewegungen systematisch studieren. Man müsse sein Denken ein wenig erweitern und aus der Akkord-Hölle herauskommen. Es gehe darum, in Bezug auf einzelne Melodien zu denken.47)

 

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  1. QUELLE: Eileen Southern, The Music of Black Americans, 1997, S. 43-46, 134-136 und 175-177
  2. schon, um ihren ständig gefährdeten Status zwischen „Weißen“ und Sklaven zu sichern
  3. Von den „klassischen“ Kompositionen Scott Joplins ist nur die Oper Treemonisha erhalten geblieben.
  4. Henry Threadgill: „Wir wissen nichts über all die schwarzen klassischen Orchester-Komponisten. Sie werden von der Geschichtsschreibung einfach grundsätzlich ausgelassen. Jemand mag den Namen von William Grant Still oder Ulysses Kay gehört haben, weiß aber nicht wirklich Bescheid.“ (QUELLE: Ethan Iverson, Interview with Henry Threadgill. part 1, 21. Mai 2011, Internetseite DO THE MATH, Internet-Adresse: http://dothemath.typepad.com/dtm/interview-with-henry-threadgill-1.html, eigene Übersetzung)
  5. ab den 1890er Jahren
  6. ab den späten 1920er Jahren
  7. Damit ist nicht das Mündungsdelta des Mississippi gemeint, sondern die große Ebene des Mississippi-Unterlaufs mit angrenzenden Gebieten. William Barlow: Die Heimaterde des Delta-Blues sei das flache, fruchtbare Ackerland auf beiden Seiten des Mississippi-Stroms gewesen, das sich von Memphis, Tennessee, ungefähr 200 Meilen (320 Kilometer) nach Süden bis Vicksburg, Mississippi, erstreckt. Die östliche Grenze des Deltas sei von den kargen Hügeln im Zentrum des Bundesstaates Mississippi gebildet worden und im Westen sei das Ozark-Plateau in Arkansas die Grenze gewesen. (QUELLE: William Barlow, Looking UP At Down, 1989, S. 3 und 26f.)
  8. Im August 1978 machten Alan Lomax, Worth Long und John Bishop auf Jack Owens Farm nahe Bentonia, Mississippi, Video-Aufnahmen, die im Film The Land Where the Blues Began verwendet wurden. Ausschnitte davon mit den Stücken Can't See Blues und Hard-Time Killing Floor Blues als YouTube-Videos: http://www.youtube.com/watch?v=usA-3HDRLXE und http://www.youtube.com/watch?v=JKhYLft6_p4
  9. Der Blues-Forscher David Evans hielt Jack Owens Stil für einen „der komplexesten der jemals innerhalb einer starken Folk-Tradition entwickelten Stile“. (QUELLE: Artikel Remembering Jack Owens von Rob Hutten anlässlich des Todes von Jack Owens im Jahr 1997, britische Musikzeitschrift Blues & Rhythm, Nummer 120, Internet-Adresse: http://www.hutten.org/rob/writing/remembering_jack.html, eigene Übersetzung)
  10. Er bezog sich besonders auf die Musik von Robert Belfour, einem Vertreter der Mississippi-Hill-Country-Tradition, die sich vom sonstigen Delta-Blues unterschied.
  11. Gerhard Kubik: „[…] any significant ‚European‘ musical components […]“ (QUELLE: Gerhard Kubik, Africa and the Blues, 1999, S. 83). Gemeint sind offenbar Komponenten der etablierten europäischen Musikkultur. Inwieweit Einflüsse aus alter europäischer Volksmusik, die selbst von den etablierten Musikarten abwich, im Blues weiterwirkten, ist eine offene Frage.
  12. Alfons Michael Dauer: „Nur aus totaler Unkenntnis ethnologischer Erfahrungen kann die verwunderte Feststellung über die Hartnäckigkeit im Bewahren der als Dummheit und Rückstand interpretierten Traditionen der schwarzen Amerikaner durch eine so bedeutende Kapazität über die Geschichte der Sklaverei wie Ulrich B. Phillips erklärt werden, wenn er sagt: They had by far the best opportunity, … to learn the white men's ways …. Die Frage ist hier: Warum sollten sie das eigentlich tun? Was war für sie dabei zu gewinnen? Und waren die Wege des weißen Mannes wirklich so verlockend und großartig? Die afro-amerikanische Geschichte lehrt uns, dass die Afro-Amerikaner viel öfter den Weg der Bewahrung eigener Traditionen vorzogen als es den Angehörigen der weißen Master-Gesellschaft einzusehen möglich war." (QUELLE: Alfons Michael Dauer, Tradition afrikanischer Blasorchester und Entstehung des Jazz, Beiträge zur Jazzforschung, Nr. 7, 1985, S. 144)
  13. Im südlichen US-Bundesstaat Louisiana bezog sich die Bezeichnung „Kreolen“ ursprünglich auf die „weißen“ Bewohner französischer oder spanischer Abstammung, später aber auch auf freie (nicht versklavte) Personen mit zum Teil afrikanischer Abstammung („Gens du Colour“, farbige Leute). Diese Personen, die im Vergleich zu den afro-amerikanischen Sklaven durch Vermischung eher hellhäutiger waren, hatten einen eigenen Status zwischen „Weißen“ und Sklaven (mit Abstufungen je nach „schwarzen“ Anteilen der Abstammung). Dieser Sonderstatus ging ihnen nach der Abschaffung der Sklaverei durch die Einführung der Jim-Crow-Gesetze verloren, die alle Personen mit afrikanischen Abstammungsanteilen gleichsetzten und diskriminierten. Ihr Selbstverständnis als kreolische und damit höhergestellte (kultiviertere) Amerikaner behielten sie zum Teil lange weiter (angeblich sogar bis ins 21. Jahrhundert).
  14. Morton behauptete trotz afrikanischer Anteile seiner Abstammung: „[…] alle meine Leute kamen direkt von der Küste Frankreichs […]“. (QUELLE: Jelly Roll Morton/Alan Lomax, Doctor Jazz, deutschsprachige Ausgabe, 1992, S. 16)
  15. Gunther Schuller: Ein im Jahr 1912 in Texas führender Pianist namens George W. Smith habe offen gestanden, dass Morton damals jeden „zerlegen“ konnte, auch ihn. An was er sich vor allem erinnerte, war Mortons Blues-Spiel, besonders an seine Spezialität, den Jelly Roll Blues. (QUELLE: Gunther Schuller, Early Jazz, 1986, S. 141)
  16. Näheres dazu in den Artikeln Ghetto-Musik und Volks/Kunst-Musik: Link und Link
  17. QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 234 – Berendt: „Allenfalls gewisse Akkorde mit übermäßigen und verminderten Quinten, übermäßigen und kleinen Nonen, die charakteristisch vor allem für den modernen Jazz sind, gibt es in dieser Form nicht in der konventionellen Musik – zumal dann, wenn solche Intervalle miteinander kombiniert werden.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 234) Diese Aussage bezieht sich auf die Zeit vor dem Free-Jazz und nahm die Blue-Notes aus.
  18. Joachim-Ernst Berendt: „Die Jazzharmonik ist – so sagt [André] Hodeir – ein Leihprodukt.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 236) – Von „Leihe“ kann aber wohl schon deshalb nicht wirklich die Rede sein, da es europäische Mächte waren, die Millionen von Menschen als Sklaven aus Afrika verschleppten und ihrer Kultur beraubten, sodass ihren Nachfahren keine andere zur Verfügung stand als die ihrer Herren. Auch die englische Sprache (spanische/portugiesische in Lateinamerika), mit der sie nun aufwuchsen, bekamen sie ja nicht „geliehen“. Englische, portugiesische, französische, niederländische und deutsche Handelskompanien brachten durch den so genannten „atlantischen Dreieckshandel“ Jahrhunderte lang Tauschgüter nach Afrika, Sklaven nach Amerika und von dort landwirtschaftliche Produkte (Zucker, Baumwolle) nach Europa. Es waren europäische Kolonien in Nord- und Südamerika, die die Sklavenwirtschaft einrichteten und bis zur Unabhängigkeit der amerikanischen Staaten betrieben. Das amerikanische Rassismus-Problem ist also europäisches Erbe.
  19. QUELLE: Gerhard Kubik, Africa and the Blues, 1999, S. 83
  20. QUELLE: Gerhard Kubik, The African Matrix in Jazz Harmonic Practices, Zeitschrift Black Music Research Journal, Jahrgang 25, Nummer 1/2, Frühjahr-Herbst 2005, S. 167-169, Internet-Adresse: http://www.jstor.org/stable/30039290
  21. Mehr dazu im Artikel M-Base: Link – auch in: Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz, 2003, S. 340-343
  22. QUELLE: Steve Coleman, The Dozens: Steve Coleman on Charlie Parker, 2009, Internet-Adresse: http://m-base.com/the-dozens-steve-coleman-on-charlie-parker/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  23. von Coleman verwendete Bezeichnung anstelle von „Jazz-Musiker“
  24. QUELLE: Steve Coleman, The Dozens: Steve Coleman on Charlie Parker, 2009, Internet-Adresse: http://m-base.com/the-dozens-steve-coleman-on-charlie-parker/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link – Ein Beispiel für Parkers Art der harmonischen Gestaltung in Steve Colemans Ausführungen zu einer Aufnahme des Stücks Confirmation: Link
  25. Steve Coleman beschrieb im selben Artikel einen Ausschnitt aus Parkers Improvisationen und bemerkte, dass seine „melodischen Pfade ihre eigene interne Logik hervorbringen und sich schließlich wieder in der Logik der Komposition auflösen“.
  26. QUELLE: Steve Coleman, The Dozens: Steve Coleman on Charlie Parker, 2009, Internet-Adresse: http://m-base.com/the-dozens-steve-coleman-on-charlie-parker/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link
  27. QUELLE: Rob Kohler, The Other Notes. A Lesson Learned from Steve Coleman at the Stanford Jazz Workshop, Internetseite Stanford Jazz Workshop Newsletter, Jänner 2008, nicht mehr verfügbare Internet-Adresse: http://www.stanfordjazz.org/newsletter/2008/newsletter_jan08.html
  28. QUELLE: Ben Sidran (Jazzmusiker, Autor, geboren 1943), Black Talk, 1993, S. 78 – Sidran: „Die Vielseitigkeit des Armstrongschen Blues ergab sich aus den mannigfachen Substitutionsakkorden, die er in ein harmonisch einfaches Schema einbaute, wobei er keinem ausgearbeiteten harmonischen Strukturplan folgte […].“ Die Deutung als Substitutionsakkorde ist allerdings fraglich, wie sich aus folgender Aussage Steve Colemans über „unsichtbare Pfade“ ergibt: Es gehe dabei darum, „dynamische Straßen zu bilden, die zum selben tonalen und rhythmischen Ziel führen wie die komponierte Harmonie. Dies weicht ein wenig vom akademischen Konzept der Substitutionsakkorde ab, denn diese unsichtbaren Pfade können völlig alternative Straßen sein, die nicht notwendigerweise mit der komponierten Harmonie auf einer Punkt-für-Punkt-Basis verbunden sind und sich widersetzen, als solche gedeutet zu werden. Aber nichtsdestoweniger erfüllen sie innerhalb der Musik dieselbe Funktion der Stimmführung zu den Kadenzpunkten. Diese Pfade können rhythmischer, melodischer oder harmonischer Natur sein. Alles, was nötig ist, sind dieselben drei Elemente, die auch bei einem physischen Pfad erforderlich sind: ein Ausgangspunkt, eine Pfad-Struktur und ein Ziel.“ (QUELLE: Steve Coleman, The Dozens: Steve Coleman on Charlie Parker, 2009, Internet-Adresse: http://m-base.com/the-dozens-steve-coleman-on-charlie-parker/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link)
  29. (Thomas D. Brothers), Musikwissenschaftler
  30. QUELLE aller folgenden Zitate von Brothers: Thomas Brothers, Solo and Cycle in African-American Jazz, Zeitschrift Musical Quarterly, Jahrgang 78, Nr. 3, Herbst 1994, S. 479-509, eigene Übersetzung
  31. im Stück: Louis Armstrong and his Hot Five, Big Butter and Egg Man (1926)
  32. Stück: Louis Armstrong and his Hot Seven, Potato Head Blues (1927) – Ein „Chorus“ ist ein Durchlauf der Akkorde eines Stückes (des „Themas“, über das improvisiert wird), also quasi eine Strophe des Songs. Bei einem Stop-Time-Chorus spielt die Band nur die Hauptakzente des Stückes (im konkreten Fall nur den ersten Beat jeden Taktes) und setzt ansonsten aus, sodass der Solist viel Freiraum für die Gestaltung seines Solos hat.
  33. rhythmische Akzentverschiebungen
  34. im Stück: Count Basie's Kansas City Seven, Lester Leaps In (1939)
  35. dem neunten Ton vom Grundton (als ersten Ton) des betreffenden Akkords aus gezählt; in diesem Fall die Töne E, D und C, die in dieser Verbindung eine absteigende Linie ergeben
  36. Arpeggios spielte
  37. Die Grundtöne des substituierenden Akkords und des ersetzten Akkords liegen voneinander einen Tritonus (drei ganze Töne; übermäßige Quarte oder verminderte Quinte) weit entfernt.
  38. Nach Brothers Beschreibung der von Hawkins in Body and Soul verwendeten Tritonus-Substitution bezieht sie „zwei Akkorde ein, die separate Identitäten haben, eine fundamentale und eine ergänzende, und die beiden greifen in einer hörbaren Weise ineinander“.
  39. Die musikalische Syntax bilde eine Ebene, die eine Stufe tiefer als die Aspekte der Tonhöhe und des Rhythmus liegt, und bestehe aus den Regeln, wie die Teile eines Systems in der Kombination miteinander zu verstehen sind, damit sie ein Ganzes bilden.
  40. Robert Jourdain: „Die abendländische Musik entwickelte sich langsam von der melodischen Kontur über eine harmonisierte Melodie bis hin zu reiner Harmonie und reifte somit in einem Zeitraum von siebenhundert Jahren […].“ (QUELLE: Robert Jourdain, Das wohltemperierte Gehirn, 2001, S. 127)
  41. Manche Pianisten nutzten mehr die Möglichkeiten des Klaviers als Akkord-Instrument, andere orientierten sich stärker am melodischen Spiel der Bläser (Berendt unterschied die „pianistische“ Richtung von der „hornartigen“; QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 352). McCoy Tyner sagte zum Beispiel: „Bei den meisten meiner Kompositionen ist die Melodie sehr einfach. Aber ich denke, die harmonische Bewegung ist es, was es interessant macht.“ (QUELLE: Ben Sidran, Talking Jazz. An Oral History, 1995, S. 233, eigene Übersetzung)
  42. QUELLE: Ben Sidran, Talking Jazz. An Oral History, 1995, S. 233, eigene Übersetzung
  43. betreffende Stelle oben: Link
  44. Ethan Iverson im Zusammenhang mit einer Aufnahme von Lester Young (Lady Be Good, 16. September 1950, Carnegie Hall): Er finde es interessant, wie ungebunden und harmonisch offen dieser frühere Jazz ist. Die meisten seiner Altersgenossen fänden den früheren Jazz harmonisch begrenzt und tatsächlich sei er weniger kompliziert. Aber diese unbekümmerten diatonisch/bluesigen Reibungen seien harmonisch offener als die heute übliche Praxis der sorgfältig festgelegten Akkordwechsel, Substitutionsakkorde und fortgeschrittenen Erweiterungen. Es frage sich, ob es nicht Zeit ist, zum frühen Jazz zurückzugehen und sich ein bisschen weniger um die Akkordwechsel zu kümmern. Wenn sich der Solist, der Pianist und der Bassist im Gleichschritt bewegen und alle immer genau dieselben Akkorde und Tonleitern spielen, könne es ziemlich steril werden. Früher Jazz sei viel mehr funky gewesen. Eine der Sachen, die er beim Hören von Jelly Roll Morton und James P. Johnson genieße, sei, dass ihre linke und ihre rechte Hand nicht immer dieselbe Harmonie darstellen. (QUELLE: Ethan Iverson, Lester Young Centennial, Kapitel Oh, Lady!, 27. August 2009, Iversons Internetseite DO THE MATH, Internet-Adresse: https://ethaniverson.com/lester-young-centennial/)
  45. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Blog/M-Blog Episode 21: Thomas Goodwin, Audio im Abschnitt 0:55:38 bis 0:57:04 Stunden/Minuten/Sekunden, veröffentlicht 2014/2015, Internet-Adresse: http://m-base.net
  46. Mehr dazu im Artikel Steve Colemans tonale Strukturen: Link
  47. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Community Forum/Music/Harmony/dyad movement studying in a monophonic instrument, Beitrag Nr. 4463 vom 16. Jänner 2020, Internet-Adresse: http://m-base.net

 

 

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